Die zer­stö­re­ri­sche Macht des Was­sers

KontextArchive23. Oktober 2019

Wie ein Gewitter und ein Tierheimdrama den Kanton Schaffhausen veränderten

Im Kanton Schaffhausen richtete ein Unwetter im Jahr 2013 verheerende Schäden an. In einem Tierheim ertranken 40 Tiere. Der Werkhof des Kantons stand unter Wasser. Insgesamt wurden im ganzen Kanton 530 Gebäude beschädigt. Für die Schäden war fast ausschliesslich Oberflächenabfluss verantwortlich. Aus dieser Katastrophe hat man viel gelernt. 

Es ist eine Nachricht, die jedem Tierfreund das Herz zerreisst. Am 2. Mai 2013 zieht eine Gewitterfront über den Kanton Schaffhausen. Auf den ersten Blick kein Grund zur Sorge. Doch an diesem Tag offenbart die Naturgewalt ihre ganze zerstörerische Kraft. Das örtliche Tierheim wird mit aller Wucht getroffen. Polizeibilder zeigen das Ausmass der Flut und lassen erahnen, welche Dramen sich in den Gebäuden abgespielt haben müssen.

Bis zum Dach reichen die Wassermassen. Mitarbeiter des Tierheims versuchen, die Tiere zu retten und bringen sich dabei selber in grosse Gefahr. Wegen Unterkühlung kommen sie ins Spital. Die traurige Bilanz dieses Tages: Neun Hunde, elf Katzen und etliche Kaninchen ertrinken in den Wassermassen. Insgesamt 40 Tiere kommen ums Leben. Danach ist nichts mehr so, wie es vorher war. Der Schock sitzt tief.

Bald sind die Wassermassen abgezogen, aber dafür fliessen nun die Tränen. Nie habe sie sich vorstellen können, dass so etwas passieren könnte, sagt eine Tierheim-Mitarbeiterin sichtlich erschüttert zu den Medien. Man habe immer gedacht, Feuer sei schlimm, sagt die Mitarbeiterin. Dass die Katastrophe nun mit dem Wasser gekommen ist, hatte man sich nicht vorstellen können. Die Betroffenheit der Anwohner ist ebenso gross wie ihre Solidarität mit dem Tierheim. Nicht zuletzt dank vielen Spenden und freiwilligen Arbeitseinsätzen kann das Tierheim wiederaufgebaut werden. Ein zentraler Aspekt ist dabei der Hochwasserschutz. So etwas soll und wird weder den Schützlingen noch ihren Betreuern noch einmal passieren.
 

Das Tierheim in Schaffhausen nach dem Unwetter. Copyright: Keystone-SDA/Steffen Schmidt

Das Tierheim in Schaffhausen nach dem Unwetter. Copyright: Keystone-SDA/Steffen Schmidt

Ein Schock und ein Augenöffner

Für den Kanton Schaffhausen war das Ereignis vom Mai 2013 ein Einschnitt. Es war eines der grössten Hochwasserereignisse im Kanton, sagt Jürg Schulthess, Leiter der Abteilung Gewässer im Kanton Schaffhausen. Neben dem Drama um das Tierheim gab es Schäden an 530 Gebäuden. Die kleine Gemeinde Stetten war am meisten betroffen. Auch der Werkhof des Kantons war unter Wasser, was im Falle eines solchen Naturereignisses natürlich denkbar schlecht ist. Allein hier entstand ein Schaden von 4 Millionen Franken. Die Schadenssumme belief sich insgesamt auf 20 bis 25 Millionen Franken.

Für die Behörden war das Ereignis ein Schock, aber auch ein Augenöffner. Es brauchte diese Flut, um genau hinzuschauen und die richtigen Massnahmen an die Hand zu nehmen, sagt Jürg Schulthess. Die Ereignisanalyse sollte ergeben, dass 90 Prozent der Schäden auf den Oberflächenabfluss zurückzuführen waren. Das heisst, nicht ausufernde Flüsse und Bäche waren die Quelle der zerstörerischen Wassermassen, sondern Regenwasser, das nach einem Starkniederschlag über offenes Gelände abfloss. Das Phänomen, auch Hangwasser genannt, war im Kanton Schaffhausen zwar nicht unbekannt; dass es solche Ausmasse annehmen könnte, hatte bis dahin aber noch niemand erlebt.  
 

«Gefährdungskarte Oberflächenabfluss» wird publiziert

Das Ereignis und die Erkenntnis daraus hat weit über die Grenzen des Kantons Schaffhausen hinaus das Bewusstsein für die Gefahren durch Oberflächenabfluss geschärft. Bis zu 50 Prozent aller Überflutungsschäden können gemäss Experten dem Oberflächenabfluss zugerechnet werden. Allein – die juristischen Grundlagen zum Hochwasserschutz umfassen primär Bäche und Flüsse. Auf der Gefahrenkarte seien die Schäden des Oberflächenabflusses deshalb nicht abzulesen gewesen, sagt Jürg Schulthess.

Diese Lücke hat sich nun insofern geschlossen, als das Bundesamt für Umwelt (BAFU) zusammen mit der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VKG) und dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) eine schweizweit flächendeckende Gefährdungskarte für den Oberflächenabfluss erstellt und veröffentlicht hat. Diese Hinweiskarte dient primär der Sensibilisierung und der Prävention. Sie ist frei zugänglich und zeigt die potenzielle Gefahr durch Oberflächenabfluss und die jeweils zu erwartenden Fliesstiefen; je dunkler das Lila, desto gefährdeter die betroffene Liegenschaft oder Umgebung. Die Risikoeinschätzung beruht auf einer wissenschaftlichen Modellierung und ist auf der Gefährdungskarte schweizweit flächendeckend und einheitlich kartiert. Die Karte dient der Sensibilisierung und der Prävention. Sie ist nicht nur für jeden Hausbesitzer interessant, der die potenzielle Gefahr für seine Liegenschaft kennen und allenfalls Vorkehren treffen will, sie ist vor allem auch eine wichtige Planungsgrundlage für Bauherren, Planer und Behörden.

Hätte es diese Karte früher gegeben, hätte es das Tierheimdrama von Schaffhausen vielleicht nie gegeben. Immerhin lieferte das traurige Ereignis einen wesentlichen Impuls für die Erstellung der Gefährdungskarte. Damit gab es in all dem Unglück doch noch etwas Gutes.

Zur «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss»

Präventionstipps finden Sie unter www.schutz-vor-naturgefahren.ch