Klimaadaption und Auswirkungen des Klimawandels als Emerging Risk
Der Klimawandel wirkt sich auch in der Schweiz auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft aus. Massnahmen zur Anpassung an diese Auswirkungen sind bereits heute nötig und werden in Zukunft immer wichtiger.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Am 2. März 2012 verabschiedete der Bundesrat die Strategie «Anpassung an den Klimawandel» in der Schweiz.
Darin sind die Ziele und Grundsätze für die Anpassung auf Bundesebene formuliert, für neun Sektoren die Handlungsfelder identifiziert und die sektorenübergreifenden Herausforderungen beschrieben.
- Wasserwirtschaft
- Waldwirtschaft
- Landwirtschaft
- Tourismus
- Gesundheit
- Energie
- Raumentwicklung
- Umgang mit Naturgefahren
- Biodiversitäts-Management
Der Klimawandel wirkt sich auf die Umweltsysteme aus und beeinflusst die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen ihnen. Mit der Erwärmung steigen die Wassertemperaturen und verändern sich die Bedingungen für aquatische Lebewesen. Intensivere Niederschläge führen zu verstärkter Erosion und zur Auswaschung von Nährstoffen aus den Böden. Eine Zunahme von stabilen Hochdrucklagen begünstigt das Vorkommen von Inversionslagen und die Bildung von Smog. Die zunehmende Trockenheit führt stellenweise zu Wasserknappheit, verändert Lebensräume und das Verbreitungsgebiet von Arten und Populationen.
Umgekehrt wird das Klima durch die natürlichen Systeme beeinflusst. Beispielsweise sind Ozeane, Moore, andere organische Böden sowie Wälder wichtige CO2-Speicher, deren Veränderung das Klima beeinflusst. Menschliche Aktivitäten wie Zersiedelung, Mobilität, Übernutzung der Ressourcen und Verschmutzung wirken sich negativ auf die Umweltsysteme aus. Mit der Beeinträchtigung der natürlichen Systeme und deren Ökosystemleistungen ist die Lebensgrundlage des Menschen in steigendem Masse bedroht. Dies ist gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel von grosser Bedeutung, denn intakte und robuste Umweltsysteme stellen bestmöglich Stabilität und Resilienz für die unvermeidbare Anpassung bereit.
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) warnt im Zusammenhang mit der Erderwärmung vor mehr Extremwettereignissen wie Dürre, Starkregen, extremem Frost, Sturm und ähnlichen Ereignissen. Des Weiteren erwartet das IPCC, dass die Extremereignisse auch stärker ausfallen können, was Zeitdauer und Spitzen angeht. Es ist schwierig, die Modelle vom globalen Niveau auf die Schweiz herunterzubrechen. Was gesagt werden kann, ist, dass sich die Schweiz dem Trend nicht wird entziehen können. Dies beinhaltet – neben den Gefahren von Extremwetterereignissen – auch ein Abschmelzen der Süsswasserspeicher in Form von Gletschereis und ein Auftauen des Permafrostes. Beides kann zu Flut, Murgängen und Steinschlag beitragen.
Mit dem Ende der Klimakonferenz von Glasgow im November 2021 ist es unwahrscheinlicher geworden, dass die Welt das Ziel einer maximalen Erwärmung von 1.5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erreichen wird. Das heisst, dass man eher mit stärkeren Schwankungen bei den Auswirkungen rechnen sollte.
Der Bundesrat beabsichtigt, zwischen 2025 und 2030 für die Gebäudesanierung und den Umstieg auf klimafreundliche Heizungsanlagen gesamthaft rund 2,9 Milliarden Franken bereitstellen. Hinzu kommen jährliche Mittel für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos, für das Umrüsten der Busflotten auf Elektroantrieb im Orts- und Regionalverkehr oder für die Risikoabsicherung beim Ausbau von Fernwärmenetzen. Diese Investitionen in neue Technologien können die Risikolandschaft verändern.
Zu beachten ist auch die steigende Zahl von Klagen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Seien es Klagen gegen Unternehmen aufgrund der Verletzung gesetzlicher Bestimmungen zum Klimaschutz oder ungenügender Reduktion von CO2-Emissionen (z. B. Klage gegen Royal Dutch Shell: Verpflichtung zur Reduktion der Emissionen um 45% bis 203010), oder deren Beitrag zur globalen Erwärmung und der damit verbundenen, möglicherweise haftpflichtrechtlich relevanten, Schädigung Dritter (z. B. Klimaklage gegen RWE: Menschengemachte Emissionen verantwortlich für Gletscherabbruch). Ein weiteres Beispiel sind Klagen gegen den Gesetzgeber wegen Unterlassungen im Klimaschutz und dem vernachlässigten Schutz vulnerabler Personen (regulatorische Klagen, z. B. Klimaseniorinnen gegen den Bund). Kläger sind typischerweise öffentliche Interessengruppen (z. B. NGOs), Einzelpersonen, Investoren, betroffene Industrien (z. B. Pacific Fishermen) oder Regierungen.
