Op­ti­ma­le Rah­men­be­din­gun­gen

Welche Rahmenbedingungen für Versicherer und Versicherte sinnvoll sind.

Auf der Suche nach einem massvollen Konsumentenschutz.

Ein Balanceakt zum Nutzen aller

Von Claudia Wirz

Wie viel Konsumentenschutz braucht es, um Versicherte effektiv und effizient zu schützen? Diese Frage stellt sich der Versicherungsbranche in gleich drei laufenden Gesetzesrevisionen. Bei der Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes ist ein massvoller Ausbau des Konsumentenschutzes in Griffweite. Der SVV unterstützt diese Revision und setzt sich dafür ein, dass auch für das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Datenschutzgesetz eine gute Balance zwischen Regulierung und Eigenverantwortung gefunden wird.

Konsumenten

Ist mehr Konsumentenschutz immer gut für die Konsumenten? Um diese Frage hat sich ein Grossteil der Diskussionen betreffend die Revision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) gedreht. Die Intensität der parlamentarischen Beratungen zu diesem Geschäft zeigt, dass diese Frage komplexer ist, als sie auf den ersten Blick scheint. Eine simple Antwort kann der Sache jedenfalls nicht gerecht werden.

Die richtige Balance

Die Frage, wo die richtige Balance zwischen staatlicher Regulierung und privater Eigenverantwortung liegt und ab wann sich der gesetzliche Schutz sogar gegen die Interessen der Kundinnen und Kunden wendet, hat nicht nur die Debatte um die Revision des VVG bestimmt. Sie steht auch bei den Revisionen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und des Datenschutzgesetzes im Zentrum. Verschärfte Regeln haben immer ihren Preis. Und diesen bezahlen die Konsumenten. In der Versicherungswirtschaft können zusätzliche Regulierungen zu höheren Prämien oder schlechteren Angeboten führen. Das ist alles nicht im Interesse der Kundinnen und Kunden.

Versicherte sind in der Schweiz schon heute gut geschützt.

Der richtige Schutz

Niemand stellt den gesetzlichen Konsumentenschutz grundsätzlich in Frage. Versicherte sind in der Schweiz schon heute gut geschützt; kaum eine Branche ist so stark reguliert wie die Versicherungsbranche. Das hat durchaus seine Berechtigung. Die Materie ist komplex und das Finanz- und Versicherungswissen ist in der Schweizer Bevölkerung eher schwach ausgeprägt. Das hat im Jahr 2016 eine repräsentative Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen offenbart, die vom Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) in Auftrag gegeben wurde.¹

Derweil die politischen Debatten praktisch ausschliesslich unter Expertinnen und Experten stattfinden, wurden in dieser Studie die Befindlichkeiten der Versicherten selbst eruiert – und zwar zum ersten Mal. Auf der Suche nach dem Gesicht des oder der durchschnittlichen Versicherten kamen drei Kundentypen zum Vorschein: Die Pragmatiker stellen mit einem Anteil von 41 Prozent die grösste Gruppe aller Befragten. Ihr Prinzip im Umgang mit der Versicherungspolice ist «lochen, ablegen und im Schadensfall telefonieren». Drei Fünftel der Pragmatiker sind Frauen. Die Selbstentscheider, die genau wissen, was sie wollen und können, stellen mit 36 Prozent die zweitgrösste Gruppe. Die kleinste Gruppe ist jene der Delegierer, die Entscheidungen am liebsten zusammen mit dem Berater treffen.

Die Pragmatiker

Der hohe Anteil der Pragmatiker dürfe so gewertet werden, dass in der Schweiz Versicherungen ein hohes Mass an Vertrauen entgegengebracht wird, urteilt die NZZ. Wer zufrieden ist, kümmert sich nicht um Versicherungskram. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie viel zusätzlicher Konsumentenschutz von den Direktbetroffenen tatsächlich gewünscht wird. Konsumentenschutzorganisationen erweisen sich nur bedingt als zuverlässige Referenz, weil sie einer eigenen Agenda folgen, wie Professor Peter Maas, einer der Autoren der St. Galler Studie, sagt.

Gleichwohl fanden die Anliegen der Konsumentenorganisationen in den Beratungen Gehör. In der Kritik stand vor allem Art. 35 des VVG. Es gab Bedenken, wonach gemäss diesem Artikel Vertragsanpassungen möglich würden, die unter geltendem Recht unzulässig wären. Dabei müssten solche Anpassungen angesichts des rasanten technologischen Wandels keineswegs ein Unding sein, zieht man die Alternative in Form von Tausenden von Änderungskündigungen oder Prämienerhöhungen in Betracht. In einem Abstimmungskampf wären solche Überlegungen insbesondere mit Bezug auf die Krankenversicherung schwer zu vermitteln, wo die Wahlfreiheit der Konsumenten stark eingeschränkt sei, schreibt Babette Sigg vom Konsumentenforum. Der SVV unterstützte die Streichung des umstrittenen Artikels und den nun gefundenen Kompromiss für einen massvollen Ausbau des Konsumentenschutzes.

