Der Zu­kunfts­op­ti­mis­mus ist ver­schwun­den – Fran­çois Höpf­lin­ger im In­ter­view

InterviewArchive18. Oktober 2017

Prof. Dr. François Höpflinger beschäftigte sich früher als Professor für Soziologie und nun als Forscher am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich seit vielen Jahren mit dem Alter als gesellschaftliche Herausforderung. Im Interview skizziert er kurz, wie es mit dem Generationenvertrag weitergehen kann.

Was versteht man unter dem Begriff «Generationenvertrag»?

Ursprünglich war ein Generationenvertrag eine notariell beglaubigte Übergabe eines Bauernbetriebs an die nächste Generation: Die Jungen erhielten rechtzeitig den Bauernhof (mit Haus, Land, Tieren) und das alte Bauernpaar wechselte ins «Stöckli». Im Generationenvertrag wurden die Anrechte des alten Ehepaares nach der Besitzübergabe festgelegt. Vielfach wurde alles detailliert aufgeschrieben; etwa so viele Eier und so viel Brot pro Jahr, so viel Holz um das Stöckli zu heizen usw. Später – mit der Einführung einer Altersvorsorge – wurde das Prinzip des Generationenvertrags verallgemeinert. Der Grundgedanke war und ist, dass die älteren Menschen, die für den Aufbau des Landes gearbeitet haben, die Produktionsanlagen (Fabriken, Infrastruktur) gratis den Jungen übergeben, dafür jedoch via AHV wirtschaftlich abgesichert bleiben. Jahrzehntelang wurde das soziale Prinzip des Generationenvertrags dadurch untermauert, dass davon ausgegangen wurde, dass es der jungen Generation sozial und wirtschaftlich besser geht als früheren Generationen. Mit dem Verschwinden dieses Zukunftsoptimismus geriet der sozialpolitische Generationenvertrag allerdings in die Kritik, etwa wenn jüngere Menschen für ältere Generationen zahlen müssen, denen es besser geht oder die als verantwortlich für belastende Umweltfolgen gelten.

Hilfe für die eigenen Kinder oder Grosseltern können sich die meisten Menschen vorstellen. Als gesellschaftliche Gruppen werden «die Jungen» aber oft gegen «die Alten» ausgespielt. Lässt sich eine Entsolidarisierung der Gesellschaft nachweisen?

Familial – bezogen auf die eigenen Kinder, Eltern und Grosseltern – ist intergenerationelle Solidarität weiterhin intakt oder sogar stärker als früher. Eine gewisse Entsolidarisierung zeigt sich gesellschaftlich, speziell weil soziale Ungleichheiten innerhalb oder zwischen Altersgruppen an Bedeutung gewonnen haben. Auch wenn junge versus alte Menschen zum Thema wird, der Hauptgegensatz von heute besteht zwischen ärmeren und superreichen Personen (zu denen überdurchschnittlich häufig ältere Menschen gehören). Als Gegentrend zeigt sich – gerade bei jüngeren Menschen, zunehmend aber auch bei älteren Frauen und Männer – erneut eine Betonung gemeinschaftlich-genossenschaftlicher Werthaltungen. In einem gewissen Sinne hat die Individualisierungswelle ihren Höhepunkt überschritten. Neue Formen der Gemeinschaft stellen sich dem Trend zur Entsolidarisierung entgegen, etwa in Form von gemeinschaftlichem Wohnen, Austausch von Hilfe usw.

Wie sollte sich der Generationenvertrag entwickeln um auch in Zukunft von allen Altersschichten weitergetragen zu werden?

Gegenwärtig zeigt sich ein klarer Trend in Richtung einer stärkeren Betonung von Generationenprojekten, von intergenerationellen Hilfsprojekten in der Nachbarschaft bis hin zum Bau und Organisation von Mehrgenerationenhäusern bzw. –siedlungen. Während sozialpolitisch um Reformen der Altersvorsorge gestritten wird, erfahren zivilgesellschaftliche Initiativen zur Stärkung generationenübergreifender Beziehungen und Unterstützung eine eigentliche Hochkonjunktur. Zukünftig wird es immer wichtiger, dass sich die gesunden und wohlhabenden älteren Menschen der dritten Generation für hilfe- und pflegebedürftige alte Menschen der vierten Generationen einsetzen (etwa durch Projekte wie «Senioren helfen Senioren»). Der Generationenvertrag zwischen Jung und Alt muss gezielt durch einen Generationenvertrag zwischen «jungen Alten» und «alten Alten» ergänzt werden.

François Höpflinger

Prof. Dr. phil. François Höpflinger 
em. Titularprofessor für Soziologie

François Höpflinger, Prof. Dr., geb. 1948, Soziologe mit Schwerpunkten «Alters- und Generationenforschung». Ab 1994 war er Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich. In Sion war er ebenfalls von 1999 bis 2008 Vorsteher der Forschungsdirektion am Universitären Institut «Alter und Generationen». Seit 2009 betreibt er selbständige Forschungs- und Beratungstätigkeit.