Risikowahrnehmung
Die Versicherungsindustrie wird sich mit Entwicklungen parallel beschäftigen müssen, d.h. mit
- den physischen Auswirkungen des Klimawandels und
- den Folgen des Umbaus der Wirtschaft, um dem Klimawandel zu begegnen.
Diese Entwicklungen beinhalten Sturm, Flut, Hagel, Starkregen, Dürre, evtl. auch extreme Lawinensituationen. Zudem wird die Gefahr von Murgängen und Steinschlag mit dem schwächer werdenden Permafrost zunehmen. Dies kann Auswirkungen haben auf die Fundamente von Gebäuden, Verkehrsinfrastruktur, Pipelines und Stromleitungen. Zudem kann auftauender Permafrost dazu führen, dass sich die Gefahrenzonen in schon bebaute Gebiete ausweiten. Das Gleiche gilt für Lawinengebiete, wenn Lawinenwälder unter dem Klimawandel leiden. StarkregenEreignisse können zu Flutschäden ausserhalb von Flutzonen führen; Dürre und Frost können zu Ernteausfällen beitragen. Es ist unklar, ob und wie zuverlässig Schutzmassnahmen ausreichen, um Infrastrukturen vor solchen Extremereignissen zu schützen.
Im Folgenden werden die haftpflichtrechtlichen Aspekte beschrieben. Der Klimawechsel wird aber auch die Risikolandschaft anderer Versicherungsdeckungen beeinflussen. So ist in der Sachversicherung mit vermehrten Extremereignissen zu rechnen.
Haftpflichtrechtliche Relevanz
Unternehmen und ihre Führung könnten angeklagt werden, dass Massnahmen zur Treibhausgasemission nicht oder ungenügend schnell ergriffen wurden. (D&O-)Klagen gegen das Management sind auch von Aktionären denkbar, welche fordern, dass die Neuausrichtung eines Unternehmens auf die post-fossile Zeit nicht genügend schnell vollzogen wurde, dass die falschen Entscheide getroffen wurden oder in den Reporten ungenaue Angaben zur Klimawandel-Exponierung der Unternehmen (z. B. Nachhaltigkeit, ESG (Environmental/Social/Governance)) gemacht wurden. Branchen, die am ehesten mit Abwehrkosten oder versicherten Ansprüchen konfrontiert werden, sind solche mit hohen Treibhausgasemissionen. In der Schweiz sind dies beispielsweise Zementhersteller, Raffinerien, Transportgewerbe oder die Landwirtschaft.
Haftpflichtklagen gegen Unternehmen für Personen- und Sachschäden aufgrund deren Emissionen und deren Beitrag zur globalen Erwärmung dürften im Moment in der Schweiz wenig erfolgreich sein, da eine individuelle, eindeutig zurechenbare Verantwortung des Unternehmens nach wie vor erforderlich ist (keine marktanteilsmässige Haftung).
Gemeinden und Städte könnten haftpflichtrechtlich belangt werden, weil Gefahrenkarten nicht korrekt ausgeschieden wurden, sofern Infrastruktur bei Extremereignissen beschädigt wird. Planer und Berater, welche bei der Erarbeitung der Grundlagen für solche Zonen tätig sind oder im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht diese verwenden müssten, könnten ebenfalls belangt werden, wenn sie die Arbeit in Bezug auf den aktuell geltenden Wissensstand nicht ordentlich durchführen.
Auch Immobilienentwickler, welche in Gebieten bauen, die in den Gefahrenkarten noch als ungefährlich ausgewiesen sind, von denen aber aufgrund der allgemeinen Informationslage erwartet werden kann, dass sie in Zukunft ein erhöhtes Schadenspotential aufweisen werden, könnten mit Ansprüchen konfrontiert werden, wenn Gebäude aufgrund neu auftretender Naturgefahren wegen des Klimawandels beschädigt oder gar unbewohnbar werden. Von Experten darf diese Weitsicht erwartet werden.
Steigende Temperaturen und zunehmende Trockenheit während der Vegetationszeit von Wäldern erhöhen die Waldbrandgefahr in der Schweiz. Stromübertragung und -verteilung, Vegetationsmanagement, aber beispielsweise auch Bauunternehmen oder Eisenbahnen können mit einem Funkenflug solche Waldbrände auslösen und gegebenenfalls haftpflichtrechtlich belangt werden. Im Ausland, insbesondere in Kalifornien, ist dieses Szenario schon mehrmals eingetreten. Künftig könnte es auch in der Schweiz relevanter werden.
