Wachs­tum al­lein ist nicht al­les: Auf die Pro­duk­ti­vi­tät kommt es an

Kommentare18. September 2023

Keine andere Branche ist seit der Jahrtausendwende so stark gewachsen wie die Versicherungswirtschaft: Ihre Wertschöpfung hat sich verdoppelt. Gleichzeitig ist auch die Arbeitsproduktivität überdurchschnittlich gestiegen. Dieser Produktivitätsfortschritt ist zentral für den Wohlstand der Schweiz – aber alles andere als selbstverständlich.

Hauptsache Wachstum? Nein – vielmehr kommt es auch darauf an, wie die Wirtschaft wächst: Statt «in die Breite» zu wachsen, weil mehr gearbeitet wird, geht es darum, effizienter zu werden: Die daraus resultierende höhere Arbeitsproduktivität bedeutet, dass mit den gleichen Ressourcen mehr Wert geschaffen wird. Ganz gleich, ob es sich bei den eingesetzten Ressourcen um Rohstoffe oder Fachkräfte handelt. Dieser Produktivitätsfortschritt ermöglicht zum Beispiel steigende Löhne oder mehr Freizeit ohne Einkommensverlust – und ist damit die Hauptursache für Wachstum ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch oder Zuwanderung. Entsprechend wichtig ist er für den langfristigen Wohlstand eines Landes. 

Die Schweiz hat diesen Produktivitätsfortschritt in den letzten zwei Jahrzehnten erfolgreich geschafft. Dies zeigt eine aktuelle Analyse  von Avenir Suisse: Seit 2002 stieg die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität jährlich um 0,9 Prozent – klammert man die öffentliche Verwaltung aus, waren es gar 1,1 Prozent. Dieses Wachstum ist beachtlich: Im internationalen Vergleicht fällt das Schweizer Produktivitätswachstum – insbesondere in den letzten Jahren – erfreulich hoch aus. Nur drei OECD-Länder verzeichneten in den vergangenen Jahren eine grössere Zunahme der Arbeitsproduktivität.

Versicherer wachsen überdurchschnittlich – und werden dabei immer produktiver

Dabei trägt die Versicherungswirtschaft überdurchschnittlich stark zur Produktivitätsentwicklung bei. Während die Produktivität beispielsweise im Gesundheitswesen oder in der Unterhaltungsbranche trotz Wertschöpfungswachstum abgenommen hat, ist sie in der Industrie und im Finanzsektor deutlich gestiegen. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen sticht die Versicherungswirtschaft in dreierlei Hinsicht hervor.

Die Versicherungsbranche ist ein wesentlicher Produktivitätstreiber der Schweizer Wirtschaft

Erstens wächst der Versicherungssektor im schweizweiten Branchenvergleich am stärksten. Seit 2002 nahm die Bruttowertschöpfung durchschnittlich um über 4 Prozent pro Jahr zu. Die konsequente Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen hat ein beachtliches Wachstum generiert, so dass der Beitrag der Assekuranz zur Schweizer Wirtschaftsleistung in den vergangenen 20 Jahren angestiegen ist – auf über vier Prozent.

Zweitens werden die Schweizer Versicherer dabei immer effizienter: Pro eingesetzte Arbeitsstunde wurde seit 2002 jährlich ebenfalls knapp 4 Prozent mehr Leistung erbracht, da der Personalbestand in den letzten 20 Jahren nahezu konstant blieb. Gesamthaft hat sich die Produktivität der Versicherungsbranche in 20 Jahren damit verdoppelt. Mit anderen Worten: Mitarbeitende generieren pro Arbeitsstunde heute eine doppelt so hohe Wertschöpfung wie noch 2002. Damit belegen die Versicherer auch beim Produktivitätswachstum den Spitzenplatz in der Schweiz: Die Effizienzsteigerung ist viermal höher als im Branchenvergleich.

Gesamthaft hat sich die Produktivität der Versicherungsbranche in 20 Jahren damit verdoppelt.

Drittens leistet die Versicherungsbranche im Verhältnis zur Branchengrösse den grössten Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstum. Zwischen 2002 und 2019 trugen die Versicherer fast 20 Prozent zur Produktivitätssteigerung der Schweizer Wirtschaft bei. Und dies, obwohl nur knapp zwei Prozent aller Erwerbstätigen in der Schweiz in der Versicherungsbranche arbeiten.

Investitionen in Ausbildung und Digitalisierung zahlen sich aus

Dass die Versicherer im Branchenvergleich derart gut abschneiden, ist kein Zufall. Es ist das Resultat von hohen Kapitalinvestitionen, gut ausgebildeten Mitarbeitenden und technischem Fortschritt. So investieren die Versicherer laufend in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden: Denn je besser diese qualifiziert sind, desto komplexere Aufgaben können sie übernehmen und entsprechend mehr zur Wertschöpfung beitragen. Mit der zunehmenden Komplexität der eingesetzten Technologien gewinnt dieser Aspekt weiter an Bedeutung. 

Darüber hinaus investieren die Versicherer stark in technologische Innovationen. So hat vor allem die Digitalisierung einen grossen Einfluss auf die Produktivität der Branche. Viele repetitive Aufgaben können so effizienter erledigt und operative Abläufe optimiert werden, so dass sich die Mitarbeitenden auf kreative, strategische und wertschöpfungsstarke Aufgaben konzentrieren können. 

Produktivitätsfortschritte sind keine Selbstläufer

Gemessen am Wachstum sind die Versicherer damit die unangefochtenen Produktivitäts-Champions der Schweiz: Keine andere Branche ist seit der Jahrtausendwende stärker und nachhaltiger gewachsen. Sie sind damit ein wichtiger Motor für den Wohlstand in der Schweiz.

Dass sich die Schweiz nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen darf, zeigen die volkswirtschaftlichen Daten: Tatsächlich drohte die Schweiz in den vergangenen Jahren tendenziell «in die Breite» zu wachsen. Zwar hat sich diese Befürchtung bisher nicht bewahrheitet   , aber gerade die anwachsende Regulierungsdichte hemmt das Wachstum. Auch die Versicherer haben zum Beispiel zunehmend mit personalintensiven Compliance-Aufgaben zu kämpfen, was die Produktivität dämpft. Kommt der Wohlstandsmotor ins Stottern? Das gilt es dringlichst zu verhindern. Wichtig ist daher, die Technologieoffenheit zu bewahren, den Zugang zu den internationalen Märkten zu sichern und die Regulierungsflut einzudämmen. Der Wohlstand der Schweiz beruht auf dem Produktivitätswachstum der Wirtschaft – alles andere ist Augenwischerei.

Dieser Kommentar erschien am 30. August 2023 auf handelszeitung.ch/insurance.