Der Nach­hal­tig­keit ver­pflich­tet

16. Juni 2022

Nachhaltigkeit und Klimaschutz bestimmen zunehmend die Agenda von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Schweizer Versicherer sind einerseits Teil der Debatte rund um Sustainable Finance, andererseits leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele für die Schweiz. Dazu gehören das Managen von Nachhaltigkeitsrisiken, die Eindämmung der Folgen des Klimawandels, die Lenkung der Kapitalanlagen in Richtung Nachhaltigkeit und ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen.

Die Herausforderungen für die Versicherungswirtschaft im operativen Geschäft waren dabei auch im vergangenen Jahr wiederum sehr anspruchsvoll, die Pandemie dominierte den Alltag mit einer dritten und vierten Welle. Trotz dieser Bedingungen ist es der Versicherungswirtschaft gelungen, die unterschiedlichen Aspekte von Nachhaltigkeit weiter voranzutreiben.

Nachhaltigkeitsstrategie des SVV und Rückblick

Anfang 2020 hat der SVV in seiner Verbandsstrategie 2020–2024 den Schwerpunkt «Nachhaltigkeit» gesetzt. Im vergangenen Jahr wurden in zahlreichen Verbandsgremien, insbesondere in der Kommission Nachhaltigkeit, Massnahmen entwickelt, um die strategische Umsetzung zu begleiten und die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise zu unterstützen.

«Die Nachhaltigkeit in der Branche ist noch nicht überall ausgereift und muss gefördert werden.»

Prof. Dr. David N. Bresch, Departement Umweltsystemwissenschaften, Institute for Environmental Decisions, Wetter und Klimarisiken, ETH Zürich

Bei der Verankerung von Nachhaltigkeit stehen abermals der Klimaschutz sowie die Anpassung an die negativen Auswirkungen des Klimawandels im Vordergrund. Das Erreichen von CO2-Neutralität bis ins Jahr 2050, um damit die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, ist eines der wesentlichsten Ziele der Schweiz in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit.

Der SVV teilt diese Ambition. Im Jahr 2021 ist der Verband als Supporter der Net-Zero Asset Owner Alliance (AOA) beigetreten. Dieses weltweite Netzwerk von Kapitalanlegern setzt sich zum Ziel, die CO2-Emissionen ihrer Anlageportfolios bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren.

Neben den Naturgefahren, die mit Sachversicherungen abgedeckt sind, beschäftigen die Privatversicherer weitere Grossrisiken. Die Coronapandemie hat offengelegt, dass Risiken mit einer geringen Eintretenswahrscheinlichkeit und grossem Schadenpotenzial nicht nur in der Theorie existieren.

Sie können von einem Tag auf den anderen Realität werden. Aus diesem Grund haben sich die Verbandsgremien des SVV im vergangenen Jahr intensiv mit dem vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz im Jahr 2020 publizierten Gefährdungskatalog auseinandergesetzt. In einer Arbeitsgruppe wurden die einzelnen Risiken analysiert und auf ihre Bedeutung für die Versicherungswirtschaft geprüft.

Dabei wurden drei Gefährdungen mit unmittelbarem Handlungsbedarf identifiziert: Die Toprisiken Strommangellage, 
Cyberangriff und Erdbeben, die sich direkt oder indirekt auch auf ökologische und soziale Nachhaltigkeitsaspekte auswirken, werden verbandsintern mit hoher Intensität weiterbearbeitet.

Auch in der Altersvorsorge hat sich der SVV auf politischer Ebene dafür eingesetzt, einer zukunftsfähigen und der Nachhaltigkeit verpflichteten Lösung den Weg zu bereiten. So wird in der AHV-Revision die vom Parlament beschlossene Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre unterstützt. Dies ist ein bedeutender Pfeiler, um das Sozialwerk in eine sicherere Zukunft zu führen und ein unabdingbarer Beitrag auf dem Weg zur finanziellen Nachhaltigkeit.

Die Arbeitswelt verändert sich in hohem Tempo. Einer der Haupttreiber ist die digitale Transformation. Externe Faktoren wie eine Pandemie beschleunigen die Entwicklung zusätzlich. Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen aus der Coronakrise hat der SVV zusammen mit seinen Mitgliedgesellschaften Handlungsfelder für die Arbeitswelt von morgen identifiziert. Dazu gehören auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, deren Anpassung die Voraussetzungen schafft, um neue Arbeitsformen zum Erfolg führen zu können.

«Wenn sich die Versicherungen ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig weiterentwickeln, leisten sie einen wichtigen Beitrag für kommende Generationen.»

Antonio Hautle, Executive Director, Global Compact Network Switzerland & Liechtenstein

Die vorhergehenden Ausführungen legen offen, wie breit der SVV Nachhaltigkeit bewirtschaftet. Dass neben der finanziellen und der ökologischen Nachhaltigkeit auch generationenübergreifende Themen und gesellschaftliche Aspekte in die Diskussion einzuschliessen sind, bestätigen die im Berichtsjahr im Rahmen eines Stakeholderdialogs durchgeführten Gespräche.

Stakeholderdialog

Der Impuls zu einer vertieften Wesentlichkeitsanalyse entstand im Rahmen der Arbeiten am Nachhaltigkeitsreport 2020. Die Versicherungswirtschaft setzt sich mit wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Themen auseinander, die für eine nachhaltige Geschäftsführung der jeweiligen Versicherungsunternehmen und der gesamten Branche von hoher 
Relevanz sind.

Die im Berichtsjahr erstmals durchgeführte, systematische Stakeholderanalyse half mit, zu bestimmen, welche Themen für eine Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie des SVV im Management und in der Berichterstattung berücksichtigt werden sollten.

