Si­cher­heit und Frei­heit

09. September 2021

Sicherheit und Freiheit sind zentrale Werte unserer Gesellschaft. Es sind Werte, die sich auf vielfältige Weise bedingen und ergänzen. So ist Freiheit ohne ein Mindestmass an Lebenssicherheit nicht möglich – und Sicherheit verkommt zum Gefängnis, wenn sie nicht von Freiheit begleitet wird. Gleichzeitig stehen Sicherheit und Freiheit oft in einem Spannungsverhältnis. Die Ausweitung des einen geschieht in der Praxis oftmals durch eine Begrenzung des anderen. So werden Freiheiten mit dem Ziel eingeschränkt, die Sicherheit zu erhöhen – oder man verzichtet auf Sicherheiten, um die eigene Freiheit voll auszuschöpfen. Das Thema «Sicherheit», das im Zentrum dieser Studienreihe steht, lässt sich nicht losgelöst vom Thema «Freiheit» analysieren. Gerade die Covid-19-Pandemie hat dies deutlich gemacht. Die diesjährige Ausgabe des Sicherheitsmonitors legt den Fokus bewusst auf diese Dualität der beiden Begriffe.

Spannungsfeld

Im Rahmen der Pandemiebekämpfung – und damit zur Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung – wurden deren Freiheiten auf eine Weise eingeschränkt, wie es zuvor für freiheitlich-demokratische Gesellschaften undenkbar gewesen war. Umgekehrt wurden staatliche Sicherheitsnetze für von der Pandemie betroffene Wirtschaftsbranchen ungefragter akzeptiert als auch schon. In der Krise wurde das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit viel akuter, da sich Sicherheits- und Freiheitsbedürfnisse öfter als sonst in direktem Widerspruch befanden.

Wie bewertet die Bevölkerung vor diesem Hintergrund das Zusammenspiel von Sicherheit und Freiheit? Was gewichtet sie im Zweifelsfall höher? Die diesjährige Befragung zeigt: Die Bevölkerung ist aktuell in dieser Frage gleichmässig zweigeteilt. Die eine Hälfte zieht, wenn sie sich entscheiden muss, Freiheit der Sicherheit vor und bei der anderen Hälfte ist es umgekehrt. Dieses Unentschieden im Tauziehen zwischen den beiden gesellschaftlichen Grundwerten zeigt die Bedeutung des damit verbundenen Spannungsfeldes. Wie Abbildung 1 illustriert, ist die Gruppe mit dem Freiheitsprimat im Jahresvergleich grösser (+4 Prozentpunkte), diejenige, die Sicherheit gegenüber Freiheit priorisiert, kleiner geworden (–4 Prozentpunkte).

 

Freiheit versus Sicherheit (Abb. 1)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 1 DE

«Wenn Sie sich entscheiden müssten: Was ist Ihnen wichtiger, Ihre persönliche Sicherheit oder persönliche Freiheit?», Angaben in Prozent

Insgesamt priorisieren Frauen Sicherheit gegenüber Freiheit etwas häufiger als Männer (Abb. 2). Bei beiden Geschlechtern hat es jedoch im Jahresvergleich eine Verschiebung Richtung Freiheit gegeben. Differenzierter sind die Veränderungen in den Altersgruppen: Noch vor einem Jahr war der Anteil jener, die Freiheit höher gewichten als Sicherheit, bei den jungen Erwachsenen am grössten. Die Pandemie hat nun jedoch primär bei den 36- bis 65-Jährigen zu einem Meinungsumschwung beigetragen. Der Anteil, der Freiheit vorzieht, hat bei den mittleren Altersgruppen im Jahresvergleich um 6 Prozentpunkte zugenommen, derweil er bei den Jüngeren konstant geblieben ist.

 

Freiheit und Sicherheit – nach Alter und Geschlecht (Abb. 2)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 2 DE

«Wenn Sie sich entscheiden müssten: Was ist Ihnen wichtiger, Ihre persönliche Sicherheit oder persönliche Freiheit?», Angaben in Prozent

Dies macht deutlich, dass die anhaltenden Freiheitsbeschränkungen insbesondere bei den mittleren Altersgruppen zu einer Neubewertung des Verhältnisses von Sicherheit und Freiheit beigetragen hat. Die jungen Erwachsenen, die von der Pandemie in beruflichen und privaten Übergangsphasen getroffen wurden, zeigen dagegen keine zusätzliche Verschiebung der Balance Richtung Freiheit.

In der Pandemie rückt Freiheit vor Sicherheit

Die Hintergründe für den Einstellungswandel zwischen 2020 und 2021 werden greifbar, wenn die Veränderungen nach politischer Orientierung analysiert werden. So war noch im Juni 2020 die Priorisierung von Sicherheit gegenüber Freiheit bei Personen mit rechtsbürgerlicher Ausprägung besonders ausgeprägt. Innerhalb eines Jahres ist die Präferenz für Sicherheit jedoch von 59 Prozent auf 44 Prozent gefallen (Abb. 3).

