Trend zu nach­hal­ti­gen In­vest­ments – auch in der Ver­si­che­rungs­in­dus­trie

News13. Juni 2019

Am 3. Juni 2019 hat Swiss Sustainable Finance die «Swiss Sustainable Investment Market Study 2019» herausgegeben. Sie zeigt auf, dass der Markt für nachhaltige Anlagen 2018 um 83 Prozent gewachsen ist und insgesamt schweizweit 717 Milliarden Franken nachhaltig investiert wurden. Im Rahmen dieser Studie hat der SVV-Direktor Thomas Helbling ein Interview zum Thema Klimarisiken und die damit verbundenen Heausforderungen für Versicherungen gegeben. 

Swiss Sustainable Finance: An Ihrer Jahrespressekonferenz vom Januar 2019 haben Sie nachhaltige Anlagen als ein wichtiges Instrument im Umgang mit Klimarisiken genannt. Weshalb sehen Sie Versicherungen hier in der Pflicht und welche Chancen bietet ihnen die Umsetzung einer nachhaltigen Anlagepolitik? 

Thomas Helbling: Wir waren selbst erstaunt und natürlich erfreut, wie stark die Medien dies aufgenommen haben. Klimarisiken und Nachhaltigkeit sind beim SVV schon länger ein Thema, denn die Versicherungsbranche ist wegen den Klimarisiken sozusagen doppelt herausgefordert. Klimarisiken haben einerseits einen direkten Einfluss auf das Kerngeschäft der Versicherungen, nämlich die Risikoabsicherung, anderseits aber auch auf deren Investitionen.  

Dazu kommt, dass die Versicherungsbranche in der Schweiz aufgrund der Relevanz ihrer Dienstleistungen eine grosse volkswirtschaftliche Verantwortung trägt. Dieser Verantwortung wollen wir gerecht werden und der Nachhaltigkeit als Kernthema noch zusätzliches Gewicht geben. So haben wir bereits Anlässe mit Parlamentariern zum Thema «Responsible Investments» organisiert, die nicht nur Klima, sondern auch andere ESG (Environmental, Social, Governance) Themen behandelten. 

Nicht zuletzt verlangen die Versicherungsnehmer, die Öffentlichkeit, aber auch die Investoren zunehmend klare ESG Kriterien – und den Nachweis entsprechenden Handelns. Insbesondere die Millennials, mit ihren konkreten Wertvorstellungen, werden zur treibenden Kraft. 

Wo stehen Schweizer Versicherungen heute bei der Integration von Nachhaltigkeitsthemen ins Asset Management? Und wie stehen sie im Vergleich zu Versicherungen aus anderen Ländern da? 

Vergangenen Herbst haben sich die Mitgliedsgesellschaften des SVV dazu bekannt, in ihren Anlageprozessen ESG Kriterien konsequent zu berücksichtigen. Ein ähnliches Bekenntnis von vergleichbaren Branchen in der Schweiz gibt es unseres Wissens nicht. Auch international ist die Schweizer Versicherungsbranche dadurch gut positioniert.  

Führend sind sicher die grossen Versicherungen wie die Swiss Re oder die Zurich Insurance Group, welche bereits konkrete Schritte zur Integration von Nachhaltigkeitsthemen in das Anlagegeschäft unternommen haben. Dies, weil sie im internationalen Umfeld einem grossen öffentlichen Druck, einer Vielfalt von regulatorischen Vorgaben und einer Konkurrenz ausgesetzt sind, die hohe Standards im Nachhaltigkeitsbereich fördern. Auch wenn kleinere und mittelgrosse Versicherungen noch nicht gleich weit sind, können sie von den «Best-Practices» der Vorreiter profitieren.

Welche Rolle spielen Versicherungen als wichtige Immobilieninvestoren und -entwickler, wenn es um mehr Nachhaltigkeit beim Bauen geht? 

