Al­ters­vor­sor­ge in der Schweiz: der Vor­teil der Di­ver­si­fi­ka­ti­on

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In der Schweiz wurden ab 1850 zahlreiche Pensionskassen gegründet, um die Arbeitnehmer bestimmter Betriebe und Berufsgruppen abzusichern. Um 1900 entstanden auch Pensionskassen für das Personal von Gemeinden, Städten und Kantonen. Zudem organisierten private Lebensversicherungsgesellschaften die Altersvorsorge für das Personal mehrerer Arbeitgeber. Mit dem Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) von 1985 wurde die zweite Säule für Arbeitnehmende obligatorisch und das bereits 1972 in der Bundesverfassung verankerte Dreisäulenprinzip mit obligatorischen und fakultativen Bestandteilen umgesetzt.

Aus der Wirtschaftstheorie wissen wir, dass risikoaverse Sparer finanziellen Risiken am besten durch Diversifikation begegnen. Dieses Prinzip war offenbar schon Antonio im «Der Kaufmann von Venedig» von William Shakespeare geläufig: «Mein Vorschuss ist nicht einem Schiff vertraut, noch einem Ort; noch hängt mein ganz Vermögen am Glücke dieses gegenwärtigen Jahrs.» Das zentrale Prinzip der Risikostreuung spiegelt sich in vielen Elementen des schweizerischen Dreisäulenprinzips wider. So weisen umlagefinanzierte und kapitalgedeckte Alterssicherungssysteme spezifische Vor- und Nachteile auf. Erstere reagieren besonders sensibel auf demografische Veränderungen, letztere auf Entwicklungen an den Kapitalmärkten. Um Klumpenrisiken zu vermeiden, ist es daher wichtig, auf beide Konzepte zu setzen und nicht, wie im Ausland häufig zu beobachten, einem Ansatz den Vorzug zu geben. Diversifikation ist auch ein Leitmotiv innerhalb der zweiten Säule: Private und öffentlich-rechtliche Anbieter sind in unterschiedlichen Organisationsformen – autonom, teilautonom oder kollektiv – zugelassen. Auch private Versicherungsgesellschaften agieren in diesem Markt und sichern die Ansprüche der Begünstigten zusätzlich mit ihrem Eigenkapital ab. Die Risikotragung erfolgt somit nicht nur durch die Versicherten, sondern auch durch Aktionärinnen und Aktionäre. Neben der erwähnten Risikodiversifizierung auf gesellschaftlicher Ebene wird dadurch auch der Wettbewerb in der zweiten und dritten Säule intensiviert – zum Vorteil der Kundinnen und Kunden.

Portrait Hato Schmeiser

Hato Schmeiser, Institut für Versicherungswirtschaft, Universität St.Gallen.

Das heutige Konzept der zweiten Säule erlaubt es den Versicherten, das Altersguthaben zu verrenten, in Kapitalform zu beziehen oder eine Kombination zu wählen. Jede Wahl ist mit Chancen und Risiken verbunden. So ist aus individueller Sicht die Rentenoption bei Inflation und/oder vorzeitigem Tod nachteilig, während die Kapitaloption Anlagerisiken birgt. Gesamtwirtschaftlich summieren sich diese Risiken, weshalb die derzeit zu beobachtende Gleichverteilung von Renten- und Kapitalbezug im Sinne der Diversifikation positiv zu bewerten ist.

Umso kritischer ist der aktuelle politische Vorstoss zu beurteilen, die Besteuerung der Kapitaloption beim Bund erhöhen zu wollen, weil angeblich «zu wenige» Sparer ihr Altersguthaben verrenten. Man muss sich vor Augen führen, welches Risiko für die Bevölkerung und den Staat z. B. im Falle einer Inflation entsteht, wenn das Altersguthaben der zweiten Säule durchweg verrentet wird. Als Fazit ist daher festzuhalten: Die Rahmenbedingungen sollten weiterhin so gesetzt werden, dass eine Vielfalt von Angebot und Nachfrage bestehen bleibt und gesamtwirtschaftliche Klumpenrisiken unter allen Umständen vermieden werden.