Prä­si­di­al­re­de 2016 von Urs Ber­ger

KontextArchive22. November 2017

Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes

Generalversammlung, 30. Juni 2016
Neuchâtel
 

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen.

Willkommen zur diesjährigen Generalversammlung des Schweizerischen Versicherungsverbandes.
Einen ersten besonderen Gruss und Dank entbiete ich unseren Gastrednern. Wir freuen uns über den Auftritt von Ihnen, geschätzter Herr Bundesrat Maurer. Es ist uns eine Freude und Ehre, den Finanzminister unter uns zu wissen.
Herzlich begrüsse ich auch Nationalratspräsidentin Christa Markwalder. Wir sind stolz, dass Du mit Deinen Versicherungswurzeln das eidgenössische Parlament durch das Jahr 2016 führst.
Auch Ihnen, sehr verehrte Frau Porchet, gilt mein herzliches Willkommen. Ich bin schon gespannt auf Ihre Ausführungen. Sie werden den Schlusspunkt hinter unsere GV setzen.
Ich erlaube mir, wie jedes Jahr bevor unsere Gäste auf die Bühne kommen, einige einleitende Gedanken zu den Herausforderungen der Assekuranz mit Ihnen zu teilen. Diese beziehen sich üblicherweise ausführlich auf die Bedeutung unserer Branche für die gesamte Schweizer Volkswirtschaft und gipfeln dann jeweilen in einem Anforderungskatalog an Politik und Gesellschaft.

Lassen Sie mich dieses Schema dieses Jahr etwas durchbrechen: Da unsere Bedeutung hinlänglich bekannt sein dürfte, streife ich sie nur kurz und komme gleich auf die künftigen Herausforderungen der Versicherungswirtschaft zu sprechen. Dann leite ich über auf die Verantwortung, die wir deshalb tragen und auf die Rahmenbedingungen, die nötig sind, um diese Verantwortung wahrnehmen zu können.

Künftige Herausforderungen der Versicherer

Sehr verehrte Damen und Herren, die Versicherungen sind ein zentraler Bestandteil unserer Schweizer Volkswirtschaft und Teil des Lebens aller Menschen. Ich meine, wer kennt sie nicht, die manchmal lästigen Besuche der Versicherungsberater und wer schätzt sie nicht, die hochwillkommenen Schadenzahlungen nach Überschwemmungen beispielsweise. So muss ich nicht erwähnen, dass kaum etwas geht ohne Versicherungen. Das widerspiegelt sich ja auch in den Wirtschaftskennzahlen:

  • Bei der Wertschöpfung sind die Versicherer in den Top Ten der Branchen der Schweiz.
  • Bei der Produktivität liegen wir nach wie vor an der Spitze.
  • Mit einer Wertschöpfung von 26 Mrd. Franken machen die Versicherer deutlich mehr als 40 % des Finanzsektors aus. Sie sind damit ein überdurchschnittlich stabiler und solider Pfeiler auch für unsere Kundinnen und Kunden.
  • Zudem zählen wir zu den grössten Investoren dieses Landes.

Das war gestern, uns interessiert nun aber das «morgen»: der Wandel.

Technologie

Wir leben in einer Zeit, die stark von Wandel geprägt ist. Natürlich war das immer so, dass Veränderungen uns forcierten, die Businessmodelle weiter zu entwickeln. Nur derart schnelle, fundamentale Veränderungen in der Technolologie und im menschlichen Verhalten durchlebte die Menschheit wohl noch selten. Die Telematik lässt neue Generationen heranwachsen, die uns – in anderen Erfahrungen behafteten Entscheidungsträger – zu rasantem Umdenken zwingen. Ich habe da nicht nur an die ständige Vernetzung in der Kommunikation der Menschen vor Augen, ich denke auch an das «Internet of Things», in dem selbständig agierende Maschinen entstehen. Daraus erwachsen neue Risiken, aber auch grosse Chancen für die Versicherer. Ein Beispiel hierfür sind Roboter, die uns zwar Arbeiten abnehmen, nicht aber die Verantwortung für das Resultat – wie bei selbstfahrenden Autos etwa.

Digitalisierung, Cyber Risiken und Big Data

In das gleiche Kapitel gehören Digitalisierung und Cyber Risiken. Durch die Digitalisierung entstehen branchenfremde Konkurrenten, die unsere Wertschöpfungskette aufbrechen. Der digitale Weg schafft Grenzen ab und eröffnet neue Vertriebsmöglichkeiten. Mit dieser Entwicklung müssen wir uns dringlich auseinandersetzen.

Ein weiterer Aspekt zeigt sich im Umgang mit Daten. Big Data wird zur grossen Denksportaufgabe. Welche Daten sammeln wir? Was fangen wir mit ihnen an? Wo liegen die ethischen Grenzen in ihrer Verwendung? Und als wohl wichtigste Herausforderung: wie schützen wir unsere Daten und die unserer Kunden?

