Re­gu­lie­rung und Frei­heit – auf die rich­ti­ge Ba­lan­ce kommt es an

Kommentare07. Februar 2022

So wenig Regulierung wie möglich und so viel wie nötig. Mit diesem Grundsatz ist die Schweiz immer gut gefahren. Der Ausstieg aus dem Pandemiemodus bietet der Politik die Chance, aber auch die Pflicht, die Freiheit wieder stärker zu gewichten und wieder die richtige Balance zwischen Regulierung und unternehmerischer Freiheit zu finden.

Die Versicherungswirtschaft ist eine tragende Säule der Schweizer Volkswirtschaft. Ihr nachhaltiges Geschäftsmodell, ihre solide Kapitalausstattung und die hohe Dienstleistungsbereitschaft ihrer Mitarbeitenden sorgen für Stabilität und Widerstandskraft. Dabei übernimmt die Branche Risiken, die Unternehmen und Private allein nicht tragen können. Sie ermöglicht damit Innovation und Fortschritt und sorgt für wirtschaftliche Sicherheit und selbstbestimmte Lebensführung.

Diese volkswirtschaftliche Verantwortung kann die Versicherungswirtschaft umso besser wahrnehmen, je freiheitlicher die Rahmenbedingungen sind, die ihr die Politik setzt. Die Wirtschaft braucht kein regulatorisches Korsett, das ihr den Atem nimmt. Sie braucht ein weit geknüpftes Netz, das ihr unternehmerische Freiräume lässt. Nur so kann sie das Potential ausschöpfen, das die Zukunft bereithält. Nur so kann sie auch den Mehrwert für Land und Volk schaffen, der von ihr erwartet wird – und der nachhaltig für Wohlstand und sozialen Frieden sorgt.

«Freiheit im Denken und Handeln sind zentral, wenn wir mit Schwung, Optimismus und Zuversicht in die eigenen Stärken die Schweiz im internationalen Wettbewerb in den vorderen Rängen halten wollen.»

Der Ausstieg aus dem Pandemiemodus bietet der Politik die Chance, das engmaschige Netz von Geboten und Verboten, das sie im Zuge der Finanz- und Coronakrise gespannt hat, zu lockern und den Wert der Freiheit wieder stärker zu gewichten. Freiheit im Denken und Freiheit im Handeln sind zentral, wenn wir mit Schwung, Optimismus und Zuversicht in die eigenen Stärken die Schweiz im internationalen Wettbewerb in den vorderen Rängen halten wollen. Es gilt, zwischen Regulierung und unternehmerischer Freiheit die richtige Balance zu finden. Das heisst: so wenig Regulierung wie möglich und so viel wie nötig. Mit diesem Grundsatz ist die Schweiz immer gut gefahren. Er hat wesentlich zu ihrem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg beigetragen. Wir sollten ihn auch in Zukunft zur Richtschnur nehmen. Dazu drei konkrete Beispiele, die die Versicherungswirtschaft betreffen.

Digitalisierung

Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft. Und sie verändert unsere Branche. Sie hat uns in der Pandemie geholfen, unseren Betrieb jederzeit aufrechtzuerhalten. Und sie wird unserer Branche auch neue Geschäftsfelder öffnen. Um diese tatsächlich bewirtschaften zu können, ist eine möglichst schlanke Regulierung nötig. So können wir digitale Angebote und Prozesse in kundenfreundlicher Art entwickeln. Die Voraussetzungen dazu sind in der Schweiz schon weitgehend gegeben. Deshalb genügt die Beachtung des Grundsatzes verhältnismässiger, zielgerichteter Regulierung; sie lässt Freiräume und fördert konkurrierende Geschäftsmodelle und Produkte. Auch das liegt im Interesse unserer Kundinnen und Kunden.

Versicherung von Toprisiken

Corona hat gezeigt: Pandemien und andere Toprisiken sind rein privatwirtschaftlich nicht versicherbar. Das Risiko kann nicht diversifiziert werden. Alle sind gleichzeitig und überall betroffen. Das Versicherungsprinzip, wonach die Prämien der vielen die Schäden der wenigen decken, ist weitgehend ausgehebelt. Der Staat ist in der Krise als Ad-hoc-Versicherer eingesprungen. Dadurch konnte er viel Not abwenden. Es gibt aber auch langfristige Nachteile seines Vorgehens: Für die Feuerlöschaktionen im Nachhinein hat er keine Prämien im Voraus erhoben. Die aufgehäuften Schulden reicht er an die Steuerzahler und im schlechtesten Fall an die nächste Generation weiter. Das ist alles andere als nachhaltig. Zudem hat sich die sensible Grenze zwischen staatlicher und privatwirtschaftlicher Tätigkeit weiter verschoben. Das ist nicht im Interesse von Gesellschaft und Volkswirtschaft. Für die Abdeckung künftiger Toprisiken – dazu gehören neben Pandemien beispielsweise auch grossflächige Stromausfälle oder Cybervorfälle – ist eine Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft der aus Branchensicht zielführende Weg. Der Bund übernimmt den grösseren Teil des Risikos. Die Versicherungswirtschaft bringt ihr versicherungstechnisches Know-how ein. Sie kann damit zu einer Versicherungslösung beitragen, die auf dem Vorsorgeprinzip beruht und einen planbaren Schutz bietet, bevor der Schaden eintritt. Gefragt wären also Rahmenbedingungen, die Staat und Wirtschaft zusammenbringen und ihre jeweiligen Stärken vereinen.

Altersvorsorge

Auch die Altersvorsorge braucht eine ausgewogene Regulierung. Sie muss einerseits die erwiesenen Vorzüge des Dreisäulensystems sichern und fördern. Die drei Säulen sind getrennt und jede für sich stark. Obligatorium und Freiwilligkeit halten sich die Waage. Anderseits muss die Gesetzgebung auch den veränderten Realitäten der Demographie und der Erwerbsbiographien Rechnung tragen. Rentenalter, Leistungen und Finanzierung müssen im Gleichgewicht sein. So, dass die Altersvorsorge für die kommenden Generationen kein hohles Versprechen wird, sondern nachhaltig gesichert ist. Mit der beschlossenen Angleichung des Rentenalters der Frauen an dasjenige der Männer und weiteren Massnahmen hat das Parlament im Rahmen der AHV-21-Vorlage einen ersten, wichtigen Schritt getan. Auch die Entscheide des Nationalrats zur Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) zeigen in die richtige Richtung. Die Senkung des Umwandlungssatzes und der Verzicht auf die Vermischung von erster und zweiter Säule sind ihre wichtigsten Eckwerte. Wir hoffen, dass sie im weiteren Verlauf der parlamentarischen Debatte Bestand haben.

Der Kommentar lehnt sich inhaltlich an die Präsidialrede an, die Rolf Dörig anlässlich der Jahresmedienkonferenz des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV vom 2. Februar 2022 gehalten hat.