Vertrauen

«Der Kunde erfährt erst im Schadensfall, ob seine Versicherung und sein Berater wirklich gut sind», meint Peter Maas. Die Versicherungsbranche lebt vom Vertrauen ihrer Kundinnen und Kunden. Dieses gibt es nicht gratis, sondern es muss täglich erarbeitet werden. Damit es nicht zu unerfreulichen Erlebnissen kommt, investiert die Schweizer Versicherungswirtschaft laufend in die Fach- und Handlungskompetenz ihrer Mitarbeitenden und führt dazu das Branchenregister «Cicero». Es ist das überbetriebliche Bekenntnis zu Beratungsqualität und lebenslangem Lernen. Um Vertrauen geht es auch bei den Revisionen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und des Datenschutzgesetzes. Der SVV unterstützt die bisherigen Stossrichtungen bei diesen beiden Reformen und setzt sich mit seinen Korrekturvorschlägen dafür ein, dass auch hier eine ausgewogene Lösung gefunden wird, die keine unnötige Bürokratie aufbaut und nur dort reguliert, wo es im Interesse von Versicherten und Versicherern gleichermassen geboten ist.


1 Pascal Bühler / Martin Eling / Peter Maas / Veselina Milanova
Konsumentenschutz aus Kundensicht:
Eine empirische Studie im Schweizer Versicherungsmarkt
Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen, 2016.


Revision des Versicherungsvertragsgesetzes

In der Sondersession vom Mai 2019 startete das Parlament die Beratungen des Versicherungsvertragsgesetzes. In der abgebrochenen Frühlingssession 2020 bereinigte es die letzten Differenzen.

Parlament

Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) regelt die Vertragsbeziehung zwischen Kunden und Versicherungsunternehmen. Im Auftrag des Parlaments nahm der Bundesrat die notwendige Teilrevision an die Hand und legte im Juni 2017 die Botschaft vor. Der SVV hat diese Teilrevision von Beginn weg grundsätzlich unterstützt und die Beratungen im Parlament eng begleitet.

Den Start machte der Nationalrat im Mai 2019 in seiner Sondersession. Er folgte über weite Strecken dem Entwurf des Bundesrates, nahm aber diverse von Konsumentenorganisationen geforderte Änderungen vor. Namentlich strich er – auch im Sinne des SVV – den medial viel kritisierten neuen Art. 35, der bei Anpassungen der Versicherungsbedingungen ein Kündigungsrecht vorsah. Es wurde befürchtet, dass dieser Artikel Vertragsanpassungen ermöglicht hätte, die unter dem geltendem Recht nicht zulässig sind. Der Ständerat folgte im September 2019 im Wesentlichen der Vorarbeit des Erstrates, schuf aber dennoch einige wichtige Differenzen. Somit befasste sich das neu gewählte Parlament ab Dezember 2019 in vier Runden mit der Differenzbereinigung. Aufgrund der Coronakrise wurde die Session abgebrochen. Die Schlussabstimmung entfiel und wurde auf ein noch unbekanntes Datum vertagt.

Der SVV begrüsst die bereinigte Vorlage. Sie bringt quantitativ und materiell markante Änderungen mit sich. Das geltende VVG umfasst 109 Artikel, davon werden 23 gestrichen, 11 neu hinzugefügt und 29 geändert – zudem wird das ganze Gesetz systematisch neugestaltet.

Der schon heute hohe Schutz der Versicherungskunden und -kundinnen wird unter anderem mit folgenden Neuerungen weiter ausgebaut:

  • Einführung Widerrufsrecht: Kunden können innerhalb einer Bedenkfrist von 14 Tagen von ihrem Vertrag zurücktreten.
  • Ordentliches Kündigungsrecht und damit Abschaffung der «Knebelverträge».
  • Kündigungsverzicht der Krankenversicherer.
  • Verlängerung der Verjährungsfrist auf bis zu fünf Jahre nach einem Schadenfall.
  • Streichung Genehmigungsfiktion: Gemäss dieser wird eine Police als vom Kunden genehmigt betrachtet, wenn Letzterer nicht innerhalb von vier Wochen feststellt, dass der Inhalt nicht mit den getroffenen Abmachungen übereinstimmt.
  • Kompatibilität des VVG mit dem elektronischen Geschäftsverkehr.

Die nun vorliegende Revision ist im Ergebnis ein ausgewogenes Gesetz.

Gleichzeitig setzte sich der SVV dafür ein, dass unter anderem
folgende Ideen keine Mehrheiten fanden: 

  • Zeitliche Beschränkung der Sanktionen bei Anzeigepflichtverletzung: Nach zwei Jahren hätten die Versicherungen eine Anzeigepflichtverletzung nicht mehr sanktionieren können. Eine solche zeitliche «Guillotine» hätte Anreize für Missbrauch geschaffen und unehrliche Versicherungsnehmer belohnt.
  • Nachhaftung in der Krankenzusatzversicherung: Die Krankenzusatzversicherer wären verpflichtet gewesen, auch nach Beendigung eines Versicherungsvertrages für eine Krankheit zu zahlen. So hätten einzelne Versicherte auf Kosten des Versicherungskollektivs während fünf Jahren Leistungen beziehen können, ohne dafür Prämien zu bezahlen. Die übrigen Versicherten hätten dafür höhere Prämien in Kauf nehmen müssen. 
  • Teilbarkeit der Versicherungsprämie bei Totalschaden: Bei einem Totalschaden hätte der Kunde nur einen Teil der Prämie bezahlen sollen. Heute und auch künftig muss der Kunde die gesamte Prämie bezahlen. Grund dafür ist, dass er die Versicherungsleistung für seine Prämie erhält (zum Beispiel Bezahlung eines neuen Fahrzeugs durch die Versicherung bei Autodiebstahl).

