
Seit der Finanzkrise 2008 ist der volkswirtschaftliche Nutzen von Branchen und Unternehmen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Der Basler Kommunikationsexperte Daniel Künstle* geht im Interview der Frage nach, was Branchen leisten müssen, um in der Öffentlichkeit als volkswirtschaftlich-verantwortungsvoll wahrgenommen zu werden.
Daniel Künstle: Wie alle grossen wirtschaftlichen Krisen hat auch die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/2008 – gleichsam als «Abbauprodukt» – fundamental veränderte gesellschaftliche Erwartungen an die Adresse von sozialen, politischen und ökonomischen Organisationen hinterlassen.
Zentrales Merkmal dieser Veränderung ist insbesondere, dass der volkswirtschaftliche Nutzen von Unternehmen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte. Von den Unternehmen wird seit der Krise der Nullerjahre in gesellschaftlicher Hinsicht mehr erwartet, als sich nur durch karitative oder gemeinnützige Aktionen einen sozialen Anstrich zu verpassen. Von Bedeutung ist nun primär die Beweisführung, dass die ökonomische Leistungsfähigkeit und Kompetenz der Unternehmen zum Wohl jener nationalen und regionalen Standorte eingesetzt wird, an denen sie konkret tätig sind und von deren Rahmenbedingungen sie letztlich ja auch profitieren.

Daniel Künstle ist Inhaber und Geschäftsführer der commsLAB AG.
Will ein Unternehmen volkswirtschaftliche Verantwortung übernehmen, hat es sich an zwei Leitlinien zu orientieren: Die eigenen Aktivitäten haben erstens den Standorten zu dienen, an denen der Wirtschaftsakteur konkret tätig ist; dies bedeutet auch, dass Handlungen unterlassen werden, die den Standort (potentiell) gefährden. Zweitens sollten gesellschaftliche beziehungsweise soziale Aktivitäten immer konkret mit der eigenen Kompetenz und Expertise verknüpft werden.
Genau. Das wirtschaftliche Interesse der Versicherungswirtschaft an einer funktionierenden Altersvorsorge für den Standort Schweiz lässt sich nur dann langfristig erfolgreich bewirtschaften, wenn man sich auch glaubwürdig in den entsprechenden gesellschaftlichen Diskurs einbringt. Dies gilt umso mehr, als nach der gescheiterten Rentenreform von 2017 die Sorge um die langfristige Sicherung der Altersvorsorge weiter zugenommen hat.
Eine volkswirtschaftlich-verantwortliche Positionierung heisst deshalb, dass man die eigene unbestreitbare Expertise in dieser gesellschaftspolitisch so wichtigen Diskussion aktiv und kontinuierlich einbringt. Ziel sollte es nicht sein, zuallererst auf politischer Ebene die eigenen wirtschaftlichen Interessen ins Trockene zu bringen. Vielmehr sollte die Absicht im Zentrum stehen, auf Basis der eigenen Überzeugung zur gesellschaftlichen Orientierungsstiftung insgesamt beizutragen, um zukunftssichernden Lösungen an der Urne zum Erfolg zu verhelfen.
Eine solche volkswirtschaftlich-verantwortliche Positionierung führt zwangsläufig zu einer zusätzlichen, nicht immer nur vorteilhaften, öffentlichen Exponierung. Diese gilt es aber auszuhalten, verleiht sie doch der eigenen Überzeugung auch die nötige Glaubwürdigkeit.
«Corporate Social Responsibility» wird häufig einfach verstanden als das «soziale Engagement» von Unternehmen. Der fundamentale Unterschied zwischen der klassischen CSR und der «Volkswirtschaftlichen Verantwortung» liegt darin, dass die Volkswirtschaftliche Verantwortung zwingend eines Bezugs zur Kernkompetenz und damit zur Wertschöpfungskette des Unternehmens bedarf.
Mit anderen Worten: Ein Unternehmen wird nicht darum als volkswirtschaftlich-verantwortlich wahrgenommen, weil es sich in der Öffentlichkeit als besonders karitativ oder ökologisch vorbildlich zu positionieren versucht – im 21. Jahrhundert sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein –, sondern weil es die eigene ökonomische Leistungsfähigkeit und Kompetenz gezielt in diejenigen gesellschaftlichen Fragestellungen einbringt, die für die eigenen Standorte von besonderer Relevanz sind.
Teilweise. Die Versicherer gehören in der Schweiz zu den grossen Gewinnern der Finanzkrise. Sie profitierten von einer deutlichen Positivkontrastierung gegenüber den Banken. In einem Satz vereinfacht zusammengefasst: Anders als die Banken, die die Wirtschaft an den Rand eines Kollapses führten, haben sich die «langweiligen», auf Langfristigkeit ausgerichteten Geschäftsmodelle der Versicherer offensichtlich bewährt und zu einer Stabilisierung des Standorts beigetragen.
Gerade angesichts dieser unbestrittenen volkswirtschaftlichen Bedeutung, bleibt die öffentliche Präsenz der Versicherer aber vergleichsweise bescheiden. Insbesondere in gesellschaftspolitisch zentralen Fragestellungen wie der Altersvorsorge, den Gesundheitskosten, den Negativzinsen und dem Klimawandel agiert die Versicherungsbranche doch sehr zurückhaltend und bringt ihre diesbezügliche Expertise nur zögerlich in den öffentlichen Diskurs ein. Damit läuft sie Gefahr, dass Drittakteure, deren Funktionslogik vor allem ideologischen und sozial-moralischen Wertmassstäben unterliegt, die politische und gesellschaftliche Meinungsbildung bestimmen.
* Daniel Künstle ist Inhaber und Geschäftsführer der commsLAB AG. Von 2004 bis Ende 2008 war er Stabschef bei der damaligen Schweizerischen Versicherungsaufsicht und Mitglied des Steuerungsausschusses beim Aufbau der umfassenderen Finanzmarktaufsicht Finma. Von 1994 - 2004 war er Konzernsprecher von UBS respektive Bankverein und Leiter der Konzerneinheit Corporate Reputation Analysis. Seit 2015 ist Daniel Künstle auch Stiftungsrat des fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich und daneben als Dozent im Bereich Reputations- und Issuemanagement tätig.
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Die Schweizer Versicherungswirtschaft hat ein erfolgreiches Jahr hinter sich: 2019 ist das Prämienvolumen sowohl im Nichtlebens- als auch im Lebensversicherungsgeschäft gestiegen.
