Di­gi­ta­li­sie­rung – ei­ne Chan­ce für Bran­che und Kun­den

Kommentare01. März 2022

Die Versicherungsbranche war für die Coronakrise digital gut aufgestellt. Sie konnte sogar ihre Mitarbeiterzahlen erhöhen und sich als Wachstumsbranche bestätigen. Um das Potenzial der Digitalisierung weiter auszuschöpfen, braucht es Rahmenbedingungen, mit denen die Versicherungswirtschaft ihre digitalen Angebote weiterentwickeln und zusätzlichen Mehrwert für die Kunden schaffen kann.

Dank hoher Investitionen in die digitale Transformation und der zeitgerechten Entwicklung neuer Arbeitsformen konnte die Versicherungswirtschaft in der Coronakrise nahtlos auf die Arbeit im Homeoffice umstellen. Es gelang ihr, die gesamte Dienstleistungspalette ohne Einschränkungen bei Qualität und Tempo aufrechtzuerhalten.

Volkswirtschaftliche Verantwortung übernehmen

Als bedeutende Wirtschaftsakteure wollen die Privatversicherer ihre volkswirtschaftliche Verantwortung auf dem Arbeitsmarkt auch und gerade in der Krise wahrnehmen und positive Impulse setzen. Sie haben deshalb das Lehrstellenangebot in den vergangenen zwei Jahren weiter ausgebaut. Mit den hohen Investitionen in die Nachwuchsförderung und dem Bekenntnis zum dualen Bildungssystem der Schweiz sowie zum lebenslangen Lernen unterstreichen die Privatversicherer seit je die zentrale Bedeutung gut ausgebildeter und motivierter Mitarbeitender für die Zukunft der Branche und ihrer Unternehmen. Im Zeitalter der Digitalisierung wird dieses Bekenntnis noch wichtiger.

Mehrwert schaffen für die Kunden

Die Pandemie hat die Digitalisierung auch im Versicherungssektor weiter beschleunigt. 24 Stunden am Tag sind die Privatversicherer auf digitalem Weg erreichbar. Prozesse sind automatisiert und können durch Chatbots übernommen werden. Die Bearbeitung von Schadenfällen wird dadurch effizienter. Software-Programme basieren auf künstlicher Intelligenz. Leistungen können zeitnah bezahlt werden. Die Technologie hilft auch, Versicherungsbetrug zu erkennen und vorzubeugen. Prämienerhöhungen können so vermieden und die Solidarität im Versichertenkollektiv gestärkt werden.

Die digitale Transformation betrifft aber nicht nur Prozesse, sondern auch Produkte. Dank leistungsfähigen Tools können Produkte weiter verfeinert und auf Profil, Risiken und Bedürfnisse der Kundschaft zugeschnitten werden. Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit wird durch die Digitalisierung gestärkt. Das systematische Ausdrucken von Policen und Rechnungen entfällt. Für die Beurteilung von Schadenfällen genügen meist ein Foto vom Handy oder ein Videoanruf. Das hilft, Zeit und Kilometer für die Beurteilung vor Ort einzusparen.

Doch auch die Digitalisierung birgt Risiken. Die Personalisierung einer Versicherung kann zu einer Segmentierung des Versichertenkollektivs in gute und schlechte Risiken führen. Dadurch gerät das Solidaritätsprinzip, das der Kerngedanke jeder Versicherung ist, unter Druck. Die zentrale Herausforderung ist, das Gleichgewicht zwischen Solidarität und Individualisierung zu finden. Die Kundinnen und Kunden wünschen indes beides: Solidarität und Individualisierung. Sowohl als auch ist deshalb die Devise.

Die Kunden wünschen es einfach, schnell und effizient. Aber auch persönlich.

