Der Ver­band im ver­gan­ge­nen Jahr

01. Juni 2022

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Editorial

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser 

Corona, Ukrainekrieg, Inflation – die Welt von heute kann schon morgen eine andere sein. Sie ist unberechenbarer, herausfordernder geworden. Wie verwundbar Errungenschaften wie Sicherheit, Stabilität und Wohlstand sind, wird uns mit dem Krieg in der Ukraine drastisch vor Augen geführt. Die Auswirkungen dieses Krieges werden auch unser Land und uns als Versicherer in unserer Entwicklung in vielerlei Hinsicht fordern. 

Klar ist: Sicherheit und Stabilität haben für uns alle plötzlich eine noch grössere Bedeutung bekommen – finanzielle Sicherheit, physische Sicherheit, Versorgungssicherheit, Rechtssicherheit. Als eigenständiges, neutrales, freiheits­ und wettbewerbsorientiertes Land sind Sicherheit und Stabilität zentral, damit die Schweiz im globalen Wettbewerb auch künftig ein attraktives und wohlhabendes Land bleibt. 

Rolf Dörig Scribble

Die Versicherungswirtschaft ist eine tragende Säule der Schweizer Volkswirtschaft: Rolf Dörig, Präsident Schweizerischer Versicherungsverband SVV 

Die Versicherungswirtschaft ist eine tragende Säule der Schweizer Volkswirtschaft, gehört also zu jenen Branchen in unserem Land, die in vielerlei Hinsicht die Gesellschaft in ihrer Entwicklung unterstützen können. Ökonomisch gelingt dies zweifellos, erarbeitet doch der Finanzsektor zehn Prozent der hiesigen Wirtschaftsleistung, wovon die Versicherer mit einer überdurchschnittlich hohen Produktivität rund die Hälfte ausmachen. Wenn wir berücksichtigen, dass Versicherer und Banken auch ausserhalb des Finanzsektors wirtschaftliche Aktivitäten auslösen, liegt die Wertschöpfung in der Schweiz bei rund 100 Milliarden Franken pro Jahr. Das bedeutet wiederum, dass jeder siebte Wertschöpfungsfranken auf die Geschäftstätigkeit der Versicherer und Banken zurückgeht. Die Bedeutung des Finanzsektors zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Unter Einbezug aller indirekt involvierten Unternehmen stellt der Finanzplatz 430’000 Vollzeitstellen. Somit ist jeder zehnte Arbeitsplatz in der Schweiz mit der Geschäftstätigkeit des Finanzsektors verbunden. 

Das ist nicht nur eindrücklich, es verpflichtet auch. Es verpflichtet uns als Branche, nicht allein ökonomisch erfolgreich zu sein, sondern auch zu Lösungen zu gesellschaftlichen Fragestellungen beizutragen. Es wird von uns erwartet, dass wir volkswirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Dazu gehört, dass wir insbesondere in diesen unsicheren Zeiten in unseren Köpfen wieder Optimismus entwickeln und Chancen sehen und nutzen. Und für das damit verbundene Unternehmertum und freiheitliche Denken einstehen, es stärken und schützen, wo immer dies von Bedeutung ist. Das wiederum bedeutet, dass wir die richtige Balance zwischen Regulierung und unternehmerischer Freiheit finden und wieder Tritt fassen müssen – und zwar als Staat, als Gesellschaft wie auch als Wirtschaft. Eigentlich war die Schweiz immer ein Land, das diesbezüglich eine gute Balance gefunden hat. 

Nachdem der Staat aber in den vergangenen Jahren seinen Einflussbereich kontinuierlich ausgebaut hat, sollte er sich nun wieder auf seine Kernaufgabe konzentrieren: nämlich für die Wirtschaft optimale Rahmenbedingungen schaffen, damit unser Land weiterhin attraktiv und wettbewerbsfähig bleibt. Die Neigung, bei neuen Herausforderungen die Lösung immer in Regulierung, staatlichen Verboten und Subventionen zu sehen, lähmt unser Land und verhindert die so dringenden innenpolitischen Reformen. Der Wirtschaftsstandort Schweiz verdient – erst recht im heutigen Umfeld – Rahmenbedingungen beziehungsweise eine Regulierung mit Augenmass, die unserem Land eine prosperierende, innovative und nachhaltig ausgerichtete Zukunft ermöglicht. 

Und auch die Gesellschaft muss wieder zu einem offenen Leben zurückfinden. Wir müssen den Kontakt untereinander wieder vermehrt suchen und pflegen. Denn nur wo Menschen persönlich zusammenkommen, entstehen Vertrauen und Zusammenhalt. Und Vertrauen und Zusammenhalt ermöglichen Kreativität, Innovation und Fortschritt. Das sind wichtige Voraussetzungen, um mit unserer Leistungsbereitschaft – Wirtschaft, Gesellschaft und Staat gemeinsam – für die Sicherheit und Stabilität unseres Landes einzustehen und so die Attraktivität und den Wohlstand der Schweiz weiter sicherzustellen. 

