At­trak­ti­ve Ar­beits­welt

Mit 47'700 Mitarbeitenden sind die Versicherer ein wichtiger Arbeitgeber in der Schweiz.
30. Juni 2020

Wie lebenslanges Lernen die Arbeitsmarktfähigkeit stärkt.

Ein Leben lang die eigene Zukunft planen

Von Takashi Sugimoto

Lebenslanges Lernen bedeutet mehr als nur die Anpassung an sich verändernde Bedingungen. Wer sich kontinuierlich weiterbilden möchte, braucht Zeit und muss Entwicklungen antizipieren, um die eigene Zukunft zu bestimmen.

Carine Alves

«Für mich persönlich ist Stillstand nichts.» Carine Alves, Swiss Life Select.

«Es wird garantiert wieder eine Weiterbildung geben», sagt Carine Alves. Die Partner- und Produktmanagerin für Unternehmensgeschäfte bei Swiss Life Select absolviert gerade eine Ausbildung zur diplomierten Versicherungswirtschafterin. Für sie ist es selbstverständlich, sich weiterzubilden, sich weiterzuentwickeln und sich neue Chancen zu erarbeiten: lebenslanges Lernen. Dennoch wird Carine Alves nicht sofort die nächste Weiterbildung in Angriff nehmen. Eine solche ist zeitintensiv. Sie bedeutet einen Effort, der nicht nur Carine Alves selbst fordert. Auch das private Umfeld trägt mit.

Matthias Zurflüeh

«Privates Umfeld und Vorgesetzte sind wichtig.» Matthias Zurflüh, emmental versicherung.

Wertvolle Unterstützung

Um eine Weiterbildung erfolgreich absolvieren zu können, ist es entscheidend, dass schon im Voraus die damit verbundene Wirkung auf Familie und Freunde berücksichtigt wird. Matthias Zurflüh betont. «Wenn zu Hause niemand hinter einem steht, kann man die Doppelbelastung nicht stemmen.» Der Leiter Marketing bei der emmental versicherung hatte diese Unterstützung. Mit verschiedenen Weiterbildungen eignete er sich vielseitige Kompetenzen an. Der gelernte Bauer hat sich zum Agrokaufmann HF und zum Erwachsenenbildner weitergebildet. Diese Kombination erweist sich in seinem Berufsalltag als ideal: «Wir sind eine ländlich orientierte Versicherung. Es hilft, wenn ich die Sprache der Kundinnen und Kunden spreche.» Auch für Carine Alves ist es zentral, dass sie das Gelernte anwenden kann. Nur wegen eines Diploms mache eine Weiterbildung keinen Sinn.

Yvonne Häring

«Das lebenslange Lernen ist zentral.» Yvonne Häring, Pax.

Konkrete Ziele setzen

So einfach es kling, so selbstverständlich es heute scheint – lebenslanges Lernen ist kein Selbstläufer. Gefragt ist Zielgerichtetheit. Die eigene Zukunft muss geplant werden. «Es braucht einen individuellen Entwicklungsplan», sagt Yvonne Häring. Das Mitglied der Geschäftsleitung bei Pax hat ihr theoretisches Uni-Wissen gezielt mit Weiterbildungen ergänzt. Die konkrete Auswahl ergab sich bei ihr aus der Analyse, welche Fähigkeiten und Skills sie sich noch aneignen wollte. «Es braucht eine bewusste Auseinandersetzung und eine konkrete Ausformulierung, welche Fähigkeiten bis wann erlangt werden müssen», sagt Yvonne Häring. Dieses Vorgehen ist auch für Marc Schenker selbstverständlich. Er will dank einer Weiterbildung eine Tätigkeit perfekt beherrschen. «Dies ermöglicht es mir, die Entwicklung zu antizipieren und sie zu beeinflussen», sagt der Verantwortliche für den technischen Support bei der Baloise in der Romandie. Dieses Vorgehen ist für ihn der Schlüssel zum Erfolg. Es erlaubt ihm, seine eigenen Ziele zu definieren.

Marc Schenker

«Die technologische Entwicklung lässt stetig neue Berufsprofile entstehen.» Marc Schenker, Baloise.