Die nun vorliegende Revision ist im Ergebnis ein ausgewogenes Gesetz, in dem die Bedürfnisse der Versicherten und die berechtigten Anliegen der Branche aufeinander abgestimmt sind.


Zurück zum Erfolgsmodell

Ein Kommentar von Markus Hongler

Es ist Mitte April 2020. Die Coronakrise hat die Schweiz verändert. Unsere Regierung hat soeben erste Schritte zur Rückkehr in die Normalität bekannt gegeben. Mitte März hat der Bundesrat den Lockdown für die Schweiz erklärt. Er musste die Wirtschaft stark einschränken. Der Schutz der Gesundheit der Schweizer Bevölkerung stand im Zentrum. Schweizerinnen und Schweizer trugen die Massnahmen mit, genauso wie die Privatwirtschaft. Grössere wie kleinere Unternehmen akzeptierten Schliessungen, entwickelten neue Vertriebsformen oder organisierten sich im Homeoffice. So sinnvoll die Massnahmen waren, so einfach haben sie uns gelehrt, dass wirtschaftliches Prosperieren kein Selbstläufer ist. Wir erarbeiten es jeden Tag – gemeinsam mit unseren Stakeholdern aus der Wirtschaft und der öffentlichen Hand. Eine Zusammenarbeit, die gerade jetzt in Zeiten mit grossen Herausforderungen an Bedeutung gewinnt.

Markus Hongler

Markus Hongler ist Vizepräsident des SVV und CEO der Mobiliar.

In der Krise verändert sich die Rolle von Staat und Privatwirtschaft. Wir alle waren bereit, dies anzuerkennen und uns einzuschränken. Wir haben die behördlichen Verordnungen mitgetragen. Nach der Krise braucht die Privatwirtschaft aber wieder die bewährten Rahmenbedingungen, um ihre Stärke auszuspielen. Mit ihrer Flexibilität und Innnovationskraft kann sie der Motor sein, der den Aufschwung schnell und effektiv anschiebt. Das Wohlergehen in der Schweiz hängt auch davon ab, wie es gelingt, die Wirtschaft wieder in den Normalbetrieb zu versetzen. Auch dazu wird es die konstruktive Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft brauchen.

Die Stärken des Schweizer Werkplatzes sind seit jeher Innovationskraft, Unternehmergeist und Zuverlässigkeit. Gute Rahmenbedingungen haben einen starken Wirtschaftsstandort mitgeschaffen, der als Basis für eine rasche Rückkehr zu Wachstum genutzt werden sollte. Zu diesen Rahmenbedingungen müssen wir Sorge tragen. Dafür setzen wir uns als Versicherungsbranche ein. Ganz nach dem Grundsatz: Nur so viel Regulierung wie nötig – und so wenig wie möglich.

Zu den guten Rahmenbedingungen zählt auch ein liberaler Arbeitsmarkt. Anforderungen und Bedürfnisse wandeln sich schnell. Gefordert sind neue Modelle wie Homeoffice, Teilzeit oder Arbeit für mehrere Arbeitgeber gleichzeitig. Hier ist ein weitmaschiges regulatorisches Netz zielführender als ein enges Korsett. Zudem brauchen wir genügend gut qualifizierte Fachkräfte. Der Kampf um die besten Talente spitzt sich weltweit zu.

Und schliesslich sollen die Rahmenbedingungen den fairen Wettbewerb fördern, was insbesondere heisst, dass der private und der öffentliche Sektor sauber getrennt und im Gleichgewicht sind. Ein Verständnis für die Aufgabe und die Verantwortlichkeiten wie auch die Funktionsweise der jeweiligen Sektoren ist Voraussetzung, damit dies gelingt. Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz beruht seit jeher auf einem schlanken Staat, einer marktwirtschaftlich organisierten Privatwirtschaft und deren klaren Rollenteilung. Die Politik soll den neutralen Wettbewerb schützen. Freier Markt heisst immer auch freier Wettbewerb.

Wenn diese Krise dazu beiträgt, Vorteile und Stärken des fairen Wettbewerbs zu erkennen, dann wird die Wirtschaft – und damit wir alle – gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Die richtigen Rahmenbedingungen helfen, dass die Privatunternehmen ihren Beitrag zum Wiederhochfahren der Wirtschaft leisten können – und sich der Wirtschaftsstandort Schweiz nachhaltig weiterentwickelt.