 

Freiheit und Sicherheit – nach Parteinähe (Abb. 3)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 3 DE

«Wenn Sie sich entscheiden müssten: Was ist Ihnen wichtiger, Ihre persönliche Sicherheit oder persönliche Freiheit?», Angaben in Prozent

Demgegenüber hat vor allem der Anteil jener, die klar die Freiheit priorisieren, stark zugenommen – nämlich von 12 auf 33 Prozent.

Noch vor kurzer Zeit gehörte zu einer konservativen Grundhaltung eine besondere Präferenz für Sicherheit. So ist die Stärkung der inneren und äusseren Sicherheit in einer gefahrenvollen Welt ein klassisch konservatives Anliegen. Offenbar haben die anhaltenden Massnahmen zur Eindämmung von Covid-19 nun den Wert der Freiheit für Personen aus dem konservativen Spektrum steigen lassen. Ebenfalls ein Trend zu mehr Freiheit zeigt sich bei der Anhängerschaft der Mitte (dem Fusionsprodukt von CVP und BDP). Diese Partei steht in der Mitte des politischen Spektrums, sie positioniert sich jedoch als eher konservative Mitte.

Zugenommen hat demgegenüber die Wertschätzung von Sicherheit im Vergleich zu Freiheit bei den Anhängerschaften von FDP und GLP – den beiden Parteien des liberalen Spektrums. Während Freiheit im vergangenen Jahr eine konservativere Färbung erhalten hat, ist Sicherheit für liberal Denkende offenbar wichtiger geworden. Die Pandemiesituation hat im liberalen Spektrum die Bedeutung von staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und zur wirtschaftlichen Absicherung steigen lassen. Kaum verändert hat sich die Einschätzung von Sicherheit und Freiheit auf der linken Seite des Spektrums. Personen, die der SP oder den Grünen nahestehen, favorisierten 2020 und 2021 gleichermassen die Freiheit. Dies alles zeigt, dass sich mit Covid-19 die Bewertung von Sicherheit und Freiheit verschoben hat. Vor dem Hintergrund dieser Krise gewichten konservative Kräfte Freiheit höher als zuvor, während liberal Denkende die Sicherheit aktuell stärker gewichten als in der Vergangenheit.

Dass die neue konservative Freiheitsorientierung tatsächlich mit der Coronasituation zu tun hat, zeigt die direkte Frage nach der persönlichen Freiheit während der Pandemie. Insgesamt sehen mehr als zwei Drittel der Befragten ihre Freiheit, trotz wiederholter Lockdownphasen, zumindest in der Tendenz garantiert (Abb. 4). Wie die Aufschlüsselung in Abbildung 5 zeigt, unterscheidet sich die Einschätzung der Personen, die der SVP nahestehen, jedoch grundlegend von allen anderen. 57 Prozent von ihnen sind der Ansicht, dass ihre persönliche Freiheit seit Beginn der Pandemie nur unzureichend garantiert ist. Bei allen anderen sind es höchstens ein Fünftel.

 

Freiheit in der Pandemiezeit (Abb. 4)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 4 DE

«Wie gut sehen Sie Ihre persönliche Freiheit in der Schweiz seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 garantiert?», Angaben in Prozent

Wie zu erwarten, unterscheiden sich die Einschätzungen nach Alter. Besonders junge Erwachsene sahen ihre persönliche Freiheit seit Pandemiebeginn nicht immer garantiert. Aufgrund ihrer Lebenssituation waren sie von den Einschränkungen besonders betroffen. Zudem führte die tiefere Wahrscheinlichkeit einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung durch das Virus dazu, dass die Einschränkungen mit weniger Eigeninteresse verbunden waren als bei den älteren Personen. Interessant ist, dass sich trotz dieser kritischen Einschätzung das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit bei den jungen Erwachsenen nicht zugunsten der Freiheit verschoben hat. Wie oben gezeigt, (vgl. Abb. 2) ist eine entsprechende Verschiebung eher bei den über 35-jährigen Erwachsenen sichtbar.

 

Freiheit in Pandemiezeit – nach soziodemografischen Merkmalen (Abb. 5)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 5 DE

«Wie gut sehen Sie Ihre persönliche Freiheit in der Schweiz seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 garantiert?», Angaben in Prozent

