24. Fachtagung Haftpflicht: US-Risiken, PFAS und Food Safety bei Rekord-Teilnahme
Aktuelle Gerichtsurteile und Umweltrisiken in Milliardenhöhe: Die 24. Fachtagung Haftpflicht zeigte, wie dynamisch und international komplex das Haftpflichtgeschäft heute ist – von sozialen Inflationseffekten in den USA bis zu PFAS-Belastungen vor der eigenen Haustür. So konnte die Tagung im Jubiläumsjahr des SVV auch einen neuen Teilnehmerrekord verzeichnen: Die knapp 100 Gäste nutzten das «Get2Gether» der Haftpflichtversicherer zum regen Austausch über zentrale Themen der Branche.
Lorenzo Natale, Director Technical Portfolio Management bei Generali, eröffnete die Tagung vor vollem Saal mit dem Rückblick über das Jahr der Haftpflichtversicherer. Dabei stellte der Präsident der Kommission Haftpflicht des SVV neben dem Übergangsrecht VVG (BGE 4A_189/2024) die Neuauflage der Broschüre «Emerging Risks» vor, welche voraussichtlich im Sommer 2025 publiziert wird (aktuelle, 2024 überarbeitete Ausgabe). So sind künftig Risiken in Bereichen wie Kreislaufwirtschaft, Microplastic, Social Inflation, Addictive Software und Social Media aber auch künstliche Intelligenz für Haftpflichtversicherer von Bedeutung.
Rückblick über das Jahr der Haftpflichtversicherer: Lorenzo Natale, Präsident der Kommission Haftpflicht des SVV.
Von Risiken in den USA und dem Planen und Bauen in Projektallianzen
Maurizio Caré, Manager Liability bei AIG, ging auf US-Risiken ein, wobei er als Beispiele die soziale Inflation und Prozessfinanzierer ins Feld führte. Die soziale Inflation bezeichnet den Anstieg der Schadenersatzforderungen und Haftungsansprüche, der über das hinausgeht, was durch wirtschaftliche Faktoren wie Löhne oder Preise erklärt werden kann. Hauptursachen seien vor allem der «Deep-Pocket-Effekt» (die reichen Unternehmen kann man guten Gewissens schröpfen), «nuclear verdicts» (Zuspruch utopisch hoher Schadenersatzzahlungen durch ein emotional geleitetes Geschworenengericht) oder massive Werbung durch Klageanwälte in den USA.
Gespanntes Zuhören: die Tagung konnte im Jubiläumsjahr des SVV mit knapp 100 Teilnehmenden einen neuen Teilnahmerekord verzeichnen.
Heinz Ehrbar stellte daraufhin das «Planen und Bauen in Projektallianzen» vor: ein innovativer Ansatz bei Grossbauprojekten, der die Interessensgleichrichtung aller Partner und eine faire Risikoteilung zum Ziel hat. Anstelle traditioneller Schuldzuweisungen steht das Prinzip «best for project» im Zentrum, wodurch Projekte effizienter und damit kostengünstiger abgeschlossen werden können. Das in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Ingenieurs- und Architektenverein SIA erarbeitete Merkblatt 2065 soll den Einsatz solcher noch relativ neuen Projektallianzen in der Schweiz erleichtern.
«Planen und Bauen in Projektallianzen»: Anstelle traditioneller Schuldzuweisungen steht das Prinzip «best for project» im Zentrum.
PFAS: Omnipräsent und dennoch weitgehend unbekannt
«Eigentlich dürfte ich heute gar nicht hier stehen und etwas zu PFAS erzählen – weil wir noch nichts darüber wissen.» – mit dieser Problemstellung eröffnete Dr. Christoph Mettler der Advotech Advokaten sein Referat zu den Ewigkeitschemikalien PFAS, einem «emerging risk». In den USA hätten PFAS-Rechtsstreitigkeiten bereits zu diversen Vergleichen mit einer Gesamtsumme von rund 18 Milliarden geführt, in der Schweiz müsse für Sanierungsmassnahmen ebenfalls mit Kosten in Milliardenhöhe gerechnet werden. Das grösste Thema in der Schweiz seien zurzeit Feuerlöschschäume, welche das schädliche PFOS enthalten. Aktuelle Fälle gebe es beispielsweise mit dem Trinkwasserverbot rund um den EuroAirport in Basel.

Emerging Risk: Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS, sind in unserer Umwelt omnipräsent. (Quelle: Eurofins.ch)
Dass durch diese Entwicklung der Regulierungsdruck steigt, liegt laut seinem Kollegen Yves Lampart auf der Hand. Er zeigte auf, wie die EU zunehmend strengere Vorschriften zu PFAS erlässt – von Herstellungsverboten über Trinkwassergrenzwerte bis hin zu Lebensmittelregulierungen – und dass auch die Schweiz viele dieser Vorgaben übernimmt oder anpasst, um nicht nur bereits vorhandene PFAS-Emissionen zu beschränken, sondern die PFAS-Produktion als Ursache zu verbieten.
