Ver­si­che­rer be­wei­sen ih­re Leis­tungs­fä­hig­keit im an­spruchs­vol­len Um­feld

NewsArchive22. November 2017

Urs Berger, Präsident des SVV

Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes
Medienkonferenz, 2. Februar 2017
Zürich

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Sehr geehrte Damen und Herren

Herzlich willkommen zur Jahresmedienkonferenz 2017 des Schweizerischen Versicherungsverbandes.

Zu Beginn werde ich Bilanz ziehen über das vergangene Geschäftsjahr der Schweizer Privatversicherungen und die wichtigsten politischen Herausforderungen kommentieren. Im Anschluss werden sie Ivo Furrer und Joachim Masur, Vorstandsmitglieder des SVV, sowie Thomas Helbling, unser neuer Direktor, mit kurzen Impulsreferaten über unsere Positionen zur Reform der Altersvorsorge, zu Klima und Energie und zum Datenschutz bzw. der Digitalisierung informieren. Im Anschluss haben Sie Gelegenheit, die Themen, je nach ihrer Präferenz, in kleinen Gruppen zu vertiefen.

Tiefe Zinsen und hohe Kapitalanforderungen drücken auf das Lebengeschäft

Den Lebensversicherern machen, mehr als den anderen Versicherungsbereichen, die tiefen Zinsen und die hohen Kapitalanforderungen zu schaffen. Das Prämienniveau ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich, um 6%, zurückgegangen. Ich habe Ihnen das vor Jahresfrist an dieser Stelle vorausgesagt. Die Prämien waren sowohl im Einzel-Leben wie im Kollektiv-Lebengeschäft rückläufig. Die Lebensversicherer können kaum noch Zinsgarantien abgeben. Zudem macht der Kostendruck verschiedene Produkte im Lebenbereich schlicht zu uninteressant für die Kunden und für die Versicherer. Die Rendite auf den Produkten reicht nicht mehr aus, um die Verwaltungskosten zu decken und das Risiko angemessen zu entschädigen.

Im Kollektiv-Lebengeschäft sind Vollversicherungslösungen immer noch gefragt. Die Lebensversicherer übernehmen in der beruflichen Vorsorge einmalige Garantien – dies im Gegensatz zu den Pensionskassen. Vor allem Kleine und Mittlere Unternehmen sind darauf angewiesen, die Risiken der beruflichen Vorsorge an die Lebensversicherungen abgeben zu können. Auch hier machen es die hohen Kapitalanforderungen und vor allem das tiefe Zinsniveau den Lebensversicherern nicht leicht, das Angebot aufrechtzuhalten. Die fehlende Attraktivität zeigt sich im Rückgang der Einmalprämien.

Einzel-Lebensversicherungen mit Einmalprämien sind mit fast 30% stark rückläufig. Fehlende Zinsversprechen machen sie unattraktiv. Die Risikoversicherung ist hingegen weiterhin wichtig. Im Einzelleben mit periodischen Prämien bleiben die Lebensversicherungen mit Risikodeckung und regelmässigem Sparen gefragt und halten sich weiter stabil. Die fondsgebundenen Produkte sind wegen der tiefen Zinsen und der volatilen Märkte wenig interessant.

Schadenversicherer wachsen weiter

Im Schadenbereich konnten sich die Versicherer behaupten. Sie wuchsen im Schnitt nur leicht unter dem Niveau des schweizerischen Bruttoinlandproduktes, das das SECO auf 1.5% prognostiziert. Die Personenversicherungen legten mit 1.7% leicht stärker zu als die Sachversicherungen mit 0.5%. Der Schadenverlauf lag 2016 im Schnitt vergangener Jahre. Trotz höherer Unwetterschäden im zweiten Quartal resultierte über das ganze Jahr gesehen im Mehrjahresvergleich eine günstige Elementarschadenbelastung.

Der Motorfahrzeugbereich konnte erneut zulegen. Mehr Fahrzeuge und Neuzulassungen haben zu diesem weiteren Wachstum beigetragen, wobei die Prämien in diesem Segment weiter unter Druck blieben. Auch die übrigen Schadenversicherungen, insbesondere die Rechtsschutzversicherungen und Versicherungen gegen verschiedene finanzielle Verluste konnten wachsen. Die Feuer-, Elementar- und Sachschadenversicherungen hingegen litten unter dem Preisdruck.

Die Personenversicherungen entwickelten sich wie gesagt erfreulich. Zusatzversicherungen über die obligatorischen Versicherungen hinaus, blieben gefragt und legten sowohl im Unfall- wie im Bereich der Krankenzusatzversicherung um fast 2% zu.

Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass die Schweizer Privatversicherer nach wie vor sehr solide unterwegs und leistungsfähig sind. Sorgen bereiten ihnen nach wie vor die tiefen Zinsen und die hohen Kapitalanforderungen, die auf die Margen drücken und die Attraktivität schmälern. Dies setzt insbesondere dem Lebengeschäft zu. Der SVV wird auch in diesem Jahr seine Anstrengungen weiterführen Politik, Verwaltung und Aufsicht davon zu überzeugen, dass angemessene Kapitalanforderungen nicht nur im Interesse der Prosperität der Versicherungsbranche sind, sondern der gesamten Schweizer Volkswirtschaft.

2017 – ein Jahr des Wandels

Lassen Sie mich damit auf 2017 und die folgenden Jahre blicken. Ich spanne den Bogen damit weiter als üblich. Denn ich bin überzeugt, dass wir vor einer Zeitenwende stehen mit vielen Unsicherheitsfaktoren. Auf diese Herausforderung müssen wir reagieren, auch wenn wir heute noch nicht alle Antworten kennen. Die Herausforderungen betreffen sämtliche Bereiche des Lebens, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft.