Was Sicherheit und Freiheit bedeuten

Sicherheit und Freiheit gehören zu den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen und sie bilden, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, zugleich ein Spannungsfeld. Die Begriffe sind Gefässe, die mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden können. Welche Inhalte dies beim Begriff der Sicherheit sind, zeigt Abbildung 6. Von den meisten Befragten werden die gleichen zwei Ausprägungen von Sicherheit ins Zentrum gestellt. Sicherheit wird zum einen mit körperlicher Unversehrtheit («Schutz vor Gewalt»), zum anderen mit finanzieller Absicherung («genügend finanzielle Mittel haben») in Verbindung gebracht. Die erste Dimension steht für die Ziele der inneren und äusseren Sicherheit, die durch Polizei und Armee gesichert werden. Die zweite Ausprägung steht für Sicherheit in ökonomischer Hinsicht, die durch eigene Wirtschaftsleistung oder den Sozialstaat erbracht wird. Sowohl die polizeiliche als auch die soziale Sicherheit erachten über zwei Drittel der Befragten als zentral. Ebenfalls häufig genannt wird der Schutz vor Willkür. Dieser Grundsatz steht für das Konzept des Rechtsstaats. Hier geht es um einen weiteren klassischen Aspekt von Sicherheit. Interessant ist, dass der Faktor Gesundheit ebenfalls von jeder dritten befragten Person mit Sicherheit verbunden wird. Es ist dies eine Dimension, die in der Sicherheitsdebatte traditionell keine zentrale Rolle spielt. Gerade im Kontext der aktuellen Pandemie ist jedoch die Bedeutung der Gesundheit als Sicherheitsthema sehr akut geworden.

 

Begriffsdeutung von Sicherheit (Abb. 6)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 6 DE

«Was bedeutet Sicherheit für Sie persönlich?», Mehrfachantworten, Angaben in Prozent

Bei den beiden meistgenannten Ausprägungen von Sicherheit – körperliche Unversehrtheit und finanzielle Absicherung – handelt es sich um sehr unterschiedliche Aspekte des Sicherheitsbegriffs. Entsprechend könnte man erwarten, dass die relative Häufigkeit ihrer Nennung innerhalb der Gesellschaft stark variiert. Abbildung 7 zeigt nun allerdings, dass beide Aspekte unabhängig von Geschlecht, Alter und politischer Orientierung jeweils von mindestens zwei Dritteln genannt werden.

 

Begriffsdeutung von Sicherheit (Abb. 7)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 7 DE

«Was bedeutet Sicherheit für Sie persönlich?», Mehrfachantworten, Angaben in Prozent

Bei den kleineren Unterschieden, die dennoch bestehen, sind es vor allem zwei, die etwas stärker ausgeprägt sind: Junge Erwachsene nennen den Schutz vor körperlicher Gewalt im Vergleich zur finanziellen Absicherung besonders oft. Einen ähnlichen Unterschied zeigt sich zudem bei den Befragten, die der SVP nahe sind. Einzig die SP-nahen befragten Personen nennen etwas häufiger den finanziellen Aspekt von Sicherheit als die körperliche Unversehrtheit. Auch wenn darin eine leicht unterschiedliche Gewichtung zwischen links und rechts in der Parteienlandschaft zum Ausdruck kommt, bleibt das Entscheidende, dass die meisten – unabhängig von ihrer politischen Haltung – beide Aspekte als wichtig erachten. Sicherheit wird also von den meisten in einem umfassenden Sinn verstanden.

Während Sicherheit für die meisten Befragten durch die drei Komponenten physische und finanzielle Sicherheit sowie Rechtsstaatlichkeit bestimmt ist, sind die Konturen von Freiheit etwas weniger klar umrissen. Sehr klar ist jedoch, was fast alle Befragten zum Kern ihrer persönlichen Freiheit zählen: Es sind die Meinungs- und die Bewegungsfreiheit, die von fast neun von zehn Befragten genannt werden (Abb. 9). Ein wichtiger Teil von Freiheit besteht für eine grosse Mehrheit der Befragten auch im demokratischen Mitbestimmungsrecht (76 %).

 

Begriffsdeutung von Freiheit (Abb. 8)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 8 DE

«Was bedeutet Freiheit für Sie persönlich?», Mehrfachantworten, Angaben in Prozent

Oft genannt wird der Aspekt des selbstbestimmten Handelns (79 %). Auffällig ist, dass das eigenverantwortliche Handeln mit 65 Prozent deutlich weniger häufig genannt wird als das selbstbestimmte Tun. Freiheit wird somit eher als Freiheit von Zwängen (negative Freiheit) denn als Freiheit zu Gestalten (positive Freiheit) verstanden. Noch viel weniger wird Freiheit damit verbunden, etwas wagen zu können (30 %). Dies zeigt, dass das Freiheitsverständnis in der schweizerischen Gesellschaft nur bei einer Minderheit darin besteht, gezielte Risiken eingehen zu können, um etwas Besonderes zu erreichen.

Wie schon beim Sicherheitsbegriff sind die Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen gering. Zumindest in drei Bereichen zeigt sich jedoch ein Unterschied nach dem Alter der Befragten. Während die Bedeutung von Selbstbestimmung mit steigendem Alter leicht abnimmt, gewinnt die Eigenverantwortung im Alter an Bedeutung. Noch stärker nimmt die Bedeutung der materiellen Freiheit zu: Genügend finanzielle Mittel zu haben, wird von älteren Personen deutlich häufiger als ein Merkmal von Freiheit verstanden als von jüngeren Menschen.

 

Begriffsdeutung von Freiheit – nach Alter (Abb. 9)

Sicherheitsmonitor 2021, Abb. 9 DE

«Was bedeutet Freiheit für Sie persönlich?», Mehrfachantworten, Angaben in Prozent