Cyber-Risiken sind real und setzen gerade bei der Assekuranz einen verantwortungsvollen Umgang damit voraus. Viele erwarten Schutz, nicht zuletzt von den Versicherern, und vermuten ein kommendes einträgliches Geschäftsfeld für Versicherungsprodukte. Obwohl wir ein immenses Potential und Bedürfnis von Unternehmen und Privatpersonen anerkennen, werden wir dies sehr vorsichtig angehen. Wir kennen die Bedrohungslage noch zu wenig und vor allem sind die Verantwortungen von Ländern, Unternehmen und Risikoträgern in der Abwehr von digitaler Kriminalität kaum definiert. Ohne gescheite schweizweite, ja sogar länderübergreifende Konzepte bleibt eine Versicherungsdeckung ein Husarenritt.

Klima

Der Klimawandel, ebenfalls entscheidend beeinflusst durch Verhaltensänderungen der Menschheit, produziert Elementarschäden, die künftig Ausmasse annehmen, die nicht mehr durch Versicherungen allein abgedeckt werden können. Wir sollten grösser denken, im Verbund mit der Politik, und strukturierte Finanzierungen für Naturkatastrophen kreieren. Mit unseren Erfahrungen im Risikomanagement und in der Risikomodellierung können wir nicht nur Massnahmen zur Anpassung identifizieren, sondern auch die Kosten benennen.

Studien zeigen, dass sich fast 70 Prozent der Schäden durch Klimaveränderung mit Anpassungs-Massnahmen – wie adäquaten Bauvorschriften oder Sensibilisierungs-Kampagnen – verhindern lassen. Hier werden wir mit unserem Wissen einen wichtigen Beitrag leisten. Mit zielführenden Produkten und angemessenen Prämien können wir zur Prävention beitragen. Wir müssen Risiko-Bewusstsein und Risiko-Management verkaufen in einer unsicheren Welt. Das fördert risikoadäquates Verhalten. Dazu ein Beispiel: Ich kann durchaus ein Haus in einer flutgefährdeten Region bauen. Ich muss es einfach entsprechend konstruieren. Ich kann sogar eine Garage einbauen. Dann muss ich mir aber überlegen, ob ich dort zusätzlich noch Anderes aufbewahren will. Denn das Auto kann ich in der Vorwarnzeit rausfahren und in Sicherheit bringen, anderes vielleicht nicht. Ich bringe ein Gegenbeispiel aus dem Berner Mattequartier. Die Matte wurde 1999 und 2005 überschwemmt. Der versicherte Gesamtschaden der Überschwemmung von 2005 war dreimal höher als 1999 – obwohl das Ausmass der Katastrophe in etwa dasselbe war. Grund dafür ist menschliches Verhalten. In den unter der Wasserlinie liegenden Räumen schiessen Büros und Werkstätten mit kostspieligen Computeranlagen wie Pilze aus dem Boden. Wir müssen dafür sorgen, dass Schäden nicht ins Unermessliche steigen. Davon profitieren die Versicherer und die Versicherten.

Demographie

Medizinische Fortschritte verbessern die Gesundheit. Der damit verbundene Demographiewandel gefährdet in der Altersvorsorge die Rentensicherung. Dies wird von der älteren Bevölkerung noch lange nicht akzeptiert und die Jungen foutieren sich mehr oder weniger um das Thema. Auch hier müssen alle Akteure eingebunden werden, damit die Schweiz nicht in eine Armutsfalle beim Grossteil der Pensionierten gerät. Unsere Aufgabe ist es, für diese Problematik zu sensibilisieren und kreative Lösungen anzubieten – als Versicherer aber auch als Arbeitgeber von 50'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Schweiz.

Damit bin ich beim Thema «Reform Altersvorsorge 2020». Bei den Überlegungen zur 1. und 2. Säule setzen wir uns nicht nur für unser weit über die Grenzen hinaus anerkanntes 3-Säulen-System ein, sondern auch für die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Versicherungsbranche. Das Geschäft der beruflichen Vorsorge muss weiterhin nach wirtschaftlichen Kriterien betrieben werden können, damit wir in der Lage sind, Garantien abzugeben. Viele technische Parameter sind heute politisch bestimmt und bilden nicht immer die finanzwirtschaftliche Realität ab. So ist der Umwandlungssatz eigentlich eine technische Grösse, die logischen, mathematischen Parametern folgen sollte. Heute herrscht die Wahrnehmung vor, dass mit einer Senkung des Umwandlungssatzes den Versicherten etwas weggenommen wird. In diesen Fragen argumentieren Betroffene natürlich sehr emotional. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Diskussion auf Fakten stützt und die technischen Parameter verstanden werden. Wir engagieren uns in der Diskussion mit Parlament und Regierung. In der öffentlichen Debatte werden wir als Partei mit Geschäftsinteresse wahrgenommen und halten uns weitgehend zurück.

