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Rückversicherer decken die grossen Risiken ab.
30. Juni 2020

Rückversicherer weisen eine überdurchschnittliche Wertschöpfung aus.

Das Rückgrat der Versicherer

Von Takashi Sugimoto

Ist ein Risiko zu gross, sichern die Rückversicherer die Versicherer ab. Global aufgestellt können sie grosse Risiken wie Naturkatastrophen abdecken, die lokal eine Vielzahl an Policen treffen.

Taifun

Katastrophen verursachten im Jahr 2019 einen finanziellen Schaden von 146 Milliarden Dollar, wie das Swiss Re Institut aufzeigt. Obwohl das zweifellos eine grosse Schadensumme ist, handelte es sich um ein unterdurchschnittliches Jahr. In den beiden Jahren zuvor fiel die Schadenbilanz jeweils deutlich höher aus. Vom ermittelten Schadenvolumen von 146 Milliarden Dollar waren 60 Milliarden von Versicherungen gedeckt. Auch diese Zahl fällt im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren tief aus. In einem durchschnittlichen Jahr des vergangenen Zehnjahreszeitraumes beliefen sich die von Versicherern gedeckten Schäden auf rund 75 Milliarden Dollar.

Taifun folgt auf Taifun

Acht Milliarden Dollar hat der Taifun Hagibis in Japan die Versicherer im vergangenen Jahr gekostet. Es war damit das teuerste Schadenereignis im Jahr 2019. Hagibis traf Japan nur einen Monat nachdem Taifun Faxai in derselben Region Schäden in der Höhe von sieben Milliarden Dollar verursacht hatte. Es war eine Extremsituation, Naturkatastrophe folgte auf Naturkatastrophe. Und es waren typische Fälle für Rückversicherer: ein ereignisbasierter Kumulschaden. Dabei handelt es sich um ein Ereignis, das eine Vielzahl von Policen trifft. Um dieses kumulierte Risiko nicht selbst zu tragen, sichern sich Erstversicherer bei Rückversicherern ab. Für den Aufteilungsschlüssel zwischen Erst- und Rückversicherer gibt es je nach Vertrag unterschiedliche Modelle.

Grossbrand am Ursprung

Grosse Katastrophen stehen am Ursprung des Konzepts der Rückversicherer. Die Zerstörung von Ortschaften durch Feuer im 19. Jahrhundert weckten das Bedürfnis nach einer grösseren Absicherung. So war der Grossbrand von Hamburg 1842 mit ein Auslöser für die Gründung der Kölnischen Rück nur vier Jahre später. Die Schweizer Rück die heutige Swiss Re, wurde 1863 gegründet, nachdem in Glarus 1861 ein Grossbrand wütete. Allerdings gab es noch ein weiteres Motiv. Mit der Schweizer Rück sollte der Abfluss von Prämiengeldern zu ausländischen (Rück-)Versicherern unterbunden werden. Denn es war schon im 19. Jahrhundert Praxis, grössere Risiken weiter abzugeben bzw. zu zedieren. Neben ausländischen Rückversicherern teilten sich zum Teil auch die Erstversicherer ein einzelnes Risiko. Gerade die Feuerversicherer gaben jedoch ungern die Versicherungsdeckungen – und damit wertvolle Informationen – an Mitbewerber weiter.

Global sichert lokal

Die globale Risikoverteilung ist das Prinzip der Rückversicherer. Ein Kumulereignis wie ein Wirbelsturm richtet einen verheerenden Schaden an. Mit Hagibis und Faxai trafen im selben Jahr zwei verheerende Taifune Japan. Weil aber im Gegenzug die USA letztes Jahr von grossen Hurrikanschäden verschont blieben, fiel das globale Schadenausmass 2019 unterdurchschnittlich aus: Noch 2017 hatten die drei Hurrikans Harvey, Irma und Maria versicherte Schäden von 92 Milliarden Dollar verursacht.

Grosse Katastrophen stehen am Ursprung des Konzepts der Rückversicherer.

Modelle für die Wirklichkeit

Die weltweite, durch die Covid-19-Pandemie verursachte Krise traf Rückversicherer in einem ersten Moment vor allem auf der Aktivenseite durch fallende Aktienkurse, wie John R. Dacey, CFO der SwissRe Gruppe, anlässlich eines Analystencalls am 19. März 2020 erklärte. Insgesamt waren die Auswirkungen auf die Versicherer und Rückversicherer zu diesem Zeitpunkt noch nicht bezifferbar. Um die Risiken dieser Grössenordnungen einzuschätzen, arbeiten die Rückversicherer mit einer Vielzahl an Modellen. Für eine Pandemie, wie sie alle 200 Jahre eintritt, rechnet die Swiss Re für sich mit einem Schaden im Lebenbereich von 3,1 Milliarden Dollar. Für diese Berechnung hat Swiss Re rund 50’000 Pandemieszenarien ausgewertet und mit weiteren Parametern wie Sterblichkeit, Bevölkerungsdichte und Altersverteilung ausgewertet.

