Was Versicherte wollen
Prof. Dr. Peter Maas ist Mitglied der Geschäftsleitung des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen und Mitautor der Studie «Konsumentenschutz aus Kundensicht: Eine empirische Studie im Schweizer Versicherungsmarkt».
Beitrag aus dem Jahresmagazin View
Was wollen die Versicherten? Das wusste lange Zeit niemand so genau. Erst eine in Zusammenarbeit mit dem SVV im Jahr 2015 erstellte Studie der Universität St. Gallen brachte Licht ins Dunkel. Was hat sich seither geändert? Prof. Peter Maas, einer der Autoren der Studie, gibt Auskunft.
Peter Maas, Professor am Institut für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen
Herr Maas, Sie haben die Wünsche und Sorgen der Versicherten durchleuchtet. Was wollen – kurz und bündig – die Versicherten?
Peter Maas: Da es im Kern um das Thema «Konsumentenschutz» ging, haben wir zuerst einmal die Frage gestellt: Worauf haben sie überhaupt ein Recht? Nach John F. Kennedy haben sie erstens ein Recht auf Sicherheit; bezogen auf Versicherungen könnte man schauen, ob Unternehmen solvent genug sind, um jederzeit ihren Verpflichtungen nachzukommen. Sie haben zweitens ein Recht auf Information; drittens ein Recht auf Anhörung und viertens ein Recht auf Auswahl.
Und wie steht es um diese Rechte?
Bei der Sicherheit sorgen die bestehenden Regulierungen für umfassenden Versichertenschutz. Bei der Information stellen wir fest, dass sich viele Kunden überfordert fühlen. Das Finanz- und Versicherungswissen ist nicht besonders ausgeprägt. Hier könnte beispielsweise ein digitaler Coach helfen. Was die Anhörung betrifft, hat sich der Ombudsman als Glücksfall erwiesen. Diejenigen, die dieses Institut kennen, sind damit zufrieden. Allerdings kennt nur etwa ein Viertel der Befragten den Ombudsman. Das müsste man bekannter machen. Bei der Auswahl stellen wir fest, dass über Regulierungsfolgekosten gesprochen werden muss. Wenn ein Angebot wegen zu strenger Regulierung nicht mehr rentiert, ziehen sich Anbieter zurück. Das sieht man im Vollversicherungsgeschäft der 2. Säule. Zu viel Regulierung kann die Auswahl also einschränken; das ist nicht im Interesse der Versicherten.
Hat sich in den vergangenen Jahren an diesem Befund etwas geändert?
Für fundamentale Verschiebungen gibt es keine Hinweise.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Es ist einerseits notwendig, über die Kosten der Regulierung zu sprechen und diese auch den Versicherten klarzumachen. Ist der Konsument bereit, für mehr Schutz auch höhere Prämien zu bezahlen? Diese Gretchenfrage muss man sich stellen. Andererseits hat die Studie gezeigt, dass nicht alle Kunden im selben Masse geschützt werden wollen, da sie sich selbst kompetent und verantwortlich fühlen.
Wenn die Anbieter die Information der Kunden selber übernehmen – besteht da nicht die Gefahr einer Beeinflussung im eigenen Interesse?
Es liegt in der Natur jedes Vertrages, dass sich jeder Kunde, jede Kundin eigenverantwortlich ein Bild macht von einem Angebot oder einem Produkt. Das Ausmass des individuell geschenkten Vertrauens ist ebenfalls eine individuelle Entscheidung.
Nun ist die Versicherungsmaterie komplex und das Wissen darüber eher bescheiden. Was halten Sie von Vergleichsportalen im Internet?
Eine Versicherung ist ein individuelles Produkt. Ihr Preis hängt z.B. vom Alter ab, von der Lebenssituation, vom Wohnort, vom eigenen Verhalten oder davon, ob man für das Auto eine Garage hat oder nicht. Insofern sind Vergleiche schwierig. Man vergleicht nicht homogene Güter. Natürlich können solche Portale eine Anregung bieten. Aber sie können auch irreführen. Rankings können zum Beispiel gekauft werden, oder Verzerrungen werden nicht transparent genug dargestellt.
Und was können die klassischen Konsumentenorganisationen beitragen?
Sie haben oft eine eigene Agenda. Auch sie haben eigene Interessen. Sie müssen immer wieder Themen anfeuern, um nicht vergessen zu gehen. Sie machen sicherlich gute Arbeit. Aber manchmal schiessen sie übers Ziel hinaus.
Wie erklären Sie sich, dass das Wissen um Versicherungen so bescheiden ist?
Versicherungen haben oft mit Dingen zu tun, die wir lieber verdrängen, Krankheit, Unfall oder Tod. Zudem ist die Materie komplex. Das ist allerdings auch anderswo so, zum Beispiel beim Banking. Das Verhältnis vom Kunden zum Berater ist daher wichtig, auch wenn jedem klar sein muss, dass der Berater ein eigenes Interesse hat und nur eigene Produkte anbietet. Das ist beim Autohändler nicht anders. Der Kunde erfährt erst im Schadenfall, ob seine Versicherung und sein Berater wirklich gut sind. Aus England kennen wir Fälle eklatanter Fehlberatungen insbesondere im Lebensversicherungsbereich. Solche Schäden sind zwar schwer einklagbar für den Kunden, aber auch nicht gut fürs Image der Branche. Man sollte deshalb möglichst transparente und effiziente Dienstleistungen anbieten.
Wie beurteilen Sie die Qualität der Beratung?
Die Mehrheit der Beratungen ist gut. Das zeigen auch die guten Margen. Dies wiederum hat zwei Seiten. Böse Zungen könnten behaupten, der Kunde zahle zu viel.
Herrscht etwa zu wenig Wettbewerb in diesem Bereich?
Wie überall sonst gibt es natürlich auch im Versicherungswesen protektionistische Tendenzen. Ein hoher Regulierungsgrad ist hier wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch eine hohe Eintrittshürde für neue Wettbewerber. Mehr Wettbewerb, das ist fast eine Binsenwahrheit, sorgt in der Tendenz für mehr Effizienz und kleinere Margen, ist also durchaus im Sinn der Konsumenten.
Alle klagen über die hohen Krankenkassenprämien aber nur wenige wechseln die Kasse. Spielt Wettbewerb also gar keine so grosse Rolle im Versicherungswesen?
Vermutlich durchschauen viele Versicherte das Spiel. Oft lohnt sich ein Wechsel aufgrund des politisch gewollten Risikoausgleichs in der obligatorischen Grundversicherung gar nicht. Die Kasse, die heute günstig ist, weil sie gut gewirtschaftet hat, ist morgen wegen dem Lastenausgleich teurer. Es wäre eine interessante Forschungsfrage: Was lohnt sich auf lange Frist: wechseln oder bleiben?