Ri­si­ko­ad­äqua­te Re­gu­lie­rung als Grund­prin­zip

Kommentare04. April 2024

Seit dem Niedergang der CS steht die angemessene Regulierung des Finanzmarktes vermehrt im Zentrum der politischen Diskussion. Dabei erfolgt der Ruf nach einer stärkeren Regulierung und Aufsicht von unterschiedlichen Seiten. Der SVV äussert sich skeptisch gegenüber einem generellen Ausbau der Kompetenzen der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA. SVV-Direktor Urs Arbter plädiert für eine risikoadäquate Regulierung und Aufsicht, die unterschiedliche Geschäftsmodelle geeignet berücksichtigt.

Das Scheitern eines Marktteilnehmers kann sehr schnell einen ganzen Wirtschaftssektor in Mitleidenschaft ziehen. So auch in diesem Fall: Die aus einer Notlage der Bank erzwungene Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wirft regulatorische Fragen mit marktweiter Bedeutung auf. Potenziell betroffen sind auch die Versicherer, die mit grundlegend anderen Geschäftsmodellen als die Banken Widerstandsfähigkeit für die gesamte Volkswirtschaft und jeden Einzelnen schaffen. Mit ihrer hohen durchschnittlichen Kapitalisierung von 270 Prozent (bei geforderten 100 Prozent, Stand: SST 2023) sind die Versicherer sehr stabile Finanzmarktteilnehmer.

Urs Arbter

Urs Arbter plädiert für eine risikoadäquate Regulierung und Aufsicht, die unterschiedliche Geschäftsmodelle geeignet berücksichtigt.

Das Versicherungsgeschäft ist durch die Übernahme spezifischer Risiken in der Regel langfristig ausgerichtet. Die Auszahlung der Versicherungsverbindlichkeiten ist zumeist an einen vom Versicherungsnehmer nicht oder nur wenig kontrollierbaren Leistungsfall gebunden oder erfolgt zu einem im Voraus bestimmten Zeitpunkt, so dass ein unkontrollierter Mittelabfluss kaum möglich ist. Etwas technischer und allgemeiner ausgedrückt: Versicherer haben liquide Anlagen und illiquide Verbindlichkeiten, derweil Banken über liquide Verbindlichkeiten und illiquide Vermögen verfügen. Wie auch immer die Vorschläge des Bundesrates im Bericht zu «Too big to fail», der demnächst erwartet wird, aussehen mögen, erwartet der Schweizerische Versicherungsverband SVV, dass allfällige Regulierungsbestrebungen risikoadäquat erfolgen und damit den unterschiedlichen Geschäftsmodellen Rechnung tragen.

Mit der am 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Revision des Versicherungsaufsichtsrechts wurde das Konkursrecht um das Sanierungsrecht ergänzt. Gestützt auf die obigen Ausführungen zu den Charakteristika des Versicherungsgeschäfts ist festzuhalten, dass damit die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowohl für die Erst- als auch für die Rückversicherer kürzlich nachgeführt und aus Sicht der Versicherungswirtschaft ausreichend sind.

«Der SVV steht einem Ausbau der Aufsichtskompetenzen der FINMA grundsätzlich kritisch gegenüber»

Dennoch kam der Ruf nach mehr respektive stärkerer Regulierung und Aufsicht von verschiedenen Seiten rasch und nicht unerwartet. Die aktuelle Diskussion dreht sich insbesondere um eine Erweiterung der Kompetenzen der FINMA mit der Einführung eines Senior-Manager-Regimes, einer Bussenkompetenz sowie der Möglichkeit, Enforcementverfahren regelmässig zu publizieren. Der SVV steht einem Ausbau der Aufsichtskompetenzen der FINMA grundsätzlich kritisch gegenüber. Vor der Einführung zusätzlicher Kompetenzen ist besonders die Frage zu stellen, ob diese im Falle der CS etwas geändert hätten.

Ein Senior-Manager-Regime für den Versicherungsbereich ist aus Sicht des SVV nicht angezeigt. Es gibt keine Vorkommnisse, die eine Verschärfung der Versicherungsaufsicht auf der Stufe der Führungspersonen rechtfertigen würden. Im Versicherungsbereich findet bereits heute eine strenge Gewährsträgerprüfung durch die FINMA statt. Zudem gibt es mit dem verantwortlichen Aktuar bereits heute neben der Geschäftsleitung einen gesetzlichen Gewährsträger, der für Kernprozesse gegenüber der Aufsicht geradezustehen hat. Mit der Einführung des Senior-Manager-Regimes würde die FINMA implizit in Entscheide über die Unternehmensorganisation eingreifen. Aus Sicht des SVV ist es mehr als fraglich, ob die Unternehmensorganisation eine Frage der Aufsicht sein soll. Zudem ist davon auszugehen, dass ein Senior-Manager-Regime zu zusätzlicher Bürokratie und mangelnder Anpassungsfähigkeit führen würde, was im Krisenfall die Situation sogar verschärfen könnte. Eine Geschäftsplanänderung muss bereits heute als schwerfällig bezeichnet werden.

Der SVV lehnt auch eine Bussenkompetenz für die FINMA ab. Das Finanzmarktaufsichtsgesetz stellt der FINMA zur Erfüllung ihrer Aufgaben bereits heute eine breite Palette von Verwaltungssanktionen zur Verfügung (unter anderem Berufsverbot, Gewinneinziehung, Bewilligungsentzug). Hat die FINMA zudem einen Verdacht auf Widerhandlung gegen eine Strafbestimmung des Finanzmarktaufsichtsgesetzes beziehungsweise der Finanzmarktgesetze, kann sie beim Eidgenössischen Finanzdepartement, das über eine Bussenkompetenz verfügt, Strafanzeige erstatten. Auch verfahrenstechnisch würden sich schwierige Fragen stellen. Die FINMA würde zu einer Exekutivbehörde, die gleichzeitig eine judikative Rolle ausübt. Diese Kompetenzkumulation widerspricht der bewährten Gewaltentrennung in der Schweiz und damit einem unserer Grundprinzipien.

Eine Ausweitung der Kompetenzen der FINMA zur Information der Öffentlichkeit über ihre Aufsichtstätigkeit erachtet der SVV ebenso als nicht notwendig. Eine übermässige Transparenz, insbesondere bei laufenden Enforcementverfahren, kann zu sich nicht rechtfertigenden Reputationsschäden führen und das Vertrauen in die Finanzmärkte generell untergraben. Für die Beibehaltung der heutigen Regelung spricht, dass nur bei bestätigten Verfehlungen und nicht aufgrund von Vermutungen öffentlich kommuniziert wird.

Die FINMA hält in ihrem vor kurzem veröffentlichten Jahresbericht fest: «Eine hundertprozentige Sicherheit ist in einer Marktwirtschaft unter effizientem Einsatz von Ressourcen nicht möglich. Die Finanzmarktinstitute tragen – wie auch in anderen Wirtschaftszweigen – die Verantwortung für ihr Verhalten, und auch ein Scheitern muss möglich sein». Diesem Grundprinzip folgend müssen zusätzliche Regulierungen risikoadäquat sein. Allfällig erkannter Handlungsbedarf ist unter strikter Einhaltung unserer Rechtsprinzipien sowie der Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen anzugehen.