Der Klimawandel

Auch für Naturkatastrophen wie Wirbelstürme oder Überflutungen berechnen die Rückversicherer in Modellen und Szenarien, welchen Weg ein Hurrikan nehmen kann, wo Land überschwemmt werden könnte und welche Auswirkungen dies auf das Portfolio haben würde. Dieses Wissen hilft, Präventionsmassnahmen zu bestimmen oder Bauvorhaben zu planen. Gerade Daten klimatischer Veränderungen sind zunehmend in den Fokus gerückt. Die Bedeutung von klimabedingten Ereignissen steigt. So schreibt denn Christian Mumenthaler, CEO SwissRe, im Jahresbericht 2019, dass es wieder eine Vielzahl an kleineren und mittleren Schadenereignissen – sogenannte sekundäre Naturgefahren – gegeben habe, bei denen man die Folge des Klimawandels sehen könne: «Insgesamt waren klimabezogene Gefahren wie Hitzewellen, Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen 2019 für mehr als 50 Prozent der weltweit versicherten Schäden infolge Naturkatastrophen verantwortlich.»


«Zürich hat eine Sogwirkung»

Als Standort für Rückversicherer hat sich Zürich auch gegenüber internationaler Konkurrenz etabliert. Eva May, Projektleiterin Cluster Finance bei der Standortförderung des Kantons Zürich im Amt für Wirtschaft und Arbeit, erklärt, weshalb die Stadt für global tätige Rückversicherer so attraktiv ist.

Eva May

Passgenaue Rahmenbedingungen: Eva May.

Was macht Zürich attraktiv für Rückversicherer?
Rund ein Fünftel der Arbeitsplätze bei Versicherern entfallen in der Region Zürich auf die Rückversicherer. Das sind gut 4000 Arbeitsplätze. In Zürich hat sich ein Rückversicherungscluster etabliert mit einem starken Wachstum seit der Jahrtausendwende. Zwar hat die Finanzkrise auch bei den Rückversicherern ihre Spuren hinterlassen, doch die Steigerung der Wertschöpfung der Rückversicherer ist  seither im Vergleich zu den Schaden- und Lebensversicherungen signifikant. Zum Wachstum haben auch verschiedene Neuansiedlungen beigetragen. Zum Bespiel die Chubb Corporation, ein amerikanischer, international agierender Versicherungskonzern, der 2015 vom schweizerischen Konkurrent ACE Limited übernommen wurde. Es zeigt sich: Der Rückversicherungscluster hat eine Sogwirkung. Dazu trägt auch bei, dass Zürich neben den USA, Deutschland, London und Bermuda einer der fünf grössten Rückversicherungsstandorte weltweit ist.

Wie funktioniert diese Sogwirkung?
Wesentlich sind die Talente: Wir haben hervorragende Bildungsinstitute wie die ETH, die bestens qualifizierte Ingenieure, Naturwissenschaftler und Mathematiker hervorbringen. Gerade Rückversicherer benötigen – neben vielen anderen – solche Ausbildungsprofile. Zum Cluster zählen aber auch vor- und nachgelagerte Anbieter mit hochprofessionellen und synergetischen Dienstleistungen. Dies sind zum Beispiel spezialisierte Anwälte, Treuhänder und viele weitere. Gerade auch durch das Zusammenspiel diverser Akteure auf dem Platz Zürich hat sich der Rückversicherungscluster stark prosperierend entwickelt. Dieses funktionierende Umfeld zieht wieder neue Rückversicherer an. Kurz: Zürich bietet mit seinem innovativen, stabilen und prosperierenden und im Herzen von Europa gelegenen Ökosystem ideale Voraussetzungen für die Rückversicherungsbranche.

Und Talente sind das wichtigste Argument?
Ja. Rückversicherung ist ein spezialisiertes, internationales Geschäft. Deshalb sind Talente besonders zentral. Die Schweiz belegt in diesem Jahr zum siebten Mal in Folge den ersten Platz des Global Talent Competitiveness Index. Zürich hat eine hohe Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften und passgenaue Rahmenbedingungen. Dazu gehören ein flexibler Arbeitsmarkt für Talente und die hohe Lebensqualität, um sie hier zu halten. Ein weiteres Argument ist die gute Erreichbarkeit, denn wir sprechen von einem globalen Geschäft. Zürich hat mit dem Flughafen und der Bahn mit direkten Verbindungen nach Mailand, Paris oder München insgesamt eine sehr gute Infrastruktur.

