Le­bens­hil­fe für Asbest­op­fer und An­ge­hö­ri­ge

Interview02. Oktober 2019

Urs Berger, Verwaltungsratspräsident der Mobiliar und Präsident der Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer EFA, erläutert im Interview, weshalb die Schweiz eine solche Stiftung braucht. Das Schicksal von Asbestopfern und deren Angehörigen wenigstens finanziell erträglicher zu machen, ist ihm ein persönliches Anliegen.

Einst galt Asbest als Wunderbaustoff. Seit 1990 ist es in der Schweiz verboten. Denn Asbestfasern einzuatmen kann das Risiko eines tödlichen Mesothelioms (Bindegewebstumor des Brust- oder Bauchfells) fördern.

Herr Berger, die Krankenversicherung oder die Unfallversicherung bezahlen doch die Behandlungskosten von Asbestopfern. Wozu braucht es eine spezielle Stiftung?

Urs Berger: Die Behandlungskosten stehen nicht im Vordergrund. Wir haben in der Schweiz international gesehen in der Tat wirklich gute Sozialversicherungslösungen. Es geht vielmehr um Ersatz von Lohnausfall und vor allem auch um Entschädigungen für erlittene seelische Verletzungen. Es entstehen gerade bei Nichtberufstätigen grosse Deckungslücken, welche die Stiftung mit sogenannten Abgeltungen und Abfindungen füllen will. Wir spüren, dass die Opfer dankbar sind, dass man ihr schuldlos erlittenes Schicksal endlich finanziell entschädigen will.

Urs Berger

Urs Berger, Präsident der Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer EFA

Die Stiftung EFA wurde im März 2017 gegründet. Asbest als Baumaterial ist in der Schweiz aber bereits seit 1990 verboten. Warum mussten die Betroffenen mehr als 25 Jahre auf Hilfe warten?

Ich verstehe, dass das aus heutiger Sicht schwer verständlich ist. Immerhin musste das Bewusstsein reifen, dass man Opfer auch bei fehlendem Haftpflichtanspruch in der heutigen Wertegesellschaft nicht ohne Support ihrem Schicksal überlassen kann. Auch der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil etwas Bewegung in den Bewusstseinsprozess gebracht. Man muss aber wissen, dass sich in vielen Gerichtsfällen zeigt, dass selten ein Verschulden nachweisbar ist, obschon jedermann weiss, dass die Opfer nicht selbstverschuldet krank werden. Weil Anspruchsteller immer wieder während laufenden Prozessen sterben war eigentlich klar, dass bessere Lösungen als rechtliche Auseinandersetzungen gefragt sind. Der runde Tisch Asbest, initiiert von Bundesrat Alain Berset, hat dann die Wende gebracht. Er hat erstmals alle interessierten Kreise zusammengeführt. In einem Schlussbericht haben sich alle Stakeholder schliesslich für die Lösung einer privat finanzierten Stiftung ausgesprochen.

Das Geld der Stiftung kommt durch freiwillige Spenden aus Wirtschaft und Industrie, von Verbänden und anderen Institutionen sowie durch private Unterstützer zusammen. Funktioniert das?

Die Schweizerischen Bundesbahnen und die Schweizer Privatversicherer waren hier als erste Spender und Mitgründer sicher Vorreiter. Es hat sich zweierlei gezeigt: Grosse Unternehmen wie die Bahn können sich, wenn der Wille da ist, schnell entscheiden. Da sind andere Grossunternehmen sicher noch gefordert. Etwas schwieriger wird es via Verbände Spender zu finden. Der SVV hat mit aktiv geführten und begründeten Vorschlägen zuhanden der einzelnen Gesellschaften schliesslich einen wirksamen Katalysator gefunden, wie man effizient zu einer gemeinsam tragbaren Verteilung unter mehreren Gesellschaften gelangt, und so die nötigen grossen Geldmittel zusammenbringt, ohne einzelne Unternehmen zu stark zu belasten. Es ist nun unsere Aufgabe andere potenzielle Spender von dieser guten Sache für Opfer in Not zu überzeugen. Die Stiftung wird mittelfristig sehr viel mehr Geld als bereits vorhanden benötigen.

Hilft die Stiftung vor allem mit einer finanziellen Unterstützung oder bietet sie auch fachliche Beratung an?

Neben der wichtigen Abfindung und Abgeltung von seelischem Unbill und Lohnausfall ist oft auch psychologische Hilfe gefragt. Opfer und deren Angehörige werden von der Diagnose Mesotheliom unvermittelt und hart getroffen. Da braucht es viel menschliche Begleitung und Hilfe praktischer Art. Der Umgang mit der Krankheit erfordert viel psychologischen Support. Wir haben deshalb seitens Stiftung in Zusammenarbeit mit den Lungenligen Zürich, Waadt und Tessin einen kostenlosen Care-Service aufgebaut, welcher mit geschultem Fachpersonal zu Behandlungsmöglichkeiten, Gesundheitschecks, Ernährung, Bewegung und finanzielle Belange berät und psychosoziale Betreuung anbietet.

An wen kann ich mich wenden, wenn ich Unterstützung brauche?

Über die Webseite der Stiftung EFA sowie diejenigen der Lungenligen Zürich, Waadt und Tessin kann man sich jederzeit über die entsprechenden Hilfsangebote informieren.

Was ist für Sie persönlich die Motivation, sich in der Stiftung EFA zu engagieren?

Als Verwaltungsratspräsident der Schweizerischen Mobiliar bin ich es gewohnt, komplexe Fragestellungen anzugehen. Es reizte mich, die in der Rechtsprechung, der Politik und schliesslich am runden Tisch Asbest fast unmöglich erscheinende Aufgabe zusammen mit den Gründern der Stiftung zu lösen. Ich wollte und will nicht akzeptieren, dass unschuldige Opfer zwischen Stuhl und Bank fallen. Persönlich bin ich stolz darauf, dass sich diverse Interessensgruppen nun zu einer menschlich und wirtschaftlich angemessenen und tragbaren Lösung zusammenraufen konnten und ich bin zuversichtlich, weitere Spender von der Fondslösung überzeugen zu können. Dieser Fonds schafft es, schnell und unbürokratisch Hilfe zu leisten, ohne dass man immer Schuldige finden muss.

 

Sehen Sie dazu auch das Interview «Krank durch Asbest» mit Stiftungspräsident Urs Berger bei Tele Bärn.