Pan­de­mie­ver­si­che­rung – Vor­sor­ge bei Gross­ri­si­ken

Kommentare02. Juni 2021

Ein Volks-Ja zum Covid-19-Gesetz ist kein Notrechts-Freibrief für den Bundesrat. Es ist der Auftrag, die Vorsorge gegen Grossrisiken systematisch anzugehen.

Es war der 3. April 2020 – die Schweiz hatte die ersten Wochen im Lockdown hinter sich –, als die Schweizer Privatversicherer an das EDI gelangten. Sie boten sich an, ihr bis ins letzte Tal unseres Landes verzweigtes Agenturnetz zur Verfügung zu stellen – als Gratisinfrastruktur für die damals noch in weiter Ferne liegenden flächendeckenden Corona-Tests. Ergebnis: eine höfliche Empfangsbestätigung des Departements, seither Funkstille aus den eidgenössischen Amtsstuben. 

31. März 2021: Nach intensiver Projektarbeit einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Verwaltung und der Versicherungswirtschaft beugt sich der Bundesrat über das Konzept für eine partnerschaftliche Versicherungslösung zum Schutz vor den Risiken künftiger Pandemien. Ergebnis: Order der Regierung zum Übungsabbruch. Wer sich mit Naturkatastrophen und anderen Grossrisiken auskennt, wähnt sich bei den beiden skizzierten Verhaltensmustern zur Krisenbewältigung in den 1990er Jahren. Schon damals tat sich die Politik im Umgang mit gesellschaftsbedrohenden Risiken schwer. Die obligatorische Elementarschadenversicherung kam seinerzeit massiv in Bedrängnis. 

Ein Jahrzehnt ohne grössere Schadenereignisse hatte gereicht, um in der Politik die Diskussion über die Notwendigkeit dieser Naturgefahrenversicherung zu entfachen. Vergessen schien die vorher während eines halben Jahrhunderts bewiesene Effizienz der Pool-Lösung. Der 1999 schweizweit tobende Sturm «Lothar» und das enorme Hochwasser von 2005 bereiteten dem Ruf nach Zweckentfremdung der Prämien jedoch rasch ein Ende. Heute wird der Schweiz attestiert, das am besten auf Naturkatastrophen vorbereitete Land der Welt zu sein. Dank Raum- und Nutzungsplanung, Präventionsmassnahmen und wegen des bewährten, auf Solidarität zwischen Versicherten und Versicherern beruhenden Ausgleichssystems. 

Das Erfolgsrezept liegt also auf dem Tisch, nur nimmt es die Politik bei der Auswertung der Pandemie nicht zur Hand. Das Hochwasser 2005 hat uns drei Milliarden Franken gekostet. Ein Klacks im Vergleich zum Schadenpotenzial heute drohender Grossrisiken wie Stromengpässe, Cyberattacken oder Masseninfektionen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass man gleich schon beim ersten Eintreten eines derartigen Toprisikos den Kopf in den Sand stecken soll. Im Gegenteil. Die Politik tut trotz andauernder Pandemie gut daran, den Krisenmodus abzulegen und sich nun rasch mit der Umsetzung des ganzheitlichen Risikomanagements für die Zukunft zu befassen. Mit dem Bericht zur nationalen Risikoanalyse haben die Experten des Bundes im Herbst 2020 alle Grundlagen aufgezeigt: «Vorbeugung» wird als Zusammenspiel zwischen Prävention und Vorsorge definiert. Daran hat sich der Bundesrat bei seinem kürzlich geäusserten Nein zur Pandemieversicherung nicht mehr erinnert; ebenso wenig wie an den Fakt, dass seine Spezialisten aus dem VBS auch Versicherungslösungen der Vorsorge vor neuen Gefahren zuordnen. Die bundesrätliche Losung «Vorsorgen statt versichern» trifft also eben gerade nicht zu. Umfassende Vorbeugung gegen Grossrisiken zeichnet sich vielmehr durch ein Sowohl-als-auch aus und ist das Gegenteil einer Schuldenpolitik zulasten der kommenden Generationen. Mit dem Konzept des integralen Risikomanagements betreibt der Bund viel Aufwand, um erkannte Risiken wie Pandemien, Strommangellagen oder Naturgefahren auf ein vertretbares Mass einzudämmen. Das Signal, das der Bundesrat mit seinem Nein zu einer Pandemieversicherung aussendet, ist fatal: Der Risikobericht 2020 verkommt zum Papiertiger, und zweckmässige Lösungsvorschläge wandern ins Archiv. 

Der Bundesrat argumentiert mit fehlendem Interesse der Wirtschaft, Vorbehalten gegenüber einem möglichen Obligatorium, verfassungsrechtlichen Bedenken und der Sorge um eine Ausweitung der Staatstätigkeit. Diese Argumente überzeugen nicht. Es gibt gute Gründe dafür, das Projekt Pandemieversicherung weiterzuverfolgen. Das Versichern von Risiken ist Bestandteil der finanziellen Vorsorge. Versicherungen sorgen für Planungssicherheit und geordnete Schadenabwicklung. 

In der Corona-Krise hat der Staat mit seinem Instrumentenkasten aus Härtefallmassnahmen, Kurzarbeitsentschädigung und Erwerbsersatz die Rolle eines Versicherers übernommen. Nur hat er dafür keine Prämien im Voraus erhoben, sondern gibt die Last an den Steuerzahler und an die kommenden Generationen weiter. Zwischenstand: 60 bis 70 Milliarden Franken. Das ist weder nachhaltig, noch inspiriert es die Bevölkerung zur Selbstvorsorge für den nächsten Krisenfall. 

Dem Nein des Bundesrats zur Pandemieversicherung haftet eine Fehleinschätzung an. Die Diskussion muss und wird weitergehen, nicht nur in den Expertenpanels der Bundesverwaltung, sondern auch im Parlament und im Volk. Dabei wollen auch die Schweizer Privatversicherer weiterhin ihr fachliches Know-how in den für unser Land unerlässlichen Risikodialog einbringen.

Dieser Kommentar ist am 02.06.2021 in der NZZ erschienen.