Können Sie mit diesen Argumenten ausländische Unternehmen anziehen?
Ja. Diese Argumente sind neben einem moderaten Steuersystem
sehr überzeugend für ausländische Unternehmen. Die Standortförderung ist eine wichtige inländische Anlaufstelle und begünstigt die Vernetzung der bestehenden Akteure entlang der Wertschöpfungskette. Mit Blick auf ausländische Unternehmen bietet die Standortförderung einen One-Stop-Shop: Wir begleiten Unternehmen bei der Ansiedlung, bei Steuerfragen und Rulings, bei Arbeitsbewilligungen oder bei der Suche nach passenden Räumlichkeiten.

Wesentlich sind die Talente.

Mit welchen Standorten steht Zürich bei den Rückversicherern in Konkurrenz?
Global sind es die asiatischen Standorte wie Singapur, aber auch FinTech-Hubs wie London oder San Francisco.

Gibt es national eine Konkurrenz?
Im Finanzbereich gibt es Wettbewerb: Gerade die Banken wetteifern mit Standorten ausserhalb der Stadt Zürich, wo neue Rechenzentren implementiert werden. Nicht so bei den Rückversicherern. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich diese um das Seebecken konzentrieren.

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?
Wesentlich ist, das bestehende Ökosystem innovativ zu halten und kontinuierlich zu verbessern. Die Innovationskraft der Hochschulen gehört ebenso dazu wie ein dynamisches FinTech- und InsurTech-Umfeld, das Innovationen fördert. Der Erhalt der politischen Stabilität ist prioritär. Daneben verdienen der Abbau bürokratischer Hemmnisse und unverhältnismässige Regulierungen unser besonderes Augenmerk. Rückversicherer sollten die ausländischen Arbeitskräfte anstellen können, die sie für den nachhaltigen Ausbau ihrer Geschäftstätigkeit benötigen.

Sind Kontingente für Drittstaaten eine Gefahr?
Wir hatten bei den Rückversicherern in den letzten zwei Jahren kein Problem bei Arbeitsbewilligungen wegen der Kontingente. Wir müssen aber weiterhin dafür sorgen, dass der administrative Aufwand bei den Unternehmen möglichst gering bleibt und auch Start-ups die Talente bekommen, die sie brauchen.

War dies der Auslöser, dass Sie die Bedeutung der Rückversicherer für den Standort untersuchen?
Die Versicherungsbranche ist sehr wichtig und auch stabilisierend für den Finanzplatz Zürich. Deswegen wollen wir mit der nächsten Finanzplatzstudie, die im kommenden Jahr präsentiert wird, einen speziellen Fokus auf die Rückversicherer legen.


Wachstum und Wertschöpfung

Created with Highstock 6.0.3INDEXIERT:2000 = 100REALE BRUTTOWERTSCHÖPFUNG DER VERSICHERUNGSARTEN100100111.6111.6111.5111.5123.3123.3109.1109.1109.5109.5106.7106.7107107103.5103.5105.1105.1107.4107.4107.4107.4106.6106.6112.1112.1113.5113.5120.7120.7126126114.5114.510010086.386.374.974.984.384.379.479.487.987.991.791.7100.9100.9135.5135.5136.9136.9145.5145.5152.5152.5162.4162.4175.4175.4170.1170.1177.1177.1167.7167.7185.3185.3100100100.4100.496.396.3116.9116.9157157167.3167.3208.2208.2216.3216.3212.8212.8217.9217.9190.9190.9172.6172.6190.7190.7218.4218.4244.1244.1297.3297.3315.2315.2328.4328.410010097.997.9106.8106.8108.1108.1111111114.6114.6116.6116.6113113110.1110.1113.4113.4115.4115.4121121121.1121.1119.9119.9133.2133.2132.9132.9133.8133.8135.3135.310010011511512212299.999.9105.6105.6105.7105.7109.4109.4120120111.8111.8114.8114.8117.2117.2127.9127.9127.9127.9134.9134.9138.1138.1133.8133.8145.6145.6148.8148.8100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100100LebensversicherungSchadenversicherungRueckversichererSozialversicherungenAnderenull20002002200420062008201020122014201650100150200250300350Highcharts.com

Reale Bruttowertschöpfung der Versicherungsarten, 2000–2017 (Indexiert: 2000 = 100) Quelle: BFS, BAK Economics