«Wenn wir et­was sa­gen, dann wol­len wir ge­hört wer­den»

Interview

Versicherer bieten finanzielle Sicherheit und stabilisieren die Wirtschaft. Stefan Mäder und Urs Arbter im Gespräch über Regulierung, Erdbeben und Finanzbildung.

Der SVV feiert 2025 sein 125-jähriges Bestehen. Welche Bedeutung haben Branchenverbände in der heutigen Zeit?

Stefan Mäder: Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, sehen wir, dass die Versicherungsbranche früher mit festen Preisen und wenig Marktdynamik reguliert war. Seither haben sich zwei entscheidende Faktoren verändert: Der Markt ist offener, und die Branche ist internationaler geworden …

Demzufolge bräuchte es keinen Verband mehr, wenn die Regulierung nachgelassen hat?

SM: Schön wär’s, die Regulierung macht uns heute sogar mehr zu schaffen. Sie setzt an anderen Stellen an, zum Beispiel bei der Eigenkapitalquote oder bei naturbezogenen Risiken. Allgemein ist sie viel bürokratischer geworden. Folglich brauchen wir weiterhin eine starke Interessenvertretung, um die Rahmenbedingungen für unser Geschäft mitzugestalten.

Als Verband können wir zwischen Politik und Versicherungswirtschaft vermitteln und die Anliegen der Versicherer wirkungsvoll vertreten. Dabei muss ein profilierter Verband nicht unbedingt in der breiten Öffentlichkeit bekannt sein, aber er muss von allen relevanten Akteuren ernst genommen werden: von der Politik, der Verwaltung, den Mitgliedern mit ihren heterogenen Interessen und den Medien. Wenn wir etwas sagen, dann wollen wir gehört werden.

Portrait Stefan Mäder

Stefan Mäder
Präsident SVV

Im gleichen Jahr startet der SVV auch in eine neue Strategieperiode. Was steht im Fokus?

Urs Arbter: Uns beschäftigen übergreifende Fragen, die alle Versicherer betreffen: Rahmenbedingungen, eine angemessene Regulierung, die Arbeitskräftesituation. Auch die Versicherbarkeit und die Versicherungsdurchdringung von Toprisiken wie Cyber und Erdbeben sind zu stärken. Zudem müssen wir die Altersvorsorge weiterentwickeln, um der steigenden Lebenserwartung gerecht zu werden. Ein weiteres Kernthema ist die Krankenzusatzversicherung, die wir in einem freiheitlichen System erhalten wollen.

Die Altersvorsorge ist mit der Ablehnung der BVG-Reform ins Stocken geraten …

SM: Das ist in der Tat so. Die Ablehnung der BVG-Reform offenbart, dass die Bevölkerung ein starkes Sicherheitsbedürfnis hat und Veränderungen kritisch betrachtet. Viele Menschen nehmen das aktuelle System als stabil und funktionierend wahr und sind skeptisch gegenüber Reformen, auch wenn sie notwendig sind.

Heisst das, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer das System schönreden?

SM: So kann man es auch sehen. Wir werden immer älter, was positiv ist, aber auch bedeutet, dass das angesparte Kapital länger reichen muss. Diese Zusammenhänge sind nicht immer intuitiv nachvollziehbar. Hier müssen wir besser kommunizieren und verständlicher erklären, warum Reformen notwendig sind.

Portrait Urs Arbter

Urs Arbter
Direktor SVV

Also alles eine Frage der Kommunikation?

UA: Manchmal scheint es so. Es ist aber auch eine Frage des finanziellen Wissens im Allgemeinen. Über 70 Prozent der Bevölkerung wissen nicht, dass ihnen das Kapital der zweiten Säule gehört. Diese Wissenslücke trägt dazu bei, dass Entscheide über die Weiterentwicklung der Altersvorsorge längst nicht immer faktenbasiert gefällt werden. Wenn wir wollen, dass künftige Reformen mehr Akzeptanz finden, müssen wir das Finanz- und Vorsorgewissen in der Bevölkerung stärken. Denn wer das Dreisäulensystem versteht und seinen Pensionskassenausweis lesen kann, trifft langfristig bessere finanzielle Entscheidungen.