Vorgesetzte leisten wichtigen Beitrag

Bestens für die Aufgaben ausgebildet zu sein, ist für Marc Schenker Voraussetzung, um Spass an der Arbeit zu haben. Die eigene Motivation ist der wichtigste Treiber für die Weiterbildungen. «Aber natürlich ist auch der Vorgesetzte ein Motivator», sagt er. Gemeinsam gilt es, die Karriereplanung sowie das damit verbundene Zeitmanagement zu besprechen. Vorgesetzte und Mitarbeitende sollten ihre Ansprüche und Erwartungen bezüglich der Weiterbildung abstimmen, um in dieselbe Richtung zu gehen. Dies durfte Vera Gottwald, Leiterin Strategie und Guidelines bei Allianz Suisse, erfahren. «Meine Vorgesetzten haben mich in verschiedenen Weiterbildungen nicht nur unterstützt, sondern auch proaktiv gefördert.» Doch Vorgesetzte können bereits mit ihrem eigenen Verhalten für das lebenslange Lernen werben, indem sie ihrer Vorbildfunktion gerecht werden. «Das ist immens wichtig», sagt Yvonne Häring.

Stefan Walthes

«Wichtig ist das Erweitern des eigenen Wissens.» Stefan Walthes Helsana.

Digitalisierung schreitet voran

Ein Faktor fordert Mitarbeitende heute besonders: die Digitalisierung. «Um hier halbwegs mithalten zu können, ist lebenslanges Lernen unabdingbar», sagt Stefan Walthes von der Helsana. Der ICT-Spezialist hat soeben eine Weiterbildung zu digitalen Veränderungsprojekten abgeschlossen. Die digitale Entwicklung schreitet mit einer enormen Geschwindigkeit voran. Es ist herausfordernd, immer aktuell zu bleiben. Aber Stefan Walthes sieht diese Entwicklung nicht nur in der Digitalisierung. Es ist ein allgemeines Phänomen. «Wer meint, mit einem 15 Jahre alten Uni-Abschluss heute noch zur Innovation beitragen zu können, wird schnell erkennen müssen, dass sich die Welt weitergedreht hat», sagt er.

Verena Gottwald

«Lebenslanges Lernen bedeutet Offenheit, Flexibilität und Neugierde.» Vera Gottwald, Allianz Suisse.

Zeit für Neues

Neues zu lernen ist der Anspruch an jede Weiterbildung. «Es ist eben nicht nur, sich an die sich verändernden Bedingungen anzupassen», sagt Marc Schenker. Vera Gottwald teilt diese Meinung: «Es ist die Einsicht, sich mit etwas Neuem auseinandersetzen zu wollen. Eine Weiterbildung bedeutet für mich, dass ich mir Zeit nehmen kann, mich intensiv auf ein neues Thema einzulassen.» Und Carine Alves nennt es «nicht stehen zu bleiben und immer wieder aus der Komfortzone herauszukommen». Dies braucht Zeit. Eine Weiterbildung erzwingt diesen Freiraum. Und sie bietet einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Mehrwert. «Gerade eine externe Weiterbildung bietet den Austausch mit anderen Teilnehmenden, ihren Erfahrungen und Ansichten, die Auseinandersetzung mit deren Firmenkulturen», sagt Stefan Walthes. Weiterbildungen liefern neue Impulse für den Arbeitsalltag. Sie ermöglicht Einblicke in andere Branchen. Yvonne Häring fügt an: «Und gleichzeitig erweitert man bei einer externen Weiterbildung sein berufliches Netzwerk, einerseits durch die anderen Teilnehmenden, andererseits durch die Dozenten.»

Jetzt die Zukunft gestalten

Ein Kommentar von Sophie Revaz

Heute lernt man nicht mehr nur einen Beruf, den man dann sein Leben lang ausübt. Es ist wichtig, täglich dazuzulernen, ob bei der Arbeit oder im Rahmen einer Ausbildung. Neugier und Wissensdurst sowie der Wunsch, sich neue Fähigkeiten anzueignen und Wissen zu erwerben, zahlen sich aus.

Sophie Revaz

Sophie Revaz ist Mitglied der Generaldirektion der Groupe Mutuel.

In meiner Funktion als Leiterin des Bereichs Leistungen Einzelversicherungen, dem auch das HR angegliedert ist, erlebe ich dies jeden Tag. Erwartungen und Anforderungen ändern sich, und zwar immer schneller. Egal in welchem Unternehmen und in welcher Funktion: Ohne lebenslanges Lernen geht es nicht. Viele schätzen dieses dynamische Umfeld, das vom Wandel genährt wird. Diese Entwicklung kann aber auch Angst machen. Deshalb müssen wir als Unternehmen und Führungskräfte stets mit Empathie zuhören, den Wandel begleiten und die Arbeitsmarktfähigkeit aller unserer Mitarbeitenden fördern. Lebenslanges Lernen liegt in der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen, aber auch der Gesellschaft als Ganzes, die von allen Beteiligten, ob öffentlich oder privat, einfordert, ein hohes Kompetenzniveau und eine gute Arbeitsmarktfähigkeit zu gewährleisten.