Baustellenarbeiter werden vermehrt Hitzewellen und erhöhten UV-Strahlungen ausgesetzt sein. Erhöhte Sterblichkeit würde auch die Frage aufwerfen, ob der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer ausreichend vor den Folgen der Klimaerwärmung schützt. Vergleichbare Szenarien sind für Betreiber von Altersheimen oder Organisatoren von Grossveranstaltungen denkbar.
Indirekt führt der Klimawandel dazu, dass gewisse Branchen ihre Produkte anpassen müssen. Neue Technologien sind für die Versicherung oft mit erhöhten Unsicherheiten und einer veränderten Risikolandschaft verbunden. So ist es beispielsweise noch unklar, ob Elektrofahrzeuge eine erhöhte Brandgefahr beim Aufladen darstellen. Batteriebrände in privaten oder öffentlichen Garagen könnten nicht nur zu vermehrten Sachschäden, sondern auch zu Körperschäden durch Emissionen von toxischen Gasen führen. Produkthaftung, Rückrufdeckungen oder Motorfahrzeughaftpflichtdeckungen wären hier allenfalls unterschiedlich betroffen.
Haftpflichtversicherungstechnische Relevanz
Die Risiken der Klimaerwärmung oder der Klimaadaption sind in der Haftpflichtversicherung nicht explizit ausgeschlossen und daher im Umkehrschluss gedeckt. Auch wenn die kausalen Zusammenhänge von Emissionen und deren Auswirkungen auf das globale Klima bekannt sind, dürfte es im Einzelfall schwierig sein, den tatsächlichen Beitrag eines Unternehmens klar zu umgrenzen, insbesondere dann, wenn die Unternehmen die geltenden Vorschriften einhielten.
Die eigentlichen Treibhausgasemissionen verlaufen graduell und dürften in der Regel in der Betriebshaftpflichtversicherung nicht gedeckt sein. Die unfallartige Freisetzung von Schadstoffen nach einem Extremereignis, z. B. Starkniederschläge, welche eine Deponie fluten, oder leckschlagende Öltanks, könnten hingegen gedeckt sein.
Anders sieht es bei den konkreten Auswirkungen des Klimawandels aus. Alle Personen, von denen im Rahmen ihrer Arbeit erwartet werden muss, dass sie sich den besonderen Gefahren des Klimawandels (z. B. Starkniederschläge) bewusst sein müssen, sind haftbar, wenn sie dieser Anforderung im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen. Mangels Deckungseinschränkungen könnten Berufshaftpflichtversicherungen betroffen sein (z. B. Architekten und Planer).
Im Fokus stehen (auch) D&O-Versicherungen, wie die oben erwähnten Beispiele zeigen. Managemententscheide im Zusammenhang mit ungenügendem Klimaschutzverhalten oder fehlerhaften Informationen zum ESG- und Nachhaltigkeits-Verhalten könnten finanzielle Einbussen zur Folge haben und zu Klagen der Aktionäre führen.
Die Versicherungsindustrie steht erst am Beginn, die Veränderungen des Klimas in ihren Versicherungsverträgen adäquat zu adressieren. Gewisse Gesellschaften steuern ihre Beteiligungen so, dass Deckungsbestandteile für die energieintensivsten Branchen oder Aktivitäten (thermische Kohle, Öl und Gas) nicht mehr angeboten werden.
Zeithorizont für versicherte Ansprüche
Die Auswirkungen des Klimawechsels sind in der Schweiz klar sichtbar, und die Klimaadaptation ist bereits im Gange. Insbesondere die direkten Folgen von Extremereignissen haben zeitnahe Folgen für die Haftpflichtversicherung. Die zeitliche Relevanz der Klima-Klagen gegen Unternehmen ist noch unklar.
Änderungen der Gesetze sollten verfolgt und auf deren Versicherungsrelevanz geprüft werden.
Beispiele: Herabsetzung von Emissions- und Immissions-Grenzwerten oder Anpassungen der CO2-Gesetzgebung.
Zusätzliche wissenschaftliche Erkenntnisse, eine verstärkte Aufmerksamkeit des Klimawandels in den Medien, Aktivitäten von NGOs oder die zunehmende Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten durch Investoren (litigation funding) könnten weitere Treiber für eine Häufung von versicherten Ansprüchen sein.
Definition «Emerging Risks»
Neue Technologien und die Entwicklung der modernen Gesellschaft bieten neue Chancen, aber auch neue Gefahren. Solche neuartigen zukunftsbezogenen Risiken, die sich dynamisch entwickeln und eben nur bedingt erkennbar und bewertbar sind werden als «Emerging Risks» bezeichnet. Der Begriff «Emerging Risks» ist nicht einheitlich definiert. In der Versicherungsbranche werden damit üblicherweise Risiken bezeichnet, welche sich als mögliche zukünftigen Gefahr mit grossem Schadenpotenzial manifestieren.