Sus­tainable Fi­nan­ce: Nach­hal­tig­keit ge­samt­heit­lich den­ken

Kommentare27. Januar 2023

Im vergangenen Jahrzehnt sind im Bereich Sustainable Finance rasante Fortschritte erzielt worden. Ein nachhaltiges Anlagevolumen von knapp zwei Billionen Franken zeigt, dass es der Finanzwirtschaft ernst ist. Dabei geht es um mehr als nur um klimaneutrale Kapitalanlagen. Ganzheitlich gedachte Nachhaltigkeit braucht ein gelungenes Zusammenspiel von Finanz- und Realwirtschaft. Wie das erreicht werden kann, legt economiesuisse in einem Positionspapier dar.

«Nachhaltigkeit» ist mittlerweile ein inflationär verwendeter Begriff für alles und jedes. Wer den Begriff googelt, erhält innerhalb von 0,5 Sekunden mehr als 65 Millionen Einträge. Um das Schlagwort «Sustainable» kommt man dieser Tage ebenfalls nicht mehr herum. Das gilt gleichermassen für den Finanzsektor: «Sustainable Finance» ist in aller Munde. Auch der Bundesrat hat im Dezember 2022 einen Bericht dazu publiziert. Doch was steckt hinter dem Begriff? Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse beschäftigte sich auch unter Mitarbeit des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV mit dieser Frage.

Fast zwei Billionen nachhaltig investierte Anlagen

Klar ist: Die Finanzbranche hat durch die Steuerung von Finanzflüssen in nachhaltige Aktivitäten grosses Potenzial, Märkte zu verändern und Wirtschaftssysteme nachhaltig mitzugestalten. Und die Schweizer Finanzinstitute investieren zunehmend nachhaltig: Im Jahr 2021 erreichte das nachhaltig investierte Anlagevolumen in unserem Land fast zwei Billionen Schweizer Franken . Das ist knapp fünfzigmal mehr als noch vor zehn Jahren. Dazu implementieren Finanzdienstleister Leitlinien, zum Beispiel über die Ausübung des Stimmrechts. Diese dient Aktionärinnen und Aktionären von Unternehmen als Mittel, ihre Vorstellungen von einer guten und nachhaltigen Geschäftsführung zum Ausdruck zu bringen – und so Einfluss auf die Gesellschaften zu nehmen.

Viele Versicherungsunternehmen haben schon vor Jahren damit begonnen, ihre Kapitalanlagen unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien zu steuern oder ihre Portfolios entsprechend umzuschichten. Ein klassisches Beispiel sind Bestrebungen zur Klimaneutralität: So sind beispielsweise 17 Schweizer Privatversicherer Mitglied bei der Net-Zero Asset Owner Alliance (NZAOA). Sie verpflichten sich durch den Beitritt zur NZAOA, ihre Portfolios bis 2050 klimaneutral auszugestalten. Damit unterstehen heute bereits mehr als die Hälfte sämtlicher Kapitalanlagen der Schweizer Privatversicherer diesem Versprechen. Aber auch Versicherer, die der Allianz nicht beigetreten sind, verfolgen mittel- und langfristig das Ziel der Klimaneutralität.

Sustainable Finance

Es braucht einen gesamtheitlichen Ansatz

Bei Sustainable Finance geht es jedoch um weit mehr als nur um klimaneutrale Kapitalanlagen. In der heutigen Debatte um Klimaziele wird Nachhaltigkeit fälschlicherweise oft auf die ökologische Dimension reduziert, was dem umfassenden Charakter von Nachhaltigkeit nicht gerecht wird. Die 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele machen es deutlich: Nachhaltigkeit umfasst drei Dimensionen – ökologisch, sozial und ökonomisch. Nur eine stabile und innovative Wirtschaft ermöglicht es zum Beispiel, die notwendigen Mittel für die Dekarbonisierung zu erwirtschaften und neue, klimaverträglichere Technologien hervorzubringen.

Sustainable Finance beschreibt den Prozess, ganzheitlich ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Services im Finanzsektor im Besonderen zu berücksichtigen, und führt somit zu einer Kanalisierung von Finanzflüssen, zu nachhaltigem Wirtschaften und zu nachhaltigen Projekten. 

