«Bil­dung ist das höchs­te Gut»

InterviewArchive02. September 2019

Daniela Haze leitet seit August 2018 das neu geschaffene Ressort Bildungs- und Arbeitgeberpolitik des SVV. Im Interview spricht sie über die Attraktivität der Versicherungsbranche als Arbeitgeber und den Stellenwert der Lehre.

Frau Haze, warum ist es für den Versicherungsverband wichtig, bildungspolitisch Akzente zu setzen?

Daniela Haze: Wir müssen die Branchenattraktivität der Assekuranz besser aufzeigen können. Wenn man an die Versicherungsbranche denkt, hat man oft nur das Bild des Versicherungsagenten im Kopf und weiss gar nicht, wie vielfältig die Berufsmöglichkeiten in der Versicherungswirtschaft sind.

Daniela Haze

Daniela Haze, Leiterin Ressort Bildungs- und Arbeitgeberpolitik des SVV

Wo sieht der Versicherungsverband die grössten Herausforderungen in der heutigen Bildungslandschaft?

Die grösste Herausforderung liegt darin, die Durchlässigkeit und die Vielfalt unseres Bildungssystems zu erhalten. Wir müssen eine gute Durchmischung verschiedenster Ausbildungsniveaus erreichen, vom Lernenden bis hin zum Universitätsabgänger. Es ist wichtig, dass in unseren Gesellschaften nicht nur Hochschulabsolventen, sondern auch Lernende und Lehrabgänger ihren Platz finden. Aber dafür braucht es ein Bekenntnis von Arbeitgebern, Eltern und Schulen, die akzeptieren und dahingehend sensibilisieren, dass der akademische Weg nicht der einzig richtige Weg ist.

Einerseits preist die Schweiz immer wieder ihr duales Bildungssystem, andererseits stellen wir fest, dass das Gymnasium eine immer grössere Anziehungskraft hat. Welche Vorzüge hat denn das duale Bildungssystem?

Der Bildungsweg, den man einschlägt, sollte immer den eigenen Bedürfnissen entsprechen. Der duale Bildungsweg bietet genau gleich viel Entwicklungsmöglichkeiten wie das Gymnasium. Doch das ist noch immer zu wenig bekannt. Wir haben viel Arbeit vor uns, damit es uns gelingt, diese Anschlussfähigkeit besser aufzeigen zu können. Noch immer wissen viele nicht, welche Möglichkeiten einem nach erfolgreichem Lehrabschluss offenstehen.

Findet die Versicherungsbranche überhaupt noch genügend Nachwuchs im kaufmännischen Bereich?

Ja, die Versicherungsbranche ist derzeit noch in einer komfortablen Lage. Die Lehrstellen im kaufmännischen Bereich können sehr schnell besetzt werden. Trotzdem tut sich die Branche mit der Selektion etwas schwer: Manche Gesellschaften fordern einen sehr hohen Notenschnitt und viele beklagen sich, sie hätten zwar viele Bewerbungen, aber nicht die richtigen. Wir müssen dort die Lehrbetriebe in die Pflicht nehmen und aufzeigen, dass nicht nur die Schulnoten entscheidend sind. Auch Schüler, die keinen Notenschnitt von Fünf plus haben, können motivierte und leistungsfähige Lernende sein – und später auch sehr gute Mitarbeitende werden.

Gerade die kaufmännische Lehre in der Versicherungsbranche ist in den vergangenen Jahren weiterentwickelt worden. Welches sind die Hauptmerkmale dieser Weiterentwicklung?

Wir versuchen gemeinsam mit dem kaufmännischen Verband die kaufmännische Lehre so praxisnah wie möglich zu gestalten. Zusätzlich haben wir mit dem «versicherungsKVinternational» ein Modell geschaffen, bei dem die Lernenden ein Jahr im Ausland verbringen können. Sie erwerben auf diese Weise wichtige Sprachkompetenzen, entwickeln ihr kulturelles Verständnis weiter und kehren als reifere Menschen in den Lehrbetrieb zurück. Dieses Angebot soll die kaufmännische Lehre im Vergleich zum Gymnasium attraktiver machen.

Gibt es Berufsgruppen, die der Versicherungsbranche fehlen?

Ja, vor allem im IT-Bereich fehlen uns Fachleute. Die Digitalisierung und Technologisierung fordert viel Know-how, dort haben wir Entwicklungsbedarf. Aber auch hier gilt: Sozialkompetenzen darf man auch im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) nicht unterschätzen. Es reicht nicht, einen hervorragenden Mathematiker zu haben, wenn er nicht ins Team passt. Wir laufen mit der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung Gefahr, unsere Sozialkompetenzen nicht mehr schulen und nutzen zu können.

Wir hören immer wieder das Schlagwort «Lebenslanges Lernen» – und können uns nur bedingt etwas darunter vorstellen. Hat die Versicherungsbranche eine Vorstellung davon, was lebenslanges Lernen heisst?

Lernen ist momentan stark auf junge Menschen ausgerichtet. Wenn wir die Mitarbeitenden länger im Arbeitsprozess halten wollen, müssen wir investieren und auch Leuten, die 50 und mehr sind, Möglichkeiten geben, sich weiterzubilden. Dort sehe ich grossen Handlungsbedarf. Einerseits ist es die Pflicht der Versicherungsunternehmen, intern Weiterbildungen und Workshops anzubieten. Andererseits müssen Hochschulen und andere Institutionen Angebote für ältere Arbeitnehmende schaffen. Auch die Mentalität der Mitarbeitenden muss sich ändern. Auch mit 55 soll man noch die Motivation und einen Anreiz haben, sich weiterzubilden. Das kann auch in Form von Fachtagungen oder einem webbasierten Training geschehen.

Was bereitet Ihnen mit Blick auf die Bildungslandschaft Sorgen?

Politisch gibt es immer wieder Ambitionen, Sparmassnahmen im Bildungssektor durchzusetzen. Hier müssen wir als Wirtschaft sehr gut aufpassen, dass wir uns nicht selbst schaden. Unsere Wirtschaft funktioniert nur deshalb so gut, weil wir Leute mit den richtigen Ausbildungen in den richtigen Positionen haben. Bildung ist das höchste Gut, das wir in der Schweiz haben. Wenn man bereit ist, sich zu bilden, öffnen sich Tür und Tor für viele Möglichkeiten.