Wahlmöglichkeiten bieten dank Digitalisierung

Sowohl als auch gilt auch, wenn es darum geht, wie unsere Kunden uns Versicherer erreichen wollen. Seit den Anfängen des Internets ist man davon ausgegangen, dass die Versicherungsbranche auf den digitalen Vertriebsweg umsteigen wird. Diese Vorhersagen haben sich bis heute für die Schweiz nicht bewahrheitet. Die überwältigende Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer wünscht sich, den Kommunikationskanal frei wählen zu können. Bei der Mobiliar wissen wir, dass unsere Kundinnen und Kunden sowohl online als auch über lokale Experten Zugriff auf unsere Leistungen haben wollen. Um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, werden wir weiterhin digital und analog für unsere Kunden da sein. Wie vor der Krise bieten wir persönliche Beratung bei den Kunden zu Hause oder in unseren Generalagenturen an. Unser Netz von Generalagenturen bleibt auch in Zukunft wichtig.

Die Versicherer müssen das Vertrauen ihrer Kundinnen und Kunden immer wieder neu gewinnen und deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Die Kunden wünschen es einfach, schnell und effizient. Aber auch persönlich. Sie wählen deshalb bei jeder Interaktion den für sie passenden Kommunikationsweg. Dank der Digitalisierung haben sie jetzt mehr Wahlmöglichkeiten. Das ist ein klarer Mehrwert.

Digitalisierungspotenzial ausschöpfen – mit ausgewogener Regulierung

Um das volle Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen, braucht es entsprechende Rahmenbedingungen. Die Versicherungswirtschaft muss in der Lage sein, ihre digitalen Produkte und Prozesse kundenfreundlich anzubieten und weiterzuentwickeln. Die Rahmenbedingungen müssen auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Versicherer gewährleisten und für einen fairen Wettbewerb von Geschäftsmodellen und Produkten unter den Versicherern sorgen. Traditionelle Anbieter und Insuretech-Firmen müssen gleichgestellt sein.

Die Versicherungsbranche ist schon heute einer der am stärksten reglementierten Wirtschaftszweige. Mit der Revision des Versicherungsvertragsgesetzes wurde der Kundenschutz auf ein hohes Niveau gehoben. Angesichts dieser komfortablen Ausgangslage braucht es für die Weiterentwicklung der Branche, den Schutz der Kunden und die Umsetzung der Digitalisierung eine schlanke, ausgewogene Regulierung.

Bei der laufenden Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes begrüsst die Branche die Lockerung der Regeln für die Einführung neuer, innovativer Geschäftsmodelle, einschliesslich Geschäften ohne direkten Versicherungsbezug. Zudem erwarten die Versicherer Kapitalanforderungen, die den Unternehmen Luft zum Atmen lassen und die Interessen der Versicherten wahren.

Mit der Digitalisierung steigt auch das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitsformen und einer besseren Work-Life-Balance – sowohl bei den Arbeitnehmern als auch bei den Arbeitgebern. Das Arbeitsgesetz mit seinen starren Bestimmungen wird diesen veränderten Bedürfnissen nicht gerecht. Man wird deshalb um eine Teilrevision nicht herumkommen.

Die Pandemie hat auch gezeigt, dass Toprisiken rein privatwirtschaftlich nicht zu versichern sind. Wir sind überzeugt, dass der Staat in bestimmten Fällen die Rolle eines engagierten Partners einnehmen kann und muss. Um sich weiterentwickeln zu können, bedürfen einige Versicherungsbereiche der staatlichen Kooperation. Nehmen wir zum Beispiel den Elementarschadenpool – eine weltweit einzigartige partnerschaftliche Lösung, die sich seit ihrer Schaffung im Jahre 1953 bewährt hat. Aus Sicht der Versicherer ist es wichtig, den Ansatz der öffentlich-privaten Partnerschaft auch für andere grosse Risiken wie Cyberkriminalität, Stromengpässe und Pandemien anzuwenden. Nur gemeinschaftliche Lösungen des privaten und öffentlichen Sektors können die Widerstandskraft der Schweiz erhöhen. Die Digitalisierung hilft uns dabei.

Der Kommentar lehnt sich inhaltlich an die Rede an, die Michèle Rodoni anlässlich der Jahresmedienkonferenz des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV vom 2. Februar 2022 gehalten hat.