Ich bin überzeugt, dass wir ein für alle stimulierendes und attraktives Arbeitsumfeld schaffen können, wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen, unseren Mitarbeitenden mit Menschlichkeit begegnen und sie begleiten. Als Unternehmen ist es an uns, unseren Mitarbeitenden Schulungen anzubieten, die auf die künftigen Marktbedürfnisse ausgerichtet sind, und so die Bildungslandschaft der Schweiz weiter zu stärken. Die Groupe Mutuel hat erst kürzlich ihr Weiterbildungsangebot und ihre Firmenpolitik entsprechend überarbeitet, um dem lebenslangen Lernen einen noch höheren Stellenwert einzuräumen. Ich möchte daher sowohl die Arbeitgebenden als auch die Arbeitnehmenden aufrufen, in Aus- und Weiterbildung sowie in die persönliche Entwicklung zu investieren.


Niemand macht Karriere im stillen Kämmerlein

Der SVV will die ausgeglichene Geschlechtervertretung im Kader fördern. Die beiden SVV-Vorstandsmitglieder Philomena Colatrella, CEO der CSS, und Fabrizio Petrillo, CEO AXA Schweiz, sprechen über Perspektiven, Herausforderungen und das Women Insurance Network.

Fabrizio Petrillo

Begrüsst die Signalwirkung des Women Insurance Network: Fabrizio Petrillo, CEO AXA Schweiz und Mitglied Vorstand SVV.

Die Forderung nach einer ausgeglichenen Geschlechtervertretung ist nicht neu, das Ziel ist dennoch nicht erreicht.
Fabrizio Petrillo: Natürlich sind wir noch nicht so weit, wie wir gerne wären. Aber das hat vielschichtige Gründe und es braucht vor allem Zeit, wie ich auch aus unserer eigenen Erfahrung bei der AXA weiss.

Philomena Colatrella: Es gibt durchaus Fortschritte, wenn auch auf tiefem Niveau: Gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung beträgt der Frauenanteil in Führungspositionen nun immerhin etwas mehr als ein Drittel.
Zuversichtlich stimmt mich, dass die Sensibilität für das Thema deutlich gewachsen ist.

Fabrizio Petrillo: Wichtiger als eine ausgeglichene Geschlechtervertretung im Hier und Jetzt scheint mir ein breiter Konsens zu sein, dass Frauen ebenso fähige Führungskräfte sind und die gleichen beruflichen Opportunitäten haben müssen wie Männer. Diesbezüglich sind wir in der Wirtschaft wie auch in der ganzen Gesellschaft meiner Meinung nach einen grossen Schritt vorwärtsgekommen, auch wenn wir speziell beim letzten Punkt noch nicht am Ziel sind.

Welche Rolle kann ein Netzwerk wie das Women Insurance Network hier einnehmen?
Philomena Colatrella: Es sorgt zum einen dafür, dass das Thema auf dem Radar bleibt. Zum anderen bietet es die besten Voraussetzungen, um nicht nur neue Kontakte zu knüpfen, sondern auch brancheninternes Wissen auszutauschen. Denn so viel ist klar: Niemand macht Karriere, wenn man im eigenen Kämmerlein verharrt. Das gilt für Frauen erst recht.

Fabrizio Petrillo: Das Women in Insurance-Netzwerk ist sicher einmal ein gutes Signal, dass der SVV die Bedeutung der personellen Vielfalt auf den verschiedenen Hierarchiestufen für den wirtschaftlichen Erfolg, die gesellschaftliche Verankerung sowie der Reputation unserer Branche anerkennt und sich deshalb bewusst mit dem Thema «Diversity» auseinandersetzt.

Philomena Colatrella

Fördert die Diversität: Philomena Colatrella, Vorsitzende der Geschäftsleitung CSS und Mitglied Vorstand SVV.

Was braucht es noch, um die gläserne Decke zu Topkaderpositionen zu durchstossen?
Philomena Colatrella: Es müssen sich auch die strukturellen Bedingungen verbessern, damit mehr Frauen in Top-Positionen gelangen. Gefragt sind Arbeitsmodelle, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Wichtig ist auch, dass das Thema Diversität und «Frauenförderung» im Unternehmen systematisch auf allen Stufen erfolgt.

