In Kür­ze

09. September 2021

In der Pandemie rückt Freiheit vor Sicherheit

Freiheit und Sicherheit – zwei grundlegende Werte der Gesellschaft – bedingen einander, ebenso wie sie sich begrenzen. Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit wurde seit mehr als einem Jahr die persönliche Freiheit in einem in offenen Gesellschaften noch kaum erdenklichen Ausmass eingeschränkt. Als Folge dieser Abwägung werden Sicherheit und Freiheit zunehmend als unvereinbare Gegensätze betrachtet, bei der die Befriedigung des einen Bedürfnisses unweigerlich zulasten des andern geht. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen: Über die vergangenen Monate wurden die Grenzen von Sicherheit und Freiheit neu definiert. Heute, nach vielen Monaten mit Pandemieregime, würde ein grösserer Bevölkerungsanteil die Freiheit der Sicherheit vorziehen als umgekehrt (+4 Prozentpunkte, Abb. 1) – im Jahr zuvor war das Verhältnis noch ausgeglichen. Dennoch lässt sich nicht von einer allgemeinen Werteverschiebung sprechen: Die beobachtbare Einstellungsveränderung lässt sich hauptsächlich auf eine Werteverschiebung bei Personen mit rechtsbürgerlicher Ausrichtung zurückführen. Noch im Vorjahr überwog bei den Befragten eine Priorisierung der Sicherheit (59 %, Abb. 3). Heute dominiert das Freiheitsprimat (55 %).

Risikoaversion im Generationenvergleich – je jünger, je augenfälliger

Risiken eingehen, bedeutet immer auch Sicherheit aufgeben. Risikobereitschaft wird in der heutigen Gesellschaft aber vor allem mit Unvernunft in Verbindung gebracht; die positive Seite der Güterabwägung zwischen Wagnis und Sicherheit wird ausgeblendet. Wir entwickeln uns immer mehr zu einer Null-Risiko-Gesellschaft, die sämtliche Risiken kontrollieren und beseitigen will. Zwar sieht sich gut zwei Drittel der Befragten zumindest nicht weniger risikobereit als frühere Generationen (Abb. 10). Es ist allerdings hauptsächlich die Generation der Babyboomer, die sich in der Tendenz risikobereiter einschätzt als noch ihre Eltern (Abb. 11). Junge Erwachsene konstatieren dagegen in ihrer Generation eine offenkundige Risikoaversion.

Wer wagt, gewinnt?

Wer im Leben etwas erreichen will, muss sich auf gewisse Risiken einlassen. Im Allgemeinen scheut sich die Bevölkerung allerdings vor riskanten Entscheidungen. Einzig beim Stellenwechsel ging eine Mehrheit der Befragten schon Risiken ein (Abb. 12). In anderen Bereichen, gerade bei der Altersvorsorge oder der Firmengründung, sind wir jedoch kaum bereit, riskante Entscheidungen zu treffen. Dies obwohl Befragte, die schon eine gewisse Risikobereitschaft zeigten, in der Regel positive Erfahrungen machten – sei es beim Immobilienkauf, bei der Firmengründung oder bei privaten Bindungen. Einzig riskante Entscheide bei Geldanlagen waren ebenso häufig mit positiven wie mit negativen Erfahrungen verbunden.

Risikowahrnehmung – Brennpunkt Zusammenhalt der Gesellschaft

Die Covid-19-Pandemie hat in den Augen der Bevölkerung das Risiko gesellschaftlicher Konflikte erhöht. Die hitzigen Diskussionen über Einschränkungen, Impfpflicht und die ungleiche Betroffenheit der verschiedenen Wirtschaftsbranchen scheinen die Befürchtungen genährt zu haben, dass der gesellschaftliche und soziale Zusammenhalt in der Schweiz zunehmend brüchig wird (Abb. 16). Die grösste Gefahr sieht die Bevölkerung demnach aktuell in der zunehmenden Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft (56 Prozentpunkte) und in einer grösser werdenden Kluft zwischen Arm und Reich (47 Prozentpunkte).

Schreckgespenst Arbeitsplatzverlust

Bei der letztjährigen Befragung zeigte sich in der Bevölkerung eine gewisse Anspannung, in naher Zukunft die Stelle zu verlieren. Aktuell ist diese Befürchtung wieder weniger verbreitet. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass der krisenbedingte grosse Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgeblieben ist.1 Dennoch lässt sich nach wie vor nicht von einer allgemeinen Entspannung sprechen: Das Bedürfnis nach einem gesicherten Arbeitsplatz ist immer noch weniger gedeckt als vor Beginn der Pandemie (Abb. 23). Zugleich hat die Erwerbstätigkeit für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung einen höheren Stellenwert als noch in den Vorjahren (Abb. 21).

Finanzierung künftiger Altersrenten – noch mehr Schieflage wegen der Covid-19-Pandemie

Seit der erstmaligen Erhebung im Jahr 2019 lässt sich in der Bevölkerung eine zunehmend pessimistische Einschätzung der Rentenentwicklung beobachten (Abb. 31). Aktuell gehen 79 Prozent davon aus, dass die künftigen Renten im Allgemeinen tiefer ausfallen werden, als sie es heute sind. Die Angst vor ungenügenden Renten wurde durch die Covid-19-Pandemie noch akzentuiert. In den Augen einer Mehrheit der Bevölkerung wird sie sich noch zusätzlich negativ auf die in Schieflage geratene Finanzierung der obligatorischen Altersvorsorge auswirken (Abb. 35).

12020 lag die Arbeitslosenquote bei 3,1 Prozent. Gegenüber dem Vorjahr stieg die Arbeitslosigkeit damit um 0,8 Prozentpunkte. Staatssekretariat für Wirtschaft