Warum eine Bussenkompetenz der FINMA dem Schweizer Rechtsverständnis schadet
Die Ankündigung einer Bussenkompetenz für die FINMA wirft grundlegende rechtsstaatliche Fragen auf. Sandra Kurmann erklärt, warum ein solcher Schritt dem Schweizer Rechtsverständnis widerspricht.
Der 19. März 2023 markiert nicht nur das Ende der Credit Suisse (CS) sondern auch den Startpunkt der Diskussionen zur Durchsetzungsfähigkeit der Finanzmarktaufsicht FINMA. Rasch wurde der Ruf nach zusätzlichen Kompetenzen für die Aufsicht laut – allen voran die Bussenkompetenz, wie sie der Bundesrat am 6. Juni 2025 schliesslich auch ankündigte.
Die Äusserungen in der Diskussion zur Bussenkompetenz erweckten rasch den Anschein, die Schweiz hätte dringenden Aufholbedarf – ja stünde sogar im europäischen Vergleich ziemlich allein da. Hier bedarf es zuerst eine sauberen Faktenlage:
- In Europa kennen Staaten wie Deutschland, Grossbritannien oder Frankreich eine Bussenkompetenz, wobei sich die Ansätze (hohe Strafen oder regulatorische Massnahmen) unterscheiden. Die USA ist zudem für ihre strengen Sanktionen bekannt, insbesondere bei grossen Finanzskandalen.
- In einigen europäischen Staaten haben Finanzmarktaufsichtsbehörden jedoch keine direkte Bussenkompetenz. Neben der Schweiz sind dies unter anderem Österreich, Luxemburg oder Belgien. Verstösse werden in diesen Ländern über alternative Sanktionsmechanismen geahndet, wie strafrechtliche Verfahren durch staatliche Behörden oder Gerichte, Lizenzentzug oder Einschränkungen für Finanzinstitute sowie Verwaltungsmassnahmen wie Verwarnungen oder Geschäftsverbote.
Wie ist es nun in der Schweiz um die Sanktionsmöglichkeiten bestellt? Die FINMA verfügt unter dem FINMAG zur Erfüllung ihrer Aufgabe über eine grosse Bandbreite an Verwaltungssanktionen (unter anderem Berufsverbot, Gewinneinziehung, Bewilligungsentzug). Hat die FINMA zudem einen Verdacht auf Widerhandlung gegen eine Strafbestimmung des Finanzmarktaufsichtsgesetzes resp. der Finanzmarktgesetze, so erstattet sie Strafanzeige beim Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD), das über eine Bussenkompetenz verfügt.
Was wären also die Vorteile, wenn die FINMA selbst über eine Bussenkompetenz verfügen würde – ausser, dass sie mit einigen Ländern in Europa gleichziehen würde? Bei Beanstandungen könnte die FINMA direkt pekuniäre Massnahmen setzen, wodurch ein Abschreckungseffekt und eine stärkere präventive Wirkung entstehen könnten.
Dem gegenüber stehen jedoch eine Reihe negativer Auswirkungen, wie
- Komplexere Verfahren: Die FINMA müsste ihre internen Abläufe anpassen, um sicherzustellen, dass Bussen fair und rechtsstaatlich verhängt werden. Dies könnte zu längeren und sogar im Vergleich zu heute aufwendigeren Verfahren führen.
- Rechtliche Herausforderungen: Unternehmen und Einzelpersonen könnten vermehrt gegen Bussen klagen, was zu einer Zunahme von Rechtsstreitigkeiten führen würde.
- Veränderung der Aufsichtskultur: Die FINMA könnte sich stärker auf die Bestrafung von Fehlverhalten konzentrieren, anstatt präventiv zu agieren und frühzeitig Risiken zu minimieren.
Diese möglichen negativen Auswirkungen sind eingehender zu beleuchten:
Die FINMA ist eine unabhängige Aufsichtsbehörde. Gerade diese Unabhängigkeit könnte durch die Einführung der Bussenkompetenz gefährdet werden: Neben den Verfahrensänderungen könnte diese Kompetenz zu verstärktem Druck von politischen Akteuren führen, die bestimmte Sanktionen beeinflussen möchten.
Es ist positiv zu beurteilen, dass der Bundesrat von einer Bussenkompetenz für natürliche Personen absieht. Jedoch ergeben sich auch bei einer Bussenkompetenz für juristische Personen verfahrenstechnisch schwierige Fragen: Die FINMA ist in erster Linie eine exekutive Behörde, da sie als unabhängige Finanzmarktaufsicht über Banken, Versicherungen und andere Finanzinstitute wacht. Sie setzt regulatorische Vorgaben um, erteilt Bewilligungen und überwacht die Einhaltung von Finanzmarktgesetzen. Bereits mit den bestehenden Sanktionskompetenzen hat die FINMA quasi-judikative Befugnisse. Mit der Einführung einer Bussenkompetenz würden diese Befugnisse zusätzlich ausgebaut und die FINMA müsste gerichtsförmige Verfahren einführen. Daraus resultiert eine klare Vermischung von Exekutive und Judikative.
Warum ist das kritisch zu beurteilen? Man stelle sich die folgende Analogie im Strassenverkehr vor: Ein Autofahrer wartet am Bahnhof auf seine Partnerin und steigt kurz aus dem Auto, um zu sehen, wann der Zug kommt. In diesem Moment wird er von der Polizei gebüsst, da für das kurzfristig zurückgelassene Auto kein Parkticket gelöst wurde. Ein Einspruch gegen diese Busse stellt in diesem Fall zwar grundsätzlich eine Möglichkeit dar – aber was, wenn der Polizist, der die Busse ausgestellt hat, auch den Einspruch behandeln würde? Es wäre eine klare Machtkonzentration – und der Autofahrer wäre dieser ausgeliefert.
Was in diesem Beispiel als störend wahrgenommen wird und unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit widerspricht, würde den Finanzinstituten mit der Bussenkompetenz der FINMA ebenfalls drohen. Dies gilt es zu vermeiden.
Eine Bussenkompetenz mag auf den ersten Blick wie eine einfache und präventiv wirkende Massnahme erscheinen, aufgrund der Kompetenzkumulation gefährdet sie jedoch die Gewaltenteilung und widerspricht damit der schweizerischen Verfassung.