Direktinvestitionen in Immobilien haben während der anhaltenden Tiefzinsphase für die Versicherer an Bedeutung gewonnen. Energiesparendes Bauen auf der Basis von Standards wie Minergie ist heute schon sehr wichtig, denn dies trägt zur langfristigen Werterhaltung der Investitionen bei. Viele der Versicherungsgesellschaften sind über 100-jährig und bewirtschaften seit Jahrzehnten Bauten und Siedlungen. Sie spielen daher eine besonders wichtige Rolle bei der Renovation von Gebäudeparks und können dort ihr Wissen zu einer energieeffizienten Bauweise nutzen. 

Gleichzeitig müssen jedoch auch Kriterien wie Umweltverträglichkeit, Vorgaben aus der Raumplanung und letztendlich ökonomische Ansprüche berücksichtigt werden. Bei nachhaltigem Bauen kommt es immer wieder zu einem Abwägen, so zum Beispiel zwischen sozialer Verträglichkeit (tiefbleibende Mietkosten) und hohen Anforderungen im Bereich Energie und Umwelt (Sanierungen alter Gebäude).

Das Versicherungsgeschäft hat zum Ziel, Risiken für Individuen oder Organisationen zu senken. Dies bedingt ein gutes Verständnis von Risiken. Hilft das umfangreiche Wissen zu Risiken den Versicherungen dabei, auch die Vermögen gut zu verwalten? 

Das Beurteilen und Einschätzen von Risiken sind die Kernkompetenzen der Versicherer. Dieses Wissen kann sehr nützlich sein für die Integration von ESG Kriterien in der Vermögensverwaltung. Das spezifische Wissen ist vor allem im Underwriting gebündelt und der Knowhow-Transfer kann noch besser gefördert werden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass ESG Faktoren in der Vermögensverwaltung nicht zwingend gleich evaluiert werden können wie in der Risikodeckung. Der Kontext für das Versicherungsgeschäft ist komplex, vor allem bei globalen Geschäftstätigkeiten.

Welches sind die grössten Hürden für Versicherungen bei der Umsetzung einer nachhaltigen Anlagepolitik? Unterscheiden sich diese je nach Anlageklasse (z.B. Infrastruktur)? 

Die Kapitalanlagen der Versicherer sind – im Sinne des Konsumentenschutzes – sehr eng reglementiert. Diese Vorgaben gewähren zwar eine sinnvolle Diversifizierung, erschweren aber nachhaltiges Anlegen. Bei Infrastrukturinvestments führen die hohen Anforderungen bezüglich Eigenmittelunterlegung dazu, dass gewisse Anlagen nicht dem gebundenen Vermögen (Kapital zur Deckung der versicherungstechnischen Rückstellungen) angerechnet werden können. Dies verkleinert den Spielraum für ein Investment in diese Anlageklasse weiter. Insbesondere betrifft dies Anlagen in Infrastrukturen wie Kraftwerke, Seniorenheime, Schulen, etc. Unsere Mitglieder würden oft gerne vermehrt im Schweizer Heimmarkt investieren, und dies auch nachhaltig tun. Hier sieht die Branche Handlungsbedarf beim Regulator respektive der Aufsicht. Innerhalb der Anlagekategorien gibt es aber gute Gründe eine nachhaltige Anlagestrategie anzuwenden.

Was ist die Rolle des SVV in der Förderung nachhaltiger Anlagen: Unterstützen Sie Ihre Mitglieder mit Informationen oder konkreten Empfehlungen? Oder eher durch Beeinflussung der Rahmenbedingungen?

Im Verband findet ein wertvoller Wissensaustausch statt und speziell im Thema Nachhaltigkeit sehen wir ein klares Bekenntnis der grossen Unternehmen, ihr Wissen zu teilen. Gerade für kleine und mittelgrosse Versicherungen ist der SVV ein wichtiges Forum, um Handlungsstrategien zu entwickeln und diese anschliessend umzusetzen.  

Ich erachte es als grossen Vorteil des Verbands, dass sich unsere Mitglieder in den Milizgremien über Sachthemen austauschen und mit dem gegenseitigen Know-how-Transfer branchenweite Lösungen erarbeiten können. Der SVV versucht, diesen freiwilligen Weg zu stärken. Weiter steht der SVV in engem Kontakt zu verschiedenen Bundesstellen, wie ja auch zu SSF, und bringt sich in gemischten Arbeitsgruppen und Foren aktiv ein.

