«Die Kar­te sen­si­bi­li­siert für Ri­si­ken durch Ober­flä­chen­ab­fluss»

InterviewArchive03. Juni 2019

Die Schweiz verfügt seit 2018 über eine flächendeckende Gefährdungskarte zum Oberflächenabfluss. Diese zeigt, welche Gebiete bei heftigen Niederschlägen von Oberflächenabfluss betroffen sind. Für Luzius Thomi, Leiter Geoanalyse und Naturrisiken bei der Mobiliar, ein nützliches Instrument, um die Prävention zu fördern.

Herr Thomi, was hat die Gesellschaft von der «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss»?

Luzius Thomi: Sie gibt einen guten Überblick über ein Phänomen, dem lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt wurde. In der Wahrnehmung standen die Schäden, die durch übertretende Seen, Flüsse und Bäche verursacht werden mehr im Vordergrund als jene, die durch Oberflächenabfluss entstehen.

Untersuchungen am «Mobiliar Lab für Naturrisiken» der Universität Bern zeigen jedoch, dass die Hälfte aller Überschwemmungsschäden auf Oberflächenabfluss zurückgehen. Das ist Regenwasser, das nach heftigen Niederschlägen nicht mehr im Boden versickert und beim Abfliessen auf der Geländeoberfläche Schäden hinterlässt.

Luzius Thomi, Leiter Geoanalyse und Naturrisiken bei der Mobiliar

Luzius Thomi, Leiter Geoanalyse und Naturrisiken bei der Mobiliar

Hat sie auch präventiven Charakter?

Ja sicher, die Gefährdungskarte sensibilisiert für das Schadenpotenzial durch Oberflächenabfluss. Darin liegt der Hauptnutzen. Sie hilft Bauherren, Gebäudeeigentümern und Behörden, die Gefährdungssituation besser einzuschätzen und die erforderlichen Schritte für wirksame Präventionsmassnahmen einzuleiten. Beim Oberflächenabfluss greift der etablierte Hochwasserschutz, der auf übertretende Gewässer ausgerichtet ist, nur ungenügend.

Wie setzen Sie als Versicherer die Gefährdungskarte ein?

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit direktem Kundenkontakt verwenden die Gefährdungskarte insbesondere mit Unternehmenskunden. Die Beratung und die Risikoprüfung von Unternehmensstandorten umfasst neben Fragen des Brandschutzes und dem Schutz vor Naturgefahren auch eine Beurteilung zum Oberflächenabfluss.

Wir bieten den Kunden einen Mehrwert, wenn wir mithilfe der Gefährdungskarte eine bessere Gesamteinschätzung abgeben – und unsere Kunden dadurch entsprechende Präventionsmassnahmen ergreifen können. Das ist doppelt positiv: Der Kunde wird vor Schaden bewahrt – und wir alle profitieren von einem günstigeren Schadenverlauf.

Abgesehen von den Unternehmenskunden: Welchen Nutzen haben private Hausbesitzer?

Mit der Gefährdungskarte können Hausbesitzer auf einfache Weise prüfen, ob ihr Gebäude durch Oberflächenabfluss gefährdet ist. Bei bestehenden Häusern ist ein Nachrüsten mit Kosten verbunden. Nachträglich ergriffene Präventionsmassnahmen können aber einfach und verhältnismässig kostengünstig sein, wie zum Beispiel die Erhöhung von Lichtschächten.

Besonders empfehlenswert ist der Blick auf die Karte bei der Planung von Neubauten, damit Bauherren wissen, wie stark ihr Bauvorhaben betroffen ist. Werden die richtigen Massnahmen frühzeitig getroffen, entstehen kaum Mehrkosten. Bauherren können bei Bedarf schon in der Planungsphase das Gelände so gestalten, dass das Wasser abfliessen kann, Fenster bis zum Boden vermeiden sowie von Anfang an höhere Lichtschächte und Schwellen einbauen.

Die Gefährdungskarte Oberflächenabfluss wurde vor einem Jahr eingeführt. Sie ziehen also eine durchwegs positive Zwischenbilanz?

Ja, die Karte ist ein nützliches Instrument, um das Bewusstsein für die Prävention von Oberflächenabfluss zu fördern. Bund, Kantonale Gebäudeversicherer und Privatversicherer sind wichtige Akteure, die sich mit dem Schutz vor Naturgefahren befassen – und sie stehen hinter dem neuen Instrument. Die Gefährdungskarte geniesst eine hohe Akzeptanz.

 Zur Gefährdungskarte Oberflächenabfluss