Vom Ha­gel zur KI: Pri­vat­ver­si­che­rer im Diens­te ei­ner nach­hal­ti­gen Wirt­schaft

News06. Dezember 2023

Die Versicherungswirtschaft ist stabil und langfristig orientiert. Indem sie Privatpersonen und Unternehmen unterstützt, fördert sie den Wohlstand unserer gesamten Wirtschaft. Interview mit der Tessiner Sektion des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV: Samuele Donnini, Präsident, und Mauro Canevascini, Vizepräsident.

Im Kanton Tessin stützen die Privatversicherer mit einem flächendeckenden Standortnetz das wirtschaftliche Gefüge der Region: Sie generieren über 611 Millionen Franken an Wertschöpfung, also rund zwei Prozent des kantonalen BIP, und beschäftigen über 1200 Personen (Vollzeitäquivalente), zusätzlich zu den 900 im Tessin tätigen Versicherungsbrokern. Wir sprachen mit den Vorsitzenden der Tessiner Sektion des SVV.
 

Welches sind die Hauptziele des SVV?

Samuele Donnini: Der SVV setzt sich für einen starken Finanz- und Versicherungsstandort Schweiz ein. Damit wir unsere Rolle bei der Unterstützung der Schweizer Wirtschaft weiterhin wahrnehmen können, ist es wichtig, dass ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaftsfreiheit und Regulierungsbedarf gefunden wird. Als regionale Sektion setzen wir uns auch im Tessin dafür ein, dass die guten Rahmenbedingungen der Schweiz nicht übermässigem Interventionismus zum Opfer fallen. 

Samuele Donnini Mauro Canevascini ASA Ticino

Samuele Donnini (links), Mauro Canevascini.

2023 war für den Finanzsektor ein besonderes Jahr. Was würde passieren, wenn im Versicherungssektor ein ähnliches Szenario wie bei der Credit Suisse eintreten würde?

SD: Die Antwort ist klar: Ein solches Szenario ist für die Versicherer unrealistisch. Unser Geschäftsmodell unterscheidet sich von dem der Banken. Versicherungsverträge decken spezifische Risiken ab. Die Prämien vieler Versicherter werden so berechnet, dass sie die Schäden einiger weniger Versicherten finanzieren. Wenn kein Schaden eintritt, gibt es auch keinen Anspruch auf Entschädigung. Zudem verfügt unsere Branche mit den Rückversicherern, den Versicherern der Versicherer, über ein umfangreiches, weltweit diversifiziertes Garantiesystem. Darüber hinaus müssen die Versicherer im Rahmen des «Schweizer Solvenztests» risikobasierte Kapitalanforderungen erfüllen, die von den Schweizer Versicherern im Durchschnitt weit übertroffen werden. Daher ist das «Too big to fail»-Szenario in unserer Branche unrealistisch und es besteht keine Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen für Versicherer aufgrund der Ereignisse bei der Credit Suisse anzupassen. Dennoch bleibt es wichtig, die Besonderheiten und die Bedeutung der Privatversicherung klar zu kommunizieren, sowohl im Tessin als auch in den anderen Landesteilen.
 

Das Hagelereignis vom 25. August in der Region Locarno hat im Kanton Tessin tiefe Spuren hinterlassen. Welche Lehren können daraus gezogen werden?

Mauro Canevascini: Heute wissen wir, dass der Hagelschlag vom 25. August für die Versicherer in der Schweiz das bedeutendste Naturereignis des Jahres war, mit geschätzten Schäden von über 300 Millionen Franken und mehr als 20’000 zu bearbeitenden Schadenmeldungen, von denen die grosse Mehrheit gelöst werden konnte. In dieser schwierigen Zeit waren die Versicherer in der Lage, schnell zu reagieren und präsent zu sein, um die Bevölkerung zu unterstützen. Wir alle haben einen enormen Effort geleistet, um die Anträge effizient und schnell bearbeiten zu können. Dies wäre ohne das grosse Verständnis, die Solidarität und die konstruktive Zusammenarbeit der Versicherten nicht möglich gewesen.

Artikel zu diesem Thema: «Die Versicherungswirtschaft unterstützt Bevölkerung und Volkswirtschaft in der Risikobewältigung» | SVV

Hagel Locarnese 2023

Hagelereignis im Locarnese, 25. August 2023.

Nächstes Jahr wird das Volk erneut über die Zukunft unserer Renten abstimmen. Wie sehen das die Versicherer?