«Heute gilt Nachhaltigkeit nicht mehr als wegweisend, sondern als Mainstream.»

Adèle Thorens Goumaz, Ständerätin, Grüne Partei der Schweiz

Zur Vorbereitung der Gespräche wurden die in der Verbandsstrategie 2020–2024 definierten Nachhaltigkeitsziele mit externen Aspekten kombiniert, bewertet und geprüft. Solche externen Aspekte umfassten relevante Regulierungen, Branchenthemen wie der Umgang mit den Folgen des Klimawandels oder die Erwartungen von Nichtregierungsorganisationen an die Versicherungswirtschaft sowie das wirtschaftliche Umfeld. Berücksichtigt wurden etwa die Standards der Global Reporting Initiative (GRI), des UN Global Compacts mit den Sustainable Development Goals (SDGs) oder die Principles for Sustainable Insurance (PSI).

Die gesammelten Themen wurden zu neun Thesen gruppiert und dienten im Stakeholderdialog als Diskussionsgrundlage. Die Interviewpartner waren aufgefordert, diese Thesen zu reflektieren und ihre individuelle Einschätzung abzugeben.

 

Thesen für den Stakeholderdialog

 

  1. Die Versicherungswirtschaft hat ein grosses Interesse an Nachhaltigkeit, da ökologische Risiken direkte Auswirkungen auf das Kerngeschäft haben.
  2. Nachhaltigkeit in der Versicherungswirtschaft muss weiter als nur in Bezug auf ökologische Aspekte und den Klimawandel gedacht werden.
  3. Nachhaltigkeit ist eine generationenübergreifende Verbundaufgabe zwischen Gesellschaft, 
    Politik und Wirtschaft, die auf Selbstverantwortung und Freiwilligkeit aufzubauen ist.
  4. Versicherer können mit ihrem Risikowissen einen wichtigen Beitrag zur sozial-ökologischen und 
    technologischen Transformation leisten.
  5. Der Beitrag der Versicherungswirtschaft zur Nachhaltigkeit stärkt den Wirtschaftsstandort Schweiz.
  6. Die Versicherungswirtschaft kann eine wichtige Rolle zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einnehmen.
  7. Das Geschäftsmodell der Versicherungsbranche ist per se nachhaltig, da es auf dem Solidaritätsprinzip basiert, das sich in der Absicherung sowie in der Altersvorsorge spiegelt und ein zentraler Baustein sozialer Nachhaltigkeit ist.
  8. Die Schweiz und damit auch die Schweizer Versicherungsbranche haben die Chance, eine Vorreiterrolle für Nachhaltigkeitsthemen zu übernehmen, was sich auch positiv auf die Reputation auswirkt.
  9. Lösungen für die Nachhaltigkeitsherausforderungen erzeugen einen Handlungsdruck zur Transformation und werden die Rahmenbedingungen für die Gesellschaft und für die Versicherungswirtschaft verändern.

 

Die Stakeholderinterviews wurden systematisch ausgewertet und relevante, wiederkehrende Erwartungen identifiziert. Der Stakeholderdialog ergab sieben zentrale Themenbereiche, wobei die Reihenfolge nicht einer Priorisierung entspricht:

 

  • Verantwortungsbewusstsein
    Bekenntnis der Assekuranz zur Prävention und zur verstärkten Sorgfalt im Umgang mit gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Risiken sowie zur Ressourcenschonung.
     
  • Solidaritätsprinzip
    Förderung einer solidarischen und gerechten Gesellschaft und selbstbestimmten Teilhabe in allen relevanten Belangen des Versicherungsgeschäfts.
     
  • Transformation
    Es besteht die Erwartung, dass die Versicherungswirtschaft eine netto-positive ökologische Wirkung und damit eine zukünftige CO2-neutrale Wirtschaft fördert.
     
  • Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in Versicherungsgeschäft und Risikomanagement
    Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsstandards im Risikomanagement und Underwriting sowie für Produkte und Schadenregulierung.
     
  • Integration von Nachhaltigkeitsaspekten bei Kapitalanlagen
    Commitment für eine verstärkte Integration von Nachhaltigkeitskriterien in den Anlageentscheidungen von Versicherern.
     
  • Daten- und Privatsphärenschutz
    Anerkennung des Rechts auf Privatsphäre und Datenschutz zur Wahrung und Förderung grundlegender Werte und Rechte von Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmern, Mitarbeitenden und  Geschäftspartnern.
     
  • Arbeitsplatzattraktivität
    Gestaltung der Arbeitgeber- und Bildungspolitik der Versicherungswirtschaft, um faire und attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten und einen Beitrag zu gelebter Nachhaltigkeit für (zukünftige) Mitarbeitende zu leisten.
     

Über den Stakeholderdialog

Ziel
Analyse und Beurteilung potenziell relevanter Nachhaltigkeitsthemen aus unterschiedlichen Perspektiven, um ein umfassendes Bild der Erwartungen an die Versicherungsbranche und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft 
und Umwelt zu erhalten.

Zeitraum
März bis Juni 2021

Reichweite
Befragt wurden Vertreter der folgenden Organisationen: Schweizer Behörden, Forschung und Wissenschaft, Politik, Mitgliedunternehmen, Finanzmarktaufsicht, Verbände und Initiativen, Zivilgesellschaft, Medien und Institutionelle Investoren.

Interviews
20 einstündige Gespräche

Methode
Die Befragten waren gebeten, die neun Thesen zu kommentieren, zu ergänzen und zu bewerten.