Ei­ne star­ke Wirt­schaft für star­ke Ren­ten

Kontext06. Dezember 2022

Drei Säulen, drei Frauen, drei Standpunkte: Die Zukunft des Schweizer Rentensystems braucht dringend eine Anpassung an die demografischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts.

Die eidgenössische Abstimmung über die AHV 21 – eine Anpassung der ersten Säule der schweizerischen Altersvorsorge – wurde vor kurzem angenommen und ermöglicht es, für etwa zehn Jahre «nach vorne zu schauen», ohne dass das finanzielle Gleichgewicht gefährdet wird. Aber die dringende Überprüfung unseres gesamten Rentensystems muss fortgesetzt werden, denn die grosse Baustelle bleibt offen: Die Zahlen kennen weder Gemütszustände noch politische Farben – und insbesondere die demografische Entwicklung sowie Veränderungen der sozioökonomischen Gewohnheiten zwingen uns dazu, glaubwürdige und nachhaltige Lösungen zu finden.

Vor diesem Hintergrund fand vor kurzem in Lausanne das vom SVV ins Leben gerufene Forum Assurances 2022 statt. Vor rund 60 Branchenvertretern richteten drei Frauen einen fachkundigen Blick auf die «Stunde der Wahrheit» in der Schweizer Altersvorsorge: die CEO der Mobiliar, Michèle Rodoni, die Genfer Nationalrätin Simone de Montmollin (FDP) und die Leiterin der Sozialpolitik am Centre Patronal, Brenda Duruz-McEvoy. Ihre oft komplementären Sichtweisen ermöglichten es, die Herausforderungen dieses wichtigen und von der Schweizer Bevölkerung oft missverstandenen Themas besser zu erfassen. Die Veranstaltung schloss mit einer Podiumsdiskussion, an der neben den drei Referentinnen auch der Westschweizer Direktor von Avenir Suisse, Jérôme Cosandey, teilnahm.

Michèle Rodoni: Flexibilisierung, Entpolitisierung, Information

Für die CEO der Mobiliar ist der Befund klar: natürlich bleibt das Schweizer Dreisäulensystem bestehen – und der grundsätzlich pragmatische Charakter der Schweizerinnen und Schweizer lässt im Laufe der Zeit die notwendigen Anpassungen zu. Doch diese kleinen Ausbesserungen reichen nicht mehr aus. Innerhalb eines Jahrzehnts ist unser Land in der Weltrangliste der Rentensysteme vom zweiten auf den elften Platz zurückgefallen. Noch schlimmer ist zweifellos, dass die Logik der beruflichen Vorsorge verdreht wurde, indem eine Solidarität von den Erwerbstätigen zu den Rentnern eingeführt wurde, die auf eine politische und nicht auf eine versicherungsmathematische Definition von Schlüsselparametern wie dem Umwandlungssatz zurückzuführen ist.

Michèle Rodoni befasst sich seit über zwanzig Jahren mit der Versicherungsmathematik und den komplexen Mechanismen der Altersvorsorge. Sie zeigt drei Wege auf, um die Zukunft der drei Säulen zu festigen:

  • Flexibilisieren. «Wir müssen uns mit der Rentendauer befassen, indem wir die Lösungen flexibilisieren und attraktive Bedingungen für ältere Menschen und Teilzeitkräfte bieten.»
  • Entpolitisieren. «Die Parameter für die Festlegung der technischen Bedingungen im BVG sollten nicht mehr von der Politik bestimmt werden, da die Demografie eine Gegebenheit ist und keine politische Entscheidung.»
  • Informieren. «Die Versicherer müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und die Bevölkerung besser informieren, insbesondere über das freiwillige Sparen und die dritte Säule.»

Einige der notwendigen Schritte werden nicht einfach sein, räumt Rodoni ein. Die notwendige Senkung des Umwandlungssatzes muss mit einer Senkung oder langfristig sogar einer Abschaffung des Koordinationsabzugs einhergehen, damit Teilzeitbeschäftigte, insbesondere Frauen, nicht mehr bestraft werden. Ebenso wichtig ist eine Erhöhung der Grenze für den steuerlich absetzbaren Betrag für private Ersparnisse (3. Säule). Die CEO der Mobiliar ist von Natur aus optimistisch und glaubt weiterhin an die Fähigkeit des Schweizer Systems, sich zu reformieren – und an die Fähigkeit der Bevölkerung, sich mehr für ihre Rentenbedingungen zu interessieren.

 

Simone de Montmollin: Durch die Anpassung an neue soziale Realitäten Mehrheiten finden

Die Genfer Nationalrätin bezeichnete die Reform AHV 21 als «sehr emotional», da sie in gewisser Weise von der Frage des Rentenalters der Frauen «beschlagnahmt» wurde, «obwohl das Thema einen universellen Blick verdient hätte». Nebenbei bemerkt wundert sich die FDP-Frau darüber, dass einige Leute das Ergebnis infrage stellen: «Eine Mehrheit, auch wenn sie nur aus einer Stimme besteht, ist eine Mehrheit. Das ist das Prinzip der Demokratie».

Sie sieht in der Reform der zweiten Säule die Fortsetzung der Reform der ersten Säule. «Wir müssen eine Lösung finden, die die Ungleichheiten korrigiert, die durch die Evolution der Gesellschaft entstanden sind. Die berufliche Vorsorge muss Geringverdienende und Teilzeitbeschäftigte einbeziehen, zumal dieses Problem, das heute vorrangig Frauen betrifft, mit der Entwicklung des Arbeitsverhältnisses universell werden wird.» Und sie erinnert daran, dass 20 Prozent der erwerbstätigen Frauen, die ein Kind haben, nach der ersten Schwangerschaft aufhören zu arbeiten – und dass diese Quote nach dem zweiten Kind auf ein Drittel steigt. «Das Gesetz, das im Ständerat in Arbeit ist, soll die zweite Säule genauso flexibel machen wie die erste. Um eine politische Mehrheit zu finden, müssen wir den Koordinationsabzug senken, die Eintrittsschwelle herabsetzen, den Beitragssatz anpassen, ohne die Jungen zu benachteiligen ... und das Verständnis und die Einsicht fördern, dass es nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für den Einzelnen einen Preis hat, länger von seiner Rente zu profitieren.»

Brenda Duruz-McEvoy: Dauer und Sparen als Schlüsselbegriffe

Die Sozialpolitikerin des Centre Patronal ist provokativer und meint, dass die Lösung nicht vom Parlament kommen wird. «Die zweite Säule ist besonders stark, weil sie selbstkorrigierend ist. Sie liegt in den paritätischen Händen von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, die gemeinsam in den Stiftungsräten der Pensionskassen sitzen.» Die aktuelle politische Reform «hinke»: Sie beruhe auf gesetzlichen Parametern, die von der Realität abgekoppelt sind, und tendiere dazu, die Umverteilung zu stärken und zu verstetigen, während im Gegenteil das freiwillige Sparen der Bürger gestärkt werden sollte.

Brenda Duruz geht ausführlich auf die vom Centre Patronal vorgeschlagene Reform ein, die das gesetzliche Referenzrentenalter («Diese abstrakte Zahl, bei der Bern entscheidet, wann man stirbt») durch die Beitragsdauer ersetzen und gleichzeitig einen fairen Übergang vom einen System zum anderen gewährleistet will.

Forum Assurances 2022: «Altersvorsorge – Stunde der Wahrheit»