Das Le­ben bleibt ris­kant – wir müs­sen ler­nen, da­mit um­zu­ge­hen

News08. Februar 2021

Die Pandemie hat unser Bewusstsein für Grossrisiken geschärft, die sich privat nicht versichern lassen. Wir müssen uns Gedanken über öffentlich-private Risiko-Partnerschaften machen, meint Juan Beer in einem Gastbeitrag in der «NZZ am Sonntag» vom 7. Februar 2021.

Risiken gehören zum Leben. Genau darum leistet die Versicherungswirtschaft seit über 350 Jahren einen wichtigen Beitrag zu deren Erkennung, Prävention und Verteilung. Mit ihrer Risikoübernahme nehmen die Privatversicherer auch volkswirtschaftliche Verantwortung wahr. Sie unterstützen so den Wohlstand, ermöglichen den Handel und erhöhen die Resilienz von Wirtschaft und Gesellschaft. Ohne Versicherungen wären materielle Sicherheit und damit Fortschritt sowie Innovation kaum möglich. Darum wurden sie erfunden. Darum werden sie nachgefragt und angeboten.

Mit dem Erkennen und dem Versichern von Risiken ist es aber nicht getan. Mögliche Risiken müssen nach Wahrscheinlichkeit und Ausmass bewertet werden. Diese Aufgabe beschränkt sich nicht allein auf die Versicherungsunternehmen. Sie betrifft Private, KMU, Grossunternehmen, Politik und Verwaltung. Wir alle müssen vorausschauen, Risiken abwägen und – zwischen Angst und Mut – Entscheide fällen. Das richtige Risikobewusstsein zu entwickeln, ist dabei keineswegs eine Nebenaufgabe. Katastrophen, die um die Ecke liegen oder in der Erinnerung noch wach sind, geniessen höchste Aufmerksamkeit. Risiken, die erst in Umrissen bekannt sind, oder Ereignisse, die schon sehr weit zurückliegen, werden gerne ausge­blendet. Das ist die grosse Gefahr beim Umgang mit Risiko.

Covid-19 wirft derzeit ein grelles Licht auf die Verwundbarkeit moderner Gesellschaften. Globalisierte Lieferketten brechen auf. Längst vergessene Grenzen gehen plötzlich zu. Vorräte fehlen und müssen nachträglich überteuert beschafft werden. Immer mehr Private und Unternehmen geraten in Not, Wohlstand und Handel sind gefährdet, die Zukunftsaussichten getrübt. Ratlosigkeit und Verzweiflung machen sich breit. Der Staat hilft mit Geld, wo er kann, aufgrund der fehlenden Vorbereitung jedoch nur reaktiv. Die Schulden wachsen, die Nachhaltigkeit leidet. Diese geballte Rückkehr von Risiken setzt Menschen, Unternehmen und Behörden unter Druck. Das ist für viele eine ganz neue Erfahrung. Sie sollte unser Risikobewusstsein schärfen und den Risikodialog stärken. Was genau sind die Konsequenzen für künftige Generationen? Welche Vorkehrungen müssen, wollen, können wir uns leisten? Und sind Prinzipien wie Vorratshaltung und Redundanz vielleicht doch nicht ganz von gestern?

Juan Beer CEO Zurich

Als CEO von Zurich Schweiz und als Vorstandsmitglied des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV kennt er sich mit Grossrisiken aus: Juan Beer.

Covid-19 offenbart nämlich, dass bestimmte Grossrisiken wie eine Pandemie rein privatwirtschaftlich nicht versicherbar sind. Die Schäden treten weltweit, gleichzeitig und in hoher Zahl auf. Die Risiken können nicht diversifiziert und nicht rückversichert werden. Bei einer Pandemie sind alle gleichzeitig betroffen. Damit ist ein fundamentales Prinzip der Versicherung verletzt, das darauf beruht, dass die Prämien von vielen die Schäden von wenigen decken. Gerade weil das so ist, haben Politik, Wirtschaft, die Bevölkerung und die Assekuranz ein grosses gemeinsames Interesse, rein privatwirtschaftlich nicht versicherbare Grossrisiken im Voraus zu debattieren, Lösungen zu finden und sie proaktiv umzusetzen. Das Konzept öffentlich-privater Partnerschaften drängt sich auf. Darauf abgestützte Lösungsvorschläge für eine Pandemieversicherung liegen inzwischen auf dem Tisch. Es ist abzuwarten, wie sich der Bundesrat zu diesen Vorschlägen stellen wird, die von der Verwaltung gemeinsam mit der Versicherungsbranche erarbeitet worden sind.

In den Szenarien zur Bewältigung solcher Grossrisiken sind Fachwissen, automatisierte Prozesse und personelle Ressourcen unabdingbar: von der Beurteilung des Schadens bis zur Auszahlung. Nur so können in kurzer Zeit Schadenmeldungen fair und effizient abgearbeitet werden. Die Infrastruktur und die Expertise der Versicherungen bieten da eine optimale Voraussetzung. Auch bei der Kontrolle und der Unterbindung von falschen Anreizen ist die Schweizer Versicherungswirtschaft dank ihrer Kompetenz die natürliche Partnerin des Bundes. Mit ihrem Vorschlag, diese Abwicklung zu unterstützen und sich – abhängig vom ausgewählten und politisch abgestützten Modell – am Risiko zu beteiligen, unterstreicht die schweizerische Assekuranz ihre Bereitschaft, eine zentrale Rolle zu spielen.

Zurzeit liegt unser Augenmerk auf der Pandemie. Aber auch Erdbeben, Cyber­attacken, Terrorismus oder Stromausfälle könnten uns vor ähnliche Szenarien stellen. Eine Vollkaskoversicherung für Grossrisiken kann und wird es nie geben. Die Versicherbarkeit hat ihre Grenzen. Der Risikodialog in unserem Land wird zeigen, ob und wie auch die Solidarität im Versichertenkollektiv unter diesen Bedingungen verwirklicht werden kann. Denn eines ist sicher: Der Umgang mit Grossrisiken bildet stets die Risikokultur einer Gesellschaft ab, und diese entscheidet über ihre Chancen in der Zukunft. Packen wir sie!

Dieser Meinungsartikel erschien zuerst in der NZZ am Sonntag vom 7. Februar 2021.