Op­ti­ma­ler Kun­den­schutz in der be­ruf­li­chen Vor­sor­ge

News24. April 2018

Versicherungsunternehmen haben eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung. Sie übernehmen von einer Vielzahl von Personen Risiken, die für das einzelne Individuum allein nicht tragbar sind. In der beruflichen Vorsorge werden den Versicherern dabei auch Gelder anvertraut, mit denen die Erwerbstätigen ihre Existenz im Rentenalter sichern, schreibt SVV-Direktor Thomas Helbling in der NZZ.

Die Wichtigkeit der Versicherung von Risiken kommt unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass für Versicherungsverträge schon im Jahr 1908 das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geschaffen worden ist – noch vor Inkrafttreten des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) und des Obligationenrechts (OR). Während für fast alle übrigen Kaufverträge das OR gilt, sind der Verkauf und der Vertragsabschluss von Versicherungen im VVG umfangreicher und restriktiver reguliert; so greift der Kundenschutz im Versicherungsgeschäft schon vor Vertragsabschluss.

Thomas Helbling, Direktor SVV

Thomas Helbling, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes.

Die Rechte der Versicherten sind über ihre vertraglichen Ansprüche hinaus durch das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und die Finanzmarktaufsicht noch weitgehender geschützt. Das VAG legt die Kapitalanforderungen an die Versicherer fest – und die Finma prüft, ob diese eingehalten werden; damit soll sichergestellt werden, dass jedes Versicherungsunternehmen jederzeit fähig ist, die den Kunden vertraglich zugesicherten Leistungen tatsächlich zu erbringen. Nur, wie hoch soll der Preis für den Kundenschutz sein?

Mehr Sicherheit bedeutet höhere Kosten

Zentral ist also die Frage nach dem optimalen Kundenschutz. Höhere Sicherheit für den Kunden, dass seine Versicherungsansprüche jederzeit und in vollem Umfang garantiert sind, bedeutet höhere Kosten für die Versicherer und für die Versicherten.

Ultimativer Gradmesser für den Kundenschutz ist die Höhe des Eigenkapitals des jeweiligen Versicherungsunternehmens. Diese Kapitalanforderungen werden weitestgehend von der Finma über die von ihr im Swiss Solvency Test (SST) festgelegten Parameter bestimmt. Dabei geht die Aufsicht von einer Vielzahl von extremen Risikoannahmen aus, was die Anforderungen an die Versicherer zur Kapitalhinterlegung derart in die Höhe geschraubt hat, dass diese ihre Vollversicherungslösungen für Neukunden nicht mehr zu wirtschaftlich attraktiven Konditionen anbieten können. Damit besteht die Gefahr, dass ein sehr wichtiges Instrument der beruflichen Vorsorge wegfallen könnte.

Im Gegensatz zu autonomen oder teilautonomen Vorsorgeeinrichtungen, bei denen Arbeitgeber und Versicherte allfällige Verluste selbst übernehmen müssen und bei Unterdeckung «zur Kasse gebeten» werden, übernimmt im Vollversicherungsmodell der Versicherer das Risiko vollumfänglich. Vor allem für kleine und mittelgrosse Firmen ist die Möglichkeit, das gesamte Risiko der beruflichen Vorsorge an einen Versicherer abzutreten, eine Frage der Existenz und Überlebensfähigkeit. Deshalb sind heute rund 1,2 Millionen Personen oder 23 Prozent aller in der beruflichen Vorsorge Versicherten einer Vollversicherung angeschlossen.

Vollversicherung wird unbezahlbar

Der Kundenschutz hat oberste Priorität. In diesem Punkt ist sich die Versicherungswirtschaft mit der Finma einig. Übertriebenes Sicherheitsdenken und Kapitalanforderungen, die das Geschäftsfeld der Versicherer unnötig beschneiden, bedeuten jedoch, dass der exklusive Schutz einer Vollversicherung für den Kunden unbezahlbar wird, die Nachfrage sinkt und das Angebot verschwindet. Der von der Aufsichtsbehörde angepeilte maximale Kundenschutz wird so für die vielen KMU und ihre Mitarbeitenden zum Bumerang. Er bringt mehr Schaden als Nutzen.

Die Schweizer Versicherungsunternehmen stehen weiterhin zu den Verpflichtungen, die ihnen aufgrund ihrer Bedeutung für die Volkswirtschaft zufallen. Auch im aktuell schwierigen regulatorischen und wirtschaftlichen Umfeld sind sie bereit, ihre Verantwortung wahrzunehmen und die Risiken vieler KMU und ihrer Angestellten aus der beruflichen Vorsorge zu tragen. Auch darauf beruht der nachhaltige Erfolg des Finanzplatzes Schweiz.

Dieser Gastkommentar von Thomas Helbling, Direktor SVV, ist in der NZZ vom 12. April 2018 erschienen.

Gastkommentar von Thomas Helbling