23. Fach­ta­gung Haft­pflicht: Ak­tu­el­les rund um PFAS, Elek­tro­mo­bi­li­tät und Geo­ther­mie

Event

Die Fachtagung Haftpflicht war einerseits geprägt von spannenden Referaten zu aktuellen Herausforderungen in der Haftpflichtbranche, bot anderseits auch Raum für einen interessanten Austausch. In fünf Präsentationen konnten die rund 80 Anwesenden Einblicke in verschiedene Themen wie die Chancen und Risiken von PFAS, den Wandel für Autozulieferer im Zusammenhang mit Elektromobilität, die Haftung für Medizinprodukte in der Schweiz und der EU sowie eine Auslegeordnung zur Geothermie gewinnen.

Aussicht von Kursaal Bern

Bericht aus der Fachkommission Haftpflicht

Lorenzo Natale, Präsident der Fachkommission Haftpflicht (FKH), hat das Publikum über die Tätigkeiten der FKH seit der letzten Tagung informiert: Die Arbeitsgruppe Musterbedingungen hat die unverbindlichen Grund-AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) zur Betriebshaftpflicht überarbeitet. Durch die Änderungen wird sich das «Look and Feel» der altbekannten unverbindlichen Musterbedingungen ändern, auch werden einige unverbindliche ZAB (Zusätzliche Allgemeine Bedingungen) integriert.
Die Arbeitsgruppe Emerging Risks hat zudem die Broschüre «Emerging Risks» um das Kapital Per- und PFAS erweitert. Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) sind schwer abbaubare Chemikalien, die seit Jahrzehnen in der Industrie eingesetzt werden. Aufgrund ihrer Langlebigkeit und Persistenz sind sie überall nachweisbar: im menschlichen Blut, in der Muttermilch und in weiten Teilen der Umwelt, so auch in Wasser, Boden und in der Luft. Dadurch möglicherweise ausgelöste Umwelt- und Personenschäden wurden bereits in Haftpflichtprozessen, insbesondere in den USA, aufgegriffen. Natale stellt in Aussicht, dass PFAS ein Thema ist, das uns noch lange begleiten wird. 
 

Lorenzo Natale am moderieren

PFAS neu in der «Emerging Risks» Broschüre: Lorenzo Natale, Präsident der Fachkommission Haftpflicht, hat die Anwesenden über die aktuellen Tätigkeiten der Fachkommission informiert.

Die brennende Diskussion rund um Elektro- und autonome Mobilität

Interessante Fakten präsentierte Roland Friedli, Manager Casualty Riks Engineering und Leiter der Gruppe Haftpflicht Engineering bei der Swiss Re in seinem Referat «Autozulieferer – Wohin geht die Reise?». Wie er ausführte, boomte im Jahr 1912 der Elektroautomobilitätsmarkt in den USA. Elektroautos machten damals 40% der Fahrzeuge auf den Strassen aus. Durch die Erfindung des elektrischen Anlassers bei Verbrennerfahrzeugen verlor die elektrische Variante jedoch an Beliebtheit und verschwand bis 1990 fast ganz vom Markt. In den letzten Jahren erlebten E-Autos wieder einen Aufschwung. So wird für das Jahr 2024 in Europa ein Marktanteil der E-Fahrzeuge von bis zu 25 Prozent erwartet.
 

Friedli sprach in seinem Vortrag unter anderem auch über die neusten Erkenntnisse bezüglich E-Mobilität. So zeigte er auf, dass E-Fahrzeuge eine höhere und auch volatilere Rückruffrequenz aufweisen als Verbrennerfahrzeuge. Eine mögliche Begründung dafür sind «Kinderkrankheiten», die aufgrund der Entwicklung der Antriebstechnik entstehen. Für die Versicherer relevant ist die Tatsache, dass die Reparaturkosten bei E-Fahrzeugen höher ausfallen als bei Verbrennerfahrzeugen. Auch auf die Frage, ob E-Fahrzeuge öfter brennen als Verbrennermodelle, ging Friedli in seiner Präsentation ein. Wie er darlegt, ist das Gegenteil der Fall, jedoch ist der Schweregrad der Brände bei Elektrofahrzeugen potenziell höher. Neben der Elektromobilität thematisierte Friedli auch die autonome Mobilität und damit zusammenhängend mögliche haftpflichtrechtliche Konsequenzen.
 

Roland Friedli am moderieren

Elektroautos haben eine höhere Rückruffrequenz: Roland Friedli, Manager Casualty Riks Engineering und Leiter der Gruppe Haftpflicht Engineering bei der Swiss Re, sprach über Elektrofahrzeuge und autonome Mobilität.

Der disruptive Moment der KI

Passend zum Thema autonome Mobilität folgte der Vortrag von Ioannis Martinis, Head of Innovation & LegalTech bei der Coop Rechtschutz AG, zum Thema künstliche Intelligenz. Seine Präsentation mit dem Titel «Recht ex Machina» eröffnete Martinis mit dem Statement, dass die Welt aktuell Zeuge eines iPhone-Moments ist, will heissen, eines disruptiven Wandels. So nehme künstliche Intelligenz einen immer grösseren Stellenwert im Alltag ein. 
 