Gesellschaftliche Verantwortung der Versicherer

Innovation

Die Schweizer Versicherer werden innovativ agieren und sich auch moderne Businessmodelle verordnen. Neue Formen des Risikotransfers, Investitionen in langfristige Infrastrukturprojekte, Public-Private-Partnership sind Entwicklungen, die mit Institutionen aus Politik und Wirtschaft gemeinsam geschaffen werden. Hier sieht der SVV ein wichtiges Terrain in der Verbandsaktivität. Hingegen gehören Produktinnovationen in der Lebens- oder Krankenversicherung, geeignete Präventionsmassnahmen oder Angebote in der Sharing Economie ins Pflichtenheft der einzelnen Gesellschaften. Hier muss der Markt spielen.

Kundenschutz

Der Kundenschutz ist eine eminent wichtige Aufgabe, der sich die Versicherer nicht erst heute verpflichtet fühlen. Es gehört zu unserer unternehmerischen Verantwortung, mit grösstmöglicher Sensibilität an Transparenz, Glaubwürdigkeit und Servicequalität zu arbeiten. Der Kunde will und muss wissen, woran er ist. In dieser Frage haben wir ein gutes Niveau erreicht. Eine Studie der Universität St. Gallen über Konsumentenschutz in der Versicherungsbranche, die letztes Jahr erschienen ist, attestiert uns, dass das Schutzniveau für die Versicherungskunden im Branchenvergleich hoch ist. Hingegen sollte die Kundeninformation einfacher und verständlicher sein. Diesen Punkt nehmen wir ernst.

Die sogenannte «Client Centricity» wie es so schön in Neudeutsch heisst, ist eine Herausforderung. Es ist ein fundamentaler Wandel im Gang, getrieben nicht zuletzt von der Digitalisierung. Wir Versicherer müssen – wie andere Wirtschaftszweige auch – umdenken. Die Kundenbedürfnisse ändern sich. Und wir müssen uns mit ihnen ändern. Das bedingt einen Paradigmenwechsel vom Produkt- und Distributionsdenken zum konsequenten Denken aus Kundensicht, das heisst weg von Produkten hin zu Lösungen in Lebenssituationen. Was will, was braucht der Kunde – «Pull» statt «Push» –, das ist eines der zentralen Anliegen.

Adäquate Rahmenbedingungen für Versicherer

Wir kämpfen in diesen Fragen für unternehmerische Freiheiten. Im Vordergrund steht dabei sicher auch die Auseinandersetzung mit Regulierung beziehngsweise Überregulierung. Darunter verstehen wir das starke Eingreifen in unsere Businesspläne und Geschäftstätigkeiten, nicht nur durch die Finma als Aufsichtsbehörde, sondern auch durch alle Gesetzgebungen, die uns immer neue Obligationen und Schranken auferlegen. Nota bene vielfach durch Behörden, die die Bedürfnisse von Versicherungskunden nur vom Hörensagen kennen. Das behindert die Innovation zu Gunsten unserer Kundinnen und Kunden. Dies schränkt aber auch unsere Wettbewerbsfähigkeit teilweise unnötig ein. Unser Anliegen heisst: optimaler Kundennutzen aus konkurrenzfähigen Businessmodellen. Wir haben daher den Dialog mit Konsumentenorganisationen, mit der Politik und der FINMA erheblich verstärkt. Bund, Regionen, Städte, die Wirtschaft – also wir selber – und die Aufsichtsbehörden sind gefordert, in diesen Fragen die Scheuklappen abzunehmen, aufeinander zuzugehen und zusammenzuarbeiten. Wir, die wir die Anliegen verstehen, wollen in der Diskussion um die Zukunft in den Lead gehen und die verschiedenen Stakeholder zusammenführen.

Daher kritisiere ich heute nicht, wie enorm der Swiss Finish beim Swiss Solvency Test in der Lebensversicherung gegenüber Solvency II der EU ins Gewicht fällt. Von uns werden viel höhere Kapitalanforderungen und eine striktere Handhabung bei weniger Flexibilität verlangt. Dies taten wir in den vergangenen Jahren oft und vehement. Wir gehen heute auf die FINMA zu und versuchen, in gemeinsamen Projekten die Rahmenbedingungen anzupassen. Wir müssen uns aber bei den Entscheiden für eine effektive Umsetzung auf die Unterstützung vom Bundesrat und schliesslich auch des Parlamentes verlassen können.

Damit habe ich den Kreis der Herausforderungen geschlossen und bin – nicht ganz überraschend – bei Ihnen angekommen, Herr Bundesrat Maurer. Ich übergebe nun das Wort unserem Finanzminister. Herzlichen Dank, dass Sie heute hier sind.