«Die ‹Ge­fähr­dungs­kar­te Ober­flä­chen­ab­fluss› über­zeugt im Aus­land»

InterviewArchive12. September 2019

Mit der «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss» haben Bund und Versicherer eine wichtige Lücke im Hochwasserschutz geschlossen. Roberto Loat, Stellvertretender Chef der Sektion Risikomanagement beim Bundesamt für Umwelt BAFU und Initiant des Projektes, freut sich über den Erfolg der Karte bis über die Landesgrenze hinaus und erläutert, wie Städte in Zukunft besser vor Oberflächenabfluss geschützt werden können. 

Herr Loat, vor einem Jahr haben Sie, die Vereinigung der Kantonalen Gebäudeversicherungen VKG und der Schweizerische Versicherungsverband SVV gemeinsam die «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss» veröffentlicht. Wo stehen wir heute?

Roberto Loat: Die Karte hat unerwartet schnell sehr grosse Verbreitung gefunden und sie geniesst eine hohe Akzeptanz bei den Kantonen. Bereits sieben Kantone haben sie in ihre offiziellen Gefahrengrundlagen aufgenommen. Einzelne Kantone und Gemeinden sind bereits dabei, konkrete Schutzprojekte gegen Oberflächenabfluss in Angriff zu nehmen. Im Prinzip geht es bei diesen Projekten darum, das wild abfliessende Wasser aufzufangen, umzuleiten oder so abzuleiten, dass keine grösseren Schäden entstehen. Das ist jetzt möglich, weil dank der Karte die Abflusswege bekannt sind.

Porträt Roberto Loat

Roberto Loat, Stellvertretender Chef der Sektion Risikomanagement beim Bundesamt für Umwelt Bafu

Ist die Karte auch bei den Gebäudeeigentümern angekommen?

Ich stelle fest, dass die Karte deutlich zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die Risiken durch Oberflächenabfluss beigetragen hat – die zuständigen kantonalen oder kommunalen Fachstellen werden von Privatpersonen angefragt, wie sie sich gegen Oberflächenabfluss schützen können.

Auch die Medien nehmen das Phänomen vermehrt wahr: Immer häufiger nennen sie den Oberflächenabfluss explizit, wenn es um Überschwemmungen geht. Das wiederum verstärkt das Bewusstsein der Bevölkerung für die Schäden, die der Oberflächenabfluss an Gebäuden und deren Inhalt verursachen kann.

Bei den kantonalen Fachstellen für Naturgefahren und bei den Versicherern hat das Thema mit der Lancierung der Karte ebenfalls an Bedeutung gewonnen. Das ist sehr positiv, denn gerade die Versicherer können durch ihre Nähe am Kunden am meisten dazu beitragen, dass allfällig Betroffene mit Hilfe der Karte ihre Gefährdung abklären und entsprechende Präventionsmassnahmen ergreifen können.

Die «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss» gilt als Pionierleistung der Schweiz: Vertreter aus dem Ausland, zum Beispiel aus Grossbritannien und Österreich, haben sich bei der Lancierung dafür interessiert. Werden ähnliche Projekte im Ausland verfolgt? Sind Kooperationen geplant?

Das grösste Interesse an unserem Projekt haben Deutschland, Österreich, Norwegen und neu auch die USA. Die Karte wurde günstig und schnell realisiert, sie ist flächendeckend und für alle online zugänglich. Auch die Qualität ist sehr gut, wie Vergleiche mit kürzlich stattgefundenen Ereignissen gezeigt haben. Sie ist deshalb ein effektives Präventionsinstrument. Das überzeugt und weckt das Interesse im Ausland. Es stehen mehrere Tagungen in verschiedenen Ländern an, an die wir eingeladen wurden, um die Karte vorzustellen. 

Wie geht es nun weiter? Sind weitere Projekte zum Schutz vor Oberflächenabfluss geplant?

Ja – und wieder im Rahmen einer Public-Privat-Partnership mit den Versicherern – sind wir dabei, Sensibilisierungsfilme zum Thema Naturgefahrenprävention zu produzieren. Diese richten sich an Private und zeigen, wie sie ihr Haus und ihr Mobiliar mit einfachen und günstigen Mitteln vor Naturrisiken schützen können. Dabei geht es auch um Oberflächenabfluss.

Wir sind zudem im Gespräch mit Fachleuten und Entscheidungsträger über den zukünftigen Schutz vor Oberflächenabfluss im urbanen Raum. In den nächsten Jahren rechnen wir mit einer Zunahme von Starkniederschlägen um 20 Prozent. Gerade Städte sind besonders exponiert. Mit der Karte kann man sehen, welche städtebaulichen und architektonischen Anpassungen helfen können, plötzliche Wassermassen aufzufangen. Wenn zum Beispiel betonierte Flächen in der Stadt wieder begrünt und Regenwasser in temporären Weihern zurückgehalten werden, vermindert das den Oberflächenabfluss erheblich. Und – sozusagen als wertvoller Nebeneffekt – es hilft gegen die zunehmende Hitze in den Städten.