Die beiden Juristen klärten die Teilnehmenden auch über öffentlich- und privatrechtliche Haftungen auf, die im Umweltrecht bei PFAS-Belastungen greifen – mit besonderem Fokus auf das Verursacherprinzip, bei dem sogenannte «Verhaltensstörer» (z.B. Feuerwehren) heute oft einen Grossteil der Sanierungskosten tragen. Neu könnten ab April 2025 unter bestimmten Bedingungen VASA-Abgeltungen beantragt werden, was eine finanzielle Entlastung für betroffene Gemeinwesen schaffen soll. Wie stark das Thema bewegt, zeigte sich an zahlreichen Fragen aus dem Plenum – auch beim anschliessenden gemeinsamen Mittagessen wurde angeregt weiterdiskutiert.
Angeregte Gespräche: die Referate des Morgens wurden auch beim Mittagessen nochmals aufgenommen.
Was ändert sich mit der neuen Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853?
Zurück aus dem Mittag klärte Prof. Dr. Ina Ebert, Expertin für Haftungs- und Versicherungsrecht bei der Munich Re, über die Neue Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 auf. Die 1985 erlassene Direktive wurde nach 39 Jahren Gültigkeit umfassend erneuert und ist seit 2024 in Kraft. Die Revision brachte einige Veränderungen mit sich: digitale Produkte und KI werden erstmals ausdrücklich einbezogen, die Beweislast zugunsten der Geschädigten verschoben und neue Haftungsakteure definiert.
Angeregt im Plenum diskutiert wurden auch die Folgen für die Haftpflichtversicherer: mehr Rechtsunsicherheit und steigender Absicherungsbedarf, aber auch neue Chancen für innovative Versicherungsprodukte. Die neue Produkthaftungsrichtlinie gilt für alle Produkte, die ab Dezember 2026 in Verkehr gesetzt werden – eine Frage, die die grosse Mehrheit der Anwesenden im abschliessenden Mentimeter-Quiz korrekt beantwortete.
Nach 39 Jahren Gültigkeit umfassend erneuert: Prof. Dr. Ina Ebert zur Neuen Produkthaftungsrichtlinie 2024 / 2853
Gefahren auf dem Teller: Risiken in der Lebensmittelsicherheit
«Weltweit sterben jährlich fast eine halbe Million Menschen durch den Verzehr kontaminierter Lebensmittel.» sagte Ramiro Dip, Senior Risk Engineer bei Swiss Re in seinem Input zu Food Safety. Er zeigte auf, welche Elemente die Nahrungsmittelsicherheit beeinflussen und wie die sozialen Medien dabei eine wichtige Rolle spielen. Risikotreiber seien dabei nicht nur mikrobiologische Kontamination wie Bakterien oder Pilze, sondern auch chemische oder physikalische Kontaminierungen.
«Long-Tail»-Risiken im Food-Bereich: Plastikverpackungen, Zuckerzusätze oder hochverarbeitete Lebensmittel.
Am Beispiel des Ethylen-Oxid-Skandals zeigte er, welche Risiken kontaminierte Produkte haben und wie sie trotz Verboten in die EU gelangen können. Als effektiver Lösungsansatz zur Risikominderung seien eine erhöhte Transparenz und bessere Rückverfolgbarkeit der Lieferkette wichtig: noch heute seien beispielsweise 20% aller Fischwaren falsch deklariert. Abschliessend unterstrich er die Bedeutung der sogenannten «Long-Tail»-Risiken im Food-Bereich: Plastikverpackungen, Zuckerzusätze oder hochverarbeitete Lebensmittel.
Zum Schluss bedankten sich Lorenzo Natale und Patrizio Pelliccia sowie die Organisatorin Daniela Merola für die zahlreiche Teilnahme. Tatsächlich konnte die Tagung im Jubiläumsjahr des SVV einen neuen Teilnehmerrekord verzeichnen: Die knapp 100 Gäste schätzten den gemeinsamen Austausch zu zentralen Themen der Branche sowie die praxisnahe «Tour d’Horizon» mit Aktualitätsbezug sehr.
Über die Fachtagung Haftpflicht des SVV
Die Fachtagung Haftpflicht des SVV fand 2025 zum 24. Mal statt. Die Tagung wird von Spezialistinnen und Spezialisten aus den beiden Bereichen Schaden und Underwriting nicht nur aufgrund der spannenden Praxisreferate sehr geschätzt, sondern vor allem auch um sich austauschen und vernetzen zu können. Die Fachtagung findet jährlich statt.
Wir informieren in unserem monatlichen Newsletter, sobald die Anmeldung für 2026 möglich ist.