MC: Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt und es sind neue Arbeitsmodelle zu berücksichtigen. Die demografischen Veränderungen stellen die Nachhaltigkeit unserer Renten auf eine harte Probe. Eine Reform ist daher notwendig, um unser Dreisäulensystem zu stabilisieren und zu modernisieren. Ein erster Schritt in diese Richtung war die AHV-Reform, die im letzten Jahr angenommen wurde. Der nächste wichtige Schritt ist die BVG-Reform. Die Hauptakteure der Wirtschaft, mehrere politische Parteien und diverse Verbände unterstützen diese Reform: Sie erkennen an, dass sie die Situation eines Teils der Bevölkerung verbessern kann, insbesondere von Personen mit geringem Einkommen oder Teilzeitbeschäftigten, bei denen es sich oft um Frauen handelt. Die Wirtschaftslage oder die Inflation werden nichts an den strukturellen Problemen ändern, die diese Reform notwendig machen. Das ist den Befürwortern klar, und es wird ihre Aufgabe sein, die Bevölkerung zu überzeugen. Wir Versicherer können unsere Expertise und unsere Kenntnisse des Systems nutzen, um zur Verbreitung korrekter Informationen über die Reform beizutragen. Im März nächsten Jahres wird das Volk auch über zwei Initiativen im Bereich der ersten Säule abstimmen: Wir werden diese Abstimmungen mit grossem Interesse verfolgen.

 

Im vergangenen Mai war die traditionelle Veranstaltung der ASA Ticino «InsurTalk Ticino» der künstlichen Intelligenz gewidmet. Mit dem Institut Dalle Molle für Studien zur künstlichen Intelligenz (USI-SUPSI) verfügt das Tessin über ein international anerkanntes Kompetenzzentrum auf diesem Gebiet. Gibt es dazu Neuigkeiten?

SD: Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette hinsichtlich Effizienz, Genauigkeit und Qualität zu verbessern und damit die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zu unterstützen. Ein verantwortungsbewusster Einsatz von KI erfordert ein Gleichgewicht zwischen dem, was technisch möglich, rechtlich zulässig und gesellschaftlich akzeptabel ist. Die Privatversicherer sind sich ihrer Rolle und ihrer Verantwortung gegenüber den Kunden bewusst und haben daher kürzlich branchenspezifische Empfehlungen zum Umgang mit KI formuliert, die unter anderem vorsehen, dass der Einsatz von KI dem Kunden mitgeteilt werden muss.

Das Jahr 2023 in Bildern

16. Mai 2023: Jahresanlass «InsurTalk Ticino» in Lugano

Anlässlich der Podiumsdiskussion diskutierten die Tessiner Regierungsrätin Marina Carobbio Guscetti, Direktorin des Departements für Bildung, Kultur und Sport, und Prof. Emilio Andrea Rizzoli, Direktor des Dalle Molle Instituts für Studien zur künstlichen Intelligenz (USI-SUPSI), mit den Teilnehmenden über die Chancen und die Grenzen der künstlichen Intelligenz.

Consigliera di Stato Carobbio, Prof. Rizzoli, InsurTalk Ticino 2023

Samuele Donnini, Marija Sommer, Andrea Emilio Rizzoli, Marina Carobbio Guscetti, Gianfranco De Santis (v. l. n. r.)

23. Juni 2023: Kongress des Schweizerischen Verbands der Versicherungs-Generalagenten (SVVG) in Lugano

Der siebte Kongress des SVVG in Lugano war dem Thema «Blockchain und ESG» gewidmet. Als SVV-Vorstandsmitglied und CEO der Vaudoise Versicherungen ergriff Jean-Daniel Laffely die Gelegenheit, die Bedeutung von Nachhaltigkeit und neuen Technologien für die Versicherungswirtschaft zu betonen und einen Überblick über die Prioritäten der Branche zu geben.

JD Laffely Congresso FSAGA Lugano

Jean-Daniel Laffely, Vorstandsmitglied SVV und CEO Vaudoise Versicherungen

25. August 2023: Hagelsturm in der Region Locarno

Der Hagelsturm in der Region Locarno war für die Schweizer Versicherer das grösste Naturereignis des Jahres. Mit Hagelkörnern bis zu einer Grösse von sieben Zentimetern verursachte das Unwetter versicherte Schäden in Höhe von über 300 Millionen Franken und führte zu über 20’000 Schadenfällen, die den Versicherungen gemeldet wurden. Die meisten Schäden entstanden an Fahrzeugen und Dächern, darunter auch an Solarpanels.

Hagel Facts & Figures IT DE FR

Illustration: Zahlen und Fakten zum Hagelereignis im Locarnese

29. September 2023: Besuch des SVV-Präsidenten Stefan Mäder in Lugano

Eine Delegation des Vorstands der Tessiner Sektion des SVV konnte sich anlässlich eines Treffens in Lugano mit dem neuen SVV-Präsidenten Stefan Mäder, dem Verwaltungsratspräsidenten der Mobiliar, über die Kernanliegen der Versicherungswirtschaft auf nationaler und Tessiner Ebene austauschen.

Stefan Mäder, ASA Ticino

Marzio Zappa, Samuele Donnini, Stefan Mäder, Michele Bertini, Mauro Canevascini (v. l. n. r.)