Sie sagen, Versicherer stabilisieren die Wirtschaft. Ist das im Kontext der globalen Erderwärmung auch noch der Fall?

UA: Der Klimawandel ist unbestritten. Besonders im Winter steigen bei uns die Temperaturen und Starkregenereignisse nehmen zu. Ein grosses Problem ist zum Beispiel der Oberflächenabfluss, da Wasser auf versiegelten Flächen nicht versickern kann und Überschwemmungen verursacht. In der Schweiz setzen wir erfolgreich auf Prävention, um Schäden zu minimieren und Versicherungsprämien stabil zu halten. Die Daten des Elementarschadenpools zeigen, dass die getroffenen Massnahmen wirken.
 

Stefan Mäder und Urs Arbter im Bahnhofbuffet Olten

Urs Arbter und Stefan Mäder treffen sich am Gründungsort: Im Bahnhofbuffet Olten wurde am 14. Dezember 1900 der Schweizerische Versicherungsverband SVV gegründet.

Die Schweiz bleibt also versicherbar?

SM: Auf jeden Fall. Durch die weitverbreiteten Präventionsmassnahmen bleiben die Prämien bezahlbar und der Versicherungsschutz hoch. Im Schadenfall können die Versicherer schnell und effizient zahlen. Dadurch stehen die finanziellen Mittel für den Wiederaufbau rasch zur Verfügung, was sich wiederum stabilisierend auf die Wirtschaft auswirkt.

Kommen wir zu einem Toprisiko, das derzeit auch die Politik beschäftigt, dem Erdbeben. Das Risiko ist versicherbar, dennoch sind in der Schweiz nur wenige Hauseigentümer gegen Erdbeben versichert. Woran liegt das?

UA: Das fehlende Risikobewusstsein ist das Hauptproblem. Erdbeben sind selten, aber unvermeidlich. Das letzte grosse Beben in Basel liegt über 600 Jahre zurück, doch statistisch ereignet sich ein solches alle 500 Jahre. Viele Menschen unterschätzen die Gefahr oder verlassen sich darauf, dass der Staat im Ernstfall einspringt. Doch ohne ausreichenden Versicherungsschutz fehlen nach einem Beben die Mittel für den Wiederaufbau – mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen. Die Versicherungswirtschaft kann hier eine Schlüsselrolle spielen, indem sie rasch finanzielle Mittel bereitstellt. Daher lehnen wir die von der Politik vorgeschlagene Erdbeben-Eventualverpflichtung (EVV) ab. Sie ist eine Scheinlösung, da sie keinen Versicherungsschutz für Hausrat, Fahrhabe, Betriebsunterbrüche und Aufräumarbeiten bietet. Sie ist auch in der Umsetzung fragwürdig, da unklar bleibt, ob die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen und rasch genug fliessen.

Protokoll Erste Vorstandssitzung

Protokoll der Sitzung vom 10. Januar 1901.

Zu guter Letzt noch ein Wort zur Krankenzusatzversicherung. Warum ist sie für unser Gesundheitswesen wichtig?

UA: Die Krankenzusatzversicherung ermöglicht innovative und ergänzende Leistungen, die über die Grundversicherung hinausgehen. Ich denke dabei an innovative Behandlungs- und digitale Zugangsformen. Wichtig ist, dass die Zusatzversicherung flexibel bleibt und weiterhin marktorientiert agieren kann. Eine übermässige Regulierung würde diese Vorteile einschränken. Nur wenn die Zusatzversicherung genügend Freiräume hat, kann sie auch moderne und patientenfreundliche Versorgungsmodelle fördern.

Das heisst, dass der SVV die Krankenzusatzversicherung hoch priorisiert?

SM: Der SVV setzt sich dafür ein, dass die Zusatzversicherung ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitssystems bleibt und Innovationen ermöglicht, die die Kostenproblematik entschärfen und die Versorgungsqualität
sichern. Zusammen mit prio.swiss, dem neuen Verband der obligatorischen Krankenversicherung, setzen wir uns für ein Schweizer Gesundheitswesen ein, das auf mehr und nicht auf weniger Marktwirtschaft beruht.