Dazu braucht es im heutigen unsicheren und emotional aufgeheizten Umfeld dringend einen kühlen Kopf, Optimismus und Entschlossenheit. 

Ich danke allen Mitarbeitenden der Versicherungswirtschaft, die mit ihrer Leistungsbereitschaft persönlich und in unseren Verbandsgremien zu einer auch in Zukunft sicheren, stabilen und lebenswerten Schweiz beitragen.

Dr. Rolf Dörig 

Präsident Schweizerischer Versicherungsverband SVV 

Kommentar Urs Arbter

Nach zwei Jahren Pandemie hatten viele die Hoffnung, sich nun rasch auf den Weg zurück in die Normalität bewegen zu können. Es ist anders gekommen. Der Kriegsausbruch in der Ukraine hat uns erschüttert. 

Noch vor wenigen Jahren lebten die meisten in unserem Land mit einem überwiegen­ den Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Niemand hätte erwartet, dass eine Pandemie unser Leben derart radikal einschränkt. Und kaum jemand hätte sich vorstellen können, dass in unserer Zeit ein Angriffskrieg in Europa mit all seinen negativen Auswirkungen Realität werden könnte.

Urs Arbter_View

Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit: Urs Arbter, Direktor Schweizerischer Versicherungsverband SVV

Aktuell erleben wir, wie unser eigenes Sicherheitsgefühl von Faktoren beeinflusst wird, die wir nur bedingt selbst bestimmen können. Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen uns stets neu mit der eigenen Risiko­ oder vielmehr Widerstandsfähigkeit auseinandersetzen. Dies stellt uns als Individuen wie als Gesellschaft vor Fragen, denen wir in der Vergangenheit vielleicht zu wenig Bedeutung beigemessen haben. Was uns die Pandemie gelehrt hat, gilt im Grundsatz auch für andere Toprisiken. Zu diesen zählen etwa eine Strommangellage oder eine grossflächige Cyberattacke. Den potenziellen Schaden eines einzelnen virtuellen Angriffs, der in der Schweiz ganze Infrastrukturen blockieren könnte, schätzen wir als Versicherungswirtschaft auf bis zu 15 Milliarden Franken. Bei einer länger anhaltenden Strommangellage könnten es über 100 Milliarden Franken sein. Davon ist nur ein sehr kleiner Teil versichert. 

Wir sind gut beraten, uns intensiv mit diesen Themen zu beschäftigen. Ein erfolgreiches Management von Grossrisiken muss im Zusammenspiel von Wissensträgern und Expertinnen erfolgen. Konkret bedeutet dies: Der Staat muss Rahmenbedingungen schaffen, damit Versicherungslösungen für die Toprisiken unserer Zeit entstehen können. Wo angezeigt, kann ein Obligatorium helfen, Risiken diversifizierbar und damit versicherbar zu machen. Und der Staat kann dort eine Rolle bei der Risikofinanzierung spielen, wo das Risiko die Kapazitäten der Privatassekuranz übersteigt. Auf lange Sicht entlasten derartige Lösungsansätze die Staatskasse und steigern die Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, weil nicht auf kurzfristige und schwer abgrenzbare Ad­hoc­Lösungen zulasten der nächsten Generationen zurückgegriffen werden muss. 

Unser Kerngeschäft besteht darin, durch die Übernahme von Risiken den Unternehmen den Rücken freizuhalten und dadurch innovative Leistungen zu ermöglichen. Innovationen sind wesentlich für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Sie sind entscheidend für die Lösung grosser Herausforderungen wie den Klimawandel und dessen negative Folgen. Umso wichtiger ist eine Regulierung, die Innovation ermöglicht. Auch in der Digitalisierung brauchen wir die passenden Rahmenbedingungen, um als Versicherer das Potenzial voll ausschöpfen zu können und einen Mehrwert für unsere Kundinnen und Kunden zu generieren. Der Grundsatz gilt auch weiterhin: Wir befürworten Regulierung nur dort, wo sie wirklich Mehrwert stiftet. 

Per 1. Januar 2022 konnte ich das Direktorenamt des SVV übernehmen. Die Schweizer Versicherungswirtschaft bei diesen Herausforderungen gemeinsam mit meinem Team gegen aussen vertreten zu dürfen, ehrt mich. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam unsere im Jahr 2020 verabschiedete Verbandsstrategie erfolgreich weiterverfolgen werden. Bei dieser Aufgabe kann ich auf eine bestens funktionierende Geschäftsstelle bauen. Die gut eingespielten Milizgremien mit ihren rund 600 Mitarbeitenden aus der Privatassekuranz erlauben ein effizientes Lösen der anstehenden Aufgaben und ein wirkungsvolles Eintreten für die Anliegen der Versicherungswirtschaft.