Fabrizio Petrillo: Natürlich sind auch die einzelnen Gesellschaften gefordert, etwa indem sie wie wir Teilzeitmodelle für Frauen und Männer auf allen Hierarchiestufen ermöglichen.

Philomena Colatrella: Und es darf nicht sein, dass eine Babypause für Frauen ein Hindernis in ihren Karriereplänen darstellt, sonst stossen sie zwangsläufig an die berühmte gläserne Decke.

Welche Chancen, Vorteile und Herausforderungen bringt ein vielfältig zusammengesetztes Kaderteam?
Philomena Colatrella: Diversität erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass verschiedene Sichtweisen einfliessen und Entscheide breiter abgestützt sind. Entscheidungen eines gemischten Teams sind nachweislich von besserer Qualität. Zugleich braucht es eine grössere Konfliktfähigkeit als in homogen zusammengesetzten Teams. Und wenn mehr Frauen in Führungspositionen gelangen, können sie anderen ein Vorbild sein und ihnen Mut machen.

Fabrizio Petrillo: Es ist durch viele Studien empirisch belegt, dass Personen mit unterschiedlichen Hintergründen – seien es die Wertvorstellungen, die Fähigkeiten, die Ausbildung oder eben das Geschlecht – gemeinsam erfolgreicher sind als homogene Teams. Dies deckt sich auch mit meiner eigenen Lebenserfahrung: Die besten Lösungen entstehen, wenn man sich ihnen aus unterschiedlichen Blickwinkeln im konstruktiven Wettstreit der Argumente nähert. 

Haben Sie in Ihrer persönlichen Karriere erlebt, dass das Geschlecht eine Rolle gespielt hat?
Fabrizio Petrillo: Das Geschlecht ist nur eines von vielen Merkmalen eines Menschen – man sollte deshalb niemanden darauf reduzieren. Andererseits nehme ich den stetig steigenden Anteil weiblicher Führungskräfte im Senior Management der AXA persönlich als grosse Bereicherung wahr. Insofern: Ja, ich habe schon erlebt, dass es eine Rolle spielt – eine positive.

Philomena Colatrella: Ich hatte ab und zu das Gefühl, dass ich mehr tun musste, um mir Gehör zu verschaffen. Ich habe mich davon aber nie beirren lassen und bin konsequent meinen Weg gegangen. Das hat mir nicht nur Respekt eingetragen, sondern mich auch stärker gemacht. Für meine tägliche Arbeit ist es aber nicht von Bedeutung, dass ich eine Frau bin. Durchsetzungsfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit sind ja auch keine Frage des Geschlechts.


Arbeiten neu gedacht

Mit neuen Arbeitsmodellen gehen die Versicherer individuell auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein.

Als attraktive Arbeitgeber sind die Versicherer gefordert, mit neuen Arbeitsmodellen den sich verändernden Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden gerecht zu werden. Dabei setzen die Unternehmen auf verschiedene Ansätze. Mit der Initiative «Berufsleben aktiv gestalten» fördert beispielsweise Swiss Life flexible Arbeits- und Entwicklungsmodelle. Es gibt unter anderem verschiedene Time-out-Modelle, z. B. die Möglichkeit, Ferientage zu kaufen oder zu kumulieren, um eine längere Auszeit zu beziehen. Und mit dem «Modell 58+» schafft Swiss Life die entsprechenden Voraussetzungen, damit sich Mitarbeitende ab 58 ohne Einbusse der künftigen Rentenleistungen in eine neue Funktion entwickeln, Verantwortung abgeben oder ihr Arbeitspensum reduzieren können.

Auch die Mobiliar baut ihr agiles Arbeitsmodell weiter aus. Neu setzt das Unternehmen dabei auf agile Teams. Jeweils für drei Monate arbeiten bis zu 800 Mitarbeitende in interdisziplinären Teams, vornehmlich aus dem IT-Bereich. In dieser Zeit realisieren sie die vereinbarten Ergebnisse aus dem Projektportfolio. Nach Ablauf der drei Monate treffen sich die Teams für einen zweitägigen Austausch. Neue Aufgaben werden verteilt und bei Bedarf neue oder weitere Teams zusammengestellt. Seit gut drei Jahren nutzt die Mobiliar diese getaktete Planung.