Seit zwei Wochen haben die USA einen Präsidenten, der der Welt unter Umgehung der vierten Macht via Twitter mitteilt, was er für Recht und was für Unrecht hält, einen Präsidenten auch, der mit Tweets Aktienkurse beeinflusst und mit Dekreten weltweit für Verunsicherung sorgt. Da ist China. Wir haben während des Staatsbesuchs des Präsidentenpaares das neue Selbstbewusstsein des Reiches der Mitte erlebt, das uns – trotz Freihandelsabkommen und Renminbi-Hub – nicht geheuer ist ob seiner schieren Grösse und seines Umgangs mit Menschenrechten. Da ist der Präsident Russlands, der mit Freuden, so scheint es, neue Spannungen schürt. Zunehmend sind sich Staaten selbst am nächsten. Sie schotten sich ab, unterminieren den freien Handel und damit den Wohlstand. Da ist Grossbritannien. Premierministerin May hat in ihrer Grundsatzrede Mitte Januar den vollständigen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ausgesprochen. Dies dürfte die Welt- und Marktordnung wesentlich verändern – auch die Rahmenbedingungen für die global tätigen Versicherer der Schweiz.

Globale Herausforderungen und Level-Playing-Field

Die international ausgerichteten Versicherer, allen voran die Industrie- und Rückversicherer, sind auf einen reibungslosen globalen Marktzugang angewiesen. Sie erzielen den grössten Teil ihres Prämienvolumens im Ausland. Für sie wird entscheidend, dass die Schweiz mit Grossbritannien ein Marktzugangsabkommen aushandelt, das die Chancen der Schweizer Versicherer im weltweiten Geschäft nicht kompromittiert.

Wichtig ist auch, wie sich die Schweiz positioniert, wenn das Versicherungsabkommen zwischen der EU und den USA ratifiziert wird, womit durchaus zu rechnen ist. Tritt das sogenannte «Covered Re/Insurance Agreement» in Kraft, müssen europäische Versicherer in den USA ihrem Geschäft weniger Kapital unterlegen als Schweizer Versicherer. Die global tätigen Schweizer Versicherer dürfen hier kein Nachsehen haben. Die Politik ist gefordert. Bereits früher sind es die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger: Für den Bestand und die Weiterentwicklung des Rückversicherungshubs Zürich ist – das betone ich hier ausdrücklich – der positive Ausgang der Abstimmung zur USTR III entscheidend. Das Steuersubstrat, aber auch die Konzentration an Fachkräften und Fachwissen dürfen Zürich und der Schweiz nicht verloren gehen.

Die meisten Schweizer Lebens- und Schadenversicherer sind im Privatkundengeschäft ausschliesslich im Binnenmarkt tätig. Das grenzüberschreitende Geschäft ist ihnen untersagt. Sie stimmen der Marktöffnung erst zu, wenn ein Level-Playing-Field mit der ausländischen, insbesondere der EU-Konkurrenz herrscht. Von einem Level-Playing-Field sind wir bei den Kapitalanforderungen jedoch weit entfernt. Diese sind in der Schweiz nach wie vor bis zu zweimal so hoch wie in der EU. Sicherheit und Verlässlichkeit sind bedeutende Merkmale der Schweizer Wirtschaft – auch der Versicherungsbranche. Der Preis dafür – eben die Kapitalanforderungen –, muss aber gegenüber dem Ausland in einem angemessenen Verhältnis bleiben. Allen Versicherungsbereichen gemein sind weiterhin die Herausforderungen, die das Tiefzinsumfeld bietet.

Entsolidarisierung der Gesellschaft verhindern

Wir müssen uns vor einer Entsolidarisierung der Gesellschaft hüten. Das sage ich als Mensch, aber auch als Vertreter der Branche, für die Solidarität das grundlegende Prinzip ist. Hier müssen wir auch in unserem ureigenen Geschäft sorgfältig sein, verantwortungsvoll und gesamtheitlich und weitgreifend denken und handeln. Die zunehmende Digitalisierung bietet Chancen und Gefahren, mischt Spielregeln neu auf. Es stellt dabei auch das Prinzip «Solidarität» immer mehr in Frage. Ein Stichwort hierzu sind individualisierte Tarife auf der Basis von individuellem Verhalten.

Auf viele dieser Herausforderungen haben wir heute noch keine Antworten. Aber wir setzen uns intensiv mit ihnen auseinander und arbeiten an ihnen. Auf manche Fragen haben wir aber bereits Antworten, wie beispielsweise mit der Reform der Altersvorsorge. Ivo Furrer wird ihnen anschliessend den aktuellen Stand aus Versicherungssicht darlegen. Das übergeordnete Thema der alternden Gesellschaft bedarf jedoch noch weiterführender Gedanken, um es in seiner ganzen Dimension zu erfassen und anzugehen. Bei anderen Themen haben wir die Auslegeordnung gemacht. Zum Beispiel beim Klimawandel. Was er für die Versicherer bedeutet, erläutert Ihnen Joachim Masur. Die Digitalisierung ist, um es mit Fontane zu sagen, «ein weites Feld». Ein zentrales Thema sind die Cyber-Risiken. Und auch der Datenschutz muss neu gedacht werden. Unsere ersten Überlegungen zur Vernehmlassung des Datenschutzgesetzes von Thomas Helbling.