Agile Arbeitsmodelle auf der Probe
Schadenzahlungen, Kundenberatungen und Weiterbildung aus dem Homeoffice: Die vergangenen Wochen waren für die Versicherungsbranche eine Herausforderung. Obwohl bei vielen Versicherern agiles Arbeiten schon vorher üblich war, hat die Coronakrise die Digitalisierung nochmals vorangetrieben. Damit tun sich nach der Krise neue Chancen auf. Der SVV hat bei seinen Mitgliedgesellschaften erste Erkenntnisse erfragt.
Die Versicherungswirtschaft ist für ihre Kundinnen und Kunden da – auch in Zeiten der Coronakrise. Innert kürzester Zeit mussten diverse Versicherer sicherstellen, dass die unterschiedlichsten Kundenanfragen auch aus dem Homeoffice zuverlässig und schnell beantwortet werden, Beratungen telefonisch oder virtuell reibungslos ablaufen und Zahlungen aus versicherten Schäden und Renten – das sind Tag für Tag 139 Millionen Franken – schnell und zuverlässig ausgelöst werden.
Am 16. März musste es plötzlich schnell gehen: Nachdem der Bundesrat den Lockdown für die Schweiz angekündigt hatte, waren Branchen, die ihre Tätigkeit ortsungebunden verrichten können, dazu aufgerufen, ihre Mitarbeitenden so schnell wie möglich ins Homeoffice zu «verfrachten». Auch die Versicherungswirtschaft stand vor der Herausforderung, innert wenigen Tagen oder gar Stunden möglichst viele ihrer rund 47’000 Mitarbeitenden von zu Hause aus arbeiten zu lassen. Dass dieser Übergang so reibungslos geklappt hat, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass es in der Versicherungswirtschaft schon vorher üblich war, dass Mitarbeitende ihre Tätigkeit aus dem Homeoffice verrichten können. Schon früh haben die Privatversicherer erkannt, dass Homeoffice für Arbeitgeber und Arbeitnehmende zahlreiche Vorteile birgt: Derweil Arbeitnehmende vom wegfallenden Arbeitsweg und von mehr Flexibilität profitieren, kann der Arbeitgeber Büroarbeitsplätze minimieren und dennoch auf motivierte und produktive Mitarbeitende zählen.
Während also in der Vergangenheit schon viele Mitarbeitende der Versicherungsbranche vom Homeoffice profitierten, hat der Prozess durch die Coronakrise ganz neue Dimensionen angenommen: Bei vielen Privatversicherern arbeiten derzeit über 90 Prozent der Angestellten aus dem heimischen Büro. Das sorgte gerade zu Beginn für Fragen und Unsicherheiten: Wie sollen Arbeit und Freizeit eingeteilt werden? Wie funktioniert der Austausch mit den Bürokolleginnen und -kollegen? Auch technische Probleme liessen sich in den ersten Tagen nicht vermeiden. Die Versicherungsgesellschaften haben die Probleme rasch erkannt und konnten ihren Mitarbeitenden die notwendigen Tools und Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Die schnelle Umstellung auf Homeoffice hat manchen Unternehmen einen regelrechten Digitalisierungsschub verliehen: Flexibles Arbeiten und E-Learning sind bei Versicherern zwar keine neuen Themen, jedoch sind viele angesichts der Lage mutiger geworden, Neues auszuprobieren. Die Mitarbeitenden erkennen die Notwendigkeit und den Nutzen innovativer Projekte vermehrt und beschleunigen dadurch deren Entwicklung. Einige Meetings werden in virtueller Form verkürzt geführt, was zu Effizienzgewinnen führen kann. Diejenigen Vorgesetzten und Mitarbeitenden, die dem Homeoffice bisher mit Skepsis begegneten, erhalten einen neuen Blickwinkel. Einigen Angestellten fällt auf, wie positiv sich der Wegfall des Arbeitsweges und des Pendlerstresses auf sie auswirkt. Und doch kommt man nach einigen Wochen Homeoffice vielerorts zur Erkenntnis, dass persönliche Kunden- und Vorstellungsgespräche nicht durch digitale Mittel ersetzbar sind.
Derweil in der Vergangenheit für die Einführung von neuen digitalen Tools eine lange Vorbereitungs- und Einführungszeit mit Schulungen zur Verfügung stand, war im Homeoffice «Learning by Doing» das Motto der Stunde. Einige Arbeitgeber stellen fest, dass ihre Mitarbeitenden sich so schneller und besser an die neuen Tools gewöhnen. Auch Webinare und E-Learning-Module haben in der Coronakrise neuen Aufwind erhalten: Das Interesse an den Onlinekursen war teilweise so gross, dass einige Versicherer ihr Angebot aufgestockt haben. Ob Webinar, Lernvideo, Videokonferenz oder ein Quiz – die digitalen Weiterbildungsangebote werden von den Mitarbeitenden rege genutzt. Diese Erkenntnis wird in Zukunft angewandt, um das lebenslange Lernen zu fördern und die Mitarbeitenden der Versicherungsbranche auf weitere digitale Herausforderungen vorzubereiten.
Nach mehreren Wochen Homeoffice ist es bald wieder an der Zeit, langsam, aber stetig in die «Normalität» zurückzukehren. «Die Coronakrise bietet uns die Chance, den positiven Drive rund um die Entwicklung bei Arbeits- und Weiterbildungsmethoden in den Alltag von morgen mitzunehmen», sagt Barbara Zimmermann-Gerster, Fachverantwortliche Bildungs- und Arbeitgeberpolitik im SVV. «Der persönliche Kontakt mit Kunden und Mitarbeitenden wird durch die Digitalisierung nicht ersetzt werden. Die aktuelle Situation hat aber das grosse Potential der digitalen Arbeitsweisen und der damit verbundenen modernen Arbeits- und Führungskulturen zutage gefördert.»