Dass KI auch ihre Grenzen hat, zeigte Martinis mit passenden Beispielen. So erläuterte er, dass bereits Fälle bekannt sind, bei welchen Anwälte mit Hilfe von ChatGPT nach Präzedenz-Fällen suchten und diese Entscheide in ihrer Klage, die sie bei Gericht einreichten, auch zitierten. Die Suchergebnisse, welche die KI generierte, erwiesen sich jedoch als frei erfunden. Künstliche Intelligenz ist nicht darauf trainiert, akkurate und korrekte Inhalte zu liefern. Oftmals sind es gemäss Martinis «falsche Inhalte, die sehr hübsch verpackt werden». Obwohl KI ein grosses Potenzial aufweist, gewisse Arbeiten zu übernehmen und somit Prozesse effizienter zu gestalten, darf nicht vergessen werden, dass die Maschine kein Bewusstsein hat. Martinis betonte in seinen Ausführungen, dass es essenziell sei, in «AI Empowerment» zu investieren, damit sich die Menschen KI zunutze machen können, ohne ihre Grenzen und Gefahren zu vernachlässigen. 
 

Ioannis Martinis am moderieren

Die Welt erlebt aktuell einen Iphone-Moment: Ioannis Martinis, Head of Innovation & LegalTech bei der Coop Rechtschutz AG, betonte die Wichtigkeit, in «AI Empowerment» zu investieren.

Haftung für Medizinprodukte – die frostige Beziehung zwischen EU und Schweiz

Den Weg von der virtuellen Welt zurück zur Realität fanden die Anwesenden durch den Vortrag von Ina Ebert, Leitende Fachexpertin für Haftung und Versicherungsrecht bei der Munich Re. In ihrem Referat sprach sie über die neue Ausgangslage bei der Haftung für Medizinprodukte. Im Vordergrund stand dabei die Frage, welche Änderungen sich aufgrund des Wegfalls des Rahmenabkommens für das Verhältnis EU – Schweiz ergeben. Vereinfacht dargelegt, wird die Schweiz nach neuem Recht wie ein Drittstaat betrachtet. So müssen unter anderem Schweizer Medizinprodukthersteller, die ihre Produkte in der EU in den Verkehr bringen möchten, einen Bevollmächtigten in der EU benennen, Importeure einbeziehen und eine Zertifizierung durch eine EU-Behörde abwarten. Gleiches gilt vice versa. Man muss sich bewusst sein, dass die Schweiz rund 46 Prozent ihrer Medizinprodukte in die EU exportiert und rund 54 Prozent aus der EU importiert. Für Haftpflichtversicherer sind diese neuen Hürden insofern relevant, als dass sie zu mehr Komplexität und Rechtsunsicherheit führen. Ausserdem steigt die Gefahr von zusätzlichen Schäden, da die Marktüberwachung erschwert wird. Gravierende Vorkommnisse im Zusammenhang mit einem Medizinprodukt müssen in der Schweiz nur gemeldet werden, wenn sie sich dort zugetragen haben, in der EU hingegen immer dann, wenn das Produkt auch in der EU auf den Markt gebracht wurde.

Ina Ebert am moderieren

Die Schweiz als Drittstaat: Ina Ebert, Leitende Fachexpertin für Haftung und Versicherungsrecht bei der Munich Re, sprach über die neue Ausgangslage bei der Haftung für Medizinprodukte.

Geothermie Schweiz – eine Auslegeordnung

Im Jahr 2019 hat der Bundesrat beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden soll. Die Suche nach erneuerbaren Energiequellen wird damit zunehmend wichtiger. Geothermische Energie ist eine erneuerbare Energieressource, die grosses Potenzial aufweist, da sie als zuverlässige und stabile Energiequelle gilt. In ihrem Vortrag thematisierten David Henzi, Leiter Risk Engineering bei der Allianz Suisse und Pierre Hüppi, Leiter Underwriting bei der Vaudoise die sogenannte Tiefe Geothermie (über 3000m tief) und erklärten zwei unterschiedliche Fördermethoden. Sie zeigten auch die verschiedenen Risiken auf und inwiefern die Versicherungsindustrie in deren Abdeckung involviert ist.  

Davind Henzi und Pierre Hüppi am moderieren

Eine Pflichtversicherung ist keine Wunderlösung: Pierre Hüppi, Leiter Underwriting Haftpflicht bei der Vaudoise und David Henzi, Leiter Risk Engineering bei der Allianz Suisse (v.l.n.r.) sprachen über mögliche Versicherungslösungen im Bereich der Geothermie.

Das Fündigkeitsrisiko wird dabei als wirtschaftliches Hauptrisiko betrachtet und meint die Erzielung einer unzureichenden Förderrate bei der Erschliessung eines geothermischen Reservoirs. Es braucht Akteure, welche dieses Risiko absichern, wobei typische Unternehmerrisiken klassischerweise nicht von einer Versicherung übernommen werden. Obwohl die Frage der Versicherungslösung noch im Raum steht, betonen Henzi und Hüppi, dass eine Pflichtversicherung in der Haftpflicht, wie einzelne Kantone sie eingeführt haben, keine Wunderlösung sei.  Der Round Table beim Bundesamt für Energie hat aufgezeigt, dass es von grosser Relevanz ist, dass zwischen den involvierten Akteuren ein Risikodialog und ein Austausch stattfindet. Dies führt zu gegenseitigem Verständnis und Vertrauen, was für den Support der Geothermie zentral ist.
 

Die aufschlussreichen Vorträge stiessen auf grosses Interesse im Publikum. Dies zeigte auch die grosse Anzahl an Fragen aus dem Plenum. Mit einem Quiz konnten die Teilnehmenden ihr gelerntes Wissen testen und dabei Preise gewinnen. Besonderen Anklang fand auch das Mittagessen auf der sonnigen Terrasse des Kursaals Bern mit freier Sicht auf die Berner Altstadt. 

Kommission Haftpflicht

Die Fachkommission Haftpflicht des SVV auf der Terrasse des Kursaals Bern.

Präsentationen