Und wie könnte Swiss Sustainable Finance dazu beitragen, allfällige Hürden zu verkleinern? 

SSF nimmt schon heute wichtige Aufgaben wahr und hat sich als Kompetenzzentrum für nachhaltige Finanzen etabliert. Die publizierten Unterlagen sowie die Art und Weise, wie SSF durch verschiedene Kanäle konkretes Wissen vermittelt, sind wertvoll und wir schätzen SSF als Wegbereiter für einen nachhaltigen Schweizer Finanzplatz sehr. Mit Massnahmen im Bereich von Transparenz und Impact könnte SSF diese Rolle noch weiter ausbauen, und Versicherungsgesellschaften stärker unterstützen, nachhaltig zu wirken und ihre Eigenverantwortung wahrzunehmen.  

Die TCFD (Task Force on Climate-related Financial Disclosures) hat Richtlinien für Reporting zu Klimarisiken erlassen. Wie schätzen Sie den Nutzen der Richtlinien ein und wieweit hat der Markt sie schon umgesetzt? 

Die TCFD Empfehlungen bilden eine gute Grundlage zur Etablierung eines Marktstandards für die Unternehmensberichterstattung zu Klimarisiken. Wir haben beobachtet, dass die TCFD-Richtlinien von mehreren Seiten übernommen wurden und Bestrebungen in diesem Bereich beschleunigten. Wenn viele Unternehmungen nach einem einheitlichem Schema Bericht erstatten, profitieren die Versicherer als langfristige Investoren natürlich von dieser erhöhten Transparenz.

Die EU plant im Rahmen ihres Action Plan on Sustainable Finance ein obligatorisches Reporting für institutionelle Investoren (also auch für Versicherungen) dazu, wie Nachhaltigkeitsfaktoren ins Risikomanagement einbezogen werden. Was sind Vor- und Nachteile, wenn der Gesetzgeber aktiv wird?

Wir stehen den derzeitigen Bestrebungen der EU zwiespältig gegenüber. Einerseits ist es beeindruckend, wie Nachhaltigkeit an Schwung gewinnt und das Thema breitflächig angegangen wird. Staatliche Reporting-Standards können als Orientierung dienen, um gegenüber Öffentlichkeit, Politik, Investoren und anderen Stakeholdern Rechenschaft abzugeben. Andererseits bevorzugen wir Eigenverantwortung und Freiwilligkeit, denn die geplanten Vorschriften der EU sind stark normiert. Dies würde gerade bei kleineren und mittelgrossen Versicherern einen grossen administrativen Aufwand nach sich ziehen. Der Fokus sollte unseres Erachtens jedoch nicht auf die Erfüllung von aufwändigen Berichten gelegt werden, sondern auf die Ausrichtung und Effizienz von verantwortungsvollem Handeln. 

Führen Sie auch einen internationalen Dialog – z.B. mit anderen Versicherungsverbänden – zu nachhaltigen Anlagen und den geeigneten Rahmenbedingungen?  

Der SVV arbeitet mit verschiedenen internationalen Akteuren zusammen; wir haben Vertreter bei Insurance Europe, und Vertreter unserer Mitglieder sind auch im paneuropäischen Forum grosser europäischer (Rück-) Versicherungsgesellschaften aktiv. Durch unser breites internationales Netzwerk können wir viele Themen abdecken. Wir sind natürlich auch stolz darauf, in der Schweizer Delegation für internationale Klimakonferenzen mitzuwirken. So war Gunthard Niederbäumer, unser Leiter des Bereichs Schaden- und Rückversicherung, der Vertreter der Schweizer Wirtschaft an der letztjährigen Weltklimakonferenz COP24 in Katowice, Polen.  

Das Interview mit Thomas Helbling ist ursprünglich in Englisch in der «Swiss Sustainable Investment Market Study 2019» (S. 54) erschienen.