Definition gemäss der Europäischen Kommission

Um dies zu ermöglichen, sind eine marktorientierte Regulierung und ein steuermildes Umfeld unumgänglich. Die Leitlinien von economiesuisse sollen dabei als Leitschnur dienen. Der Staat setzt aber immer nur die Voraussetzungen für eine innovative Wirtschaft. Wohlstand wird von den Unternehmen und ihren Mitarbeitenden geschaffen. Entsprechend liegt der Fokus des Gesetzgebers neben seiner subsidiären Rolle in der Regulierung vor allem auch in der Schaffung von attraktiven Rahmenbedingen. Beispielsweise über die Einschränkung der staatlichen Verschuldung, um nicht via Steuern oder ein monetär labiles Umfeld die Innovationskraft der Unternehmen zu schmälern – Stichwort finanzielle Nachhaltigkeit.

Und genau dort spielen die Privatversicherer eine Vorreiterrolle: Sie haben auch in ihrem Kerngeschäft einen wichtigen Hebel. Der Schutz von Privat- und Firmenkunden vor Risiken, die sie in ihrer materiellen Existenz gefährden können, ist der Kernauftrag der Schweizer Versicherungsindustrie. So bietet sie Schutz vor allerlei Gefahren – von Überschwemmungen über Cyberrisken bis hin zu Krankheiten – und leistet damit einen Beitrag zu sozialer Absicherung und gesamtwirtschaftlicher Stabilität. Zudem unterstützt sie etwa die öffentliche Hand in der Prävention von Naturgefahren oder in der Gesundheitsvorsorge.

Hand in Hand mit der Realwirtschaft

Die Versicherer sind auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft ein zentraler Katalysator. Eine Abgrenzung einzelner Wirtschaftstätigkeiten in ein starres Schwarz-Weiss-System wird diesem Anspruch nicht gerecht. Verbotsdenken ist fehl am Platz: Regulatorische Einschränkungen von rechtlich zulässigen Geschäftsmodellen und Produkten unter dem Deckmantel von Sustainable Finance sind strikt abzulehnen. Im Gegenteil: Nachhaltige Versicherungs- und Finanzierungslösungen müssen Innovation ermöglichen und können Unternehmen, die sich im Wandel zu mehr Nachhaltigkeit befinden, gezielt bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen. Die Finanzbranche möchte sie bestmöglich auf diesem Weg begleiten und unterstützen.

Hierfür müssen aber die Rahmenbedingungen verbessert werden. Beispielsweise lässt die Verfügbarkeit, Qualität und Transparenz von nachhaltigen Anlage- und Investitionsopportunitäten noch zu wünschen übrig. Zudem führt das Monitoring und Reporting der eigenen Geschäftstätigkeiten nach verschiedenen Nachhaltigkeitskriterien zu hohen Transaktionskosten und administrativem Aufwand. Zwar tut die Finanzbranche schon heute enorm viel, um diese Herausforderungen zu adressieren. Zum Beispiel in Form des jährlich erscheinenden Nachhaltigkeitsreports der Schweizer Versicherungswirtschaft. Dennoch bestehen vielfach auch bürokratische Hürden.

Dem Anspruch Taten folgen lassen

Dass der Begriff «Nachhaltigkeit» überall kontinuierlich auftaucht, spiegelt die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Themas. Gerade auch im Finanzsektor. Wer aber nachhaltige Lösungen verkündet, muss ebenfalls aufzeigen, was sich hinter den Versprechen verbirgt. Dabei geht es nicht um Wortklauberei, sondern um die Schaffung von Mehrwert. Dies geschieht zum einen durch transparentes Darlegen der Positionen und der gesetzten Ziele und zum anderen dadurch, diese Ziele und Positionen in die Realität umzusetzen und dem Gesprochenen Taten folgen zu lassen. Das Positionspapier von economiesuisse ist ein gutes Beispiel dafür und bildet eine solide Grundlage, das Thema gesamtwirtschaftlich effizient und erfolgreich voranzutreiben.

Über das Positionspapier

Neben Definition und Zweck von Sustainable Finance wurden mit dem Positionspapier von economiesuisse auch sechs spezifische Leitlinien verabschiedet. Diese sollen ein erstes gesamtwirtschaftliches Fundament und richtungsweisend für alle Mitglieder des Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft sein. Zudem sollen die sechs Leitlinien eine proaktive, dynamische Positionierung in Einzelgeschäften ermöglichen.

Der Schweizerische Versicherungsverband SVV war als Mitglied von economiesuisse massgeblich an der Erarbeitung des Positionspapiers beteiligt und unterstützt die vorliegenden Leitlinien vollumfänglich.