Ver­si­che­rer be­haup­ten sich in schwie­ri­gem Um­feld

NewsArchive22. November 2017

Urs Berger, Präsident des SVV

Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes
Medienkonferenz, 3. Februar 2016
Hotel Marriott, Zürich

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Sehr geehrte Damen und Herren

Herzlich willkommen zur Jahresmedienkonferenz 2016 des Schweizerischen Versicherungsverbandes.

Zu Beginn werde ich wie gewohnt Bilanz ziehen über das Geschäftsjahr 2015 der Schweizer Privatversicherungen und unsere wichtigsten politischen Herausforderungen 2016 kommentieren. Im Anschluss werden Antimo Perretta, der Vizepräsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes, Ivo Furrer, Vorstandsmitglied des SVV sowie Lucius Dürr, Direktor des SVV, mit kurzen Impulsreferaten in unsere Positionen zum Marktzugang mit der EU, zur Reform der Altersvorsorge und zum Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) einführen.

Geschäftsentwicklung 2015

Lassen Sie mich mit einer Gesamtwürdigung der aktuellen Lage der Schweizer Versicherungswirtschaft beginnen, kurz: Die Privatversicherungen sind weiterhin solide unterwegs. Das Geschäftsjahr 2015 verlief trotz schwieriger Rahmenbedingungen erfolgreich – ich erinnere an das anspruchsvolle Marktumfeld mit niedrigen, ja sogar mit Negativ-Zinsen.

Bei den Lebensversicherern zeichnet sich nach dem leichten Rückgang im Vorjahr eine Stagnation ab. Die Bruttoprämien der Lebensversicherungen dürften sich 2015 auf 32,6 Milliarden Franken belaufen. Damit sind wir angesichts des anspruchsvollen Umfelds zufrieden.

Im Kollektiv-Lebenbereich ist das Vollversicherungsmodell immer noch gefragt. Denn im Gegensatz zu den Pensionskassen übernehmen die Lebensversicherer in der beruflichen Vorsorge einmalige Garantien. Insbesondere Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) sind darauf angewiesen, die mit der beruflichen Vorsorge verbundenen Risiken an die Lebensversicherungen abgeben zu können. Auch beeinflusst die mässige Entwicklung der Wirtschaft und der Löhne das Wachstum in diesem Bereich. Die tiefen Zinsen aber machen verschiedene Produkte, insbesondere im Einzel-Lebengeschäft mit Einmaleinlagen für Kunden unattraktiv. Hinzu kommt die Zunahme der Regulierung – insbesondere die hohen Eigenkapitalanforderungen der Schweiz im Vergleich zur EU –, die auf die Kosten der Lebensversicherer drückt. Die Einzel-Lebensversicherung bleibt jedoch als Risikoversicherung trotz der tiefen Zinsen weiterhin gefragt.

Die Schadenversicherungen rechnen nach der Nullrunde im letzten Jahr mit einem Prämienzuwachs von einem halben Prozent. Der Schadenbereich wuchs damit leicht unter dem Bruttoinlandprodukt. Im Motorfahrzeugbereich wuchsen die Prämien insbesondere aufgrund der Anzahl Neuzulassungen bei den Personenwagen. In der Zunahme bei den Elementar-, Feuer- und Sachschadenversicherungen widerspiegeln sich die Bauinvestitionen, die Bevölkerungsentwicklung und die Kaufkraft. Die übrigen Sachversicherungen, wie die allgemeine Haftpflicht- und die Transportversicherungen, sind einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Das Volumen bei den Personenversicherungen ist leicht gesunken. Wir sprechen hier nur vom Zusatzgeschäft – für die obligatorische Grundversicherung ist der SVV nicht zuständig.

Insgesamt kann ich festhalten, dass die Schweizer Privatassekuranz mit soliden Finanzergebnissen, leichtem Prämienwachstum und Fortschritten in der Kosteneffizienz im Jahr 2015 einmal mehr bewiesen hat, dass sie solid und leistungsfähig ist. Zudem blieben die Zahlungen für versicherte Schäden leicht unter dem Mehrjahresvergleich. Die teuren Unwetter im Mai und Juni blieben die grössten Elementarereignisse in unserem Land.

Die Kapitalbasis der Versicherer ist weiterhin sehr stark. Das erwartete geringe Wachstum der Schweizer Wirtschaft und des Wohlstands wird sich aber auch auf das Versicherungsgeschäft auswirken. Wir müssen mit geringeren Prämieneinnahmen in gewissen Geschäftsbereichen rechnen. Trotzdem können wir guten Mutes in die Zukunft blicken und weiterplanen – für unsere Kunden, für unsere Unternehmen und Mitarbeiter und für die gesamte Volkswirtschaft.

Versicherungen sind Bestandteil des täglichen Lebens und Wirtschaftens

Was oft vergessen geht, sei hier einmal mehr angesprochen: Die Versicherungen sind ein zentraler Bestandteil unserer Schweizer Volkswirtschaft. Versicherungen werden überall gebraucht. Denken Sie an Ihre Krankenkasse, Ihre Unfallversicherung, Ihre Pensionskasse. Erinnern Sie sich an den letzten Diebstahl oder Unfall im Strassenverkehr, den Sie zu verschmerzen hatten, an den Moment, da Ihre Haftpflichtversicherung zum Zuge kam oder Sie Ihren Partner oder Ihre Kinder absichern wollten. Auch Unternehmen können ohne Versicherungen nicht frei agieren. Für den Wohlstand unseres Landes sind sie unabdingbar.

Bei der Wertschöpfung sind die Versicherer in den Top Ten der grössten Branchen der Schweiz. Bei der Produktivität liegen wir nach wie vor an der Spitze. Wir sind mit einer Wertschöpfung von 26,1 Milliarden Franken (2014) oder einem Anteil von 4,2 % an der Gesamtwirtschaft – so die BIP-Prognose 2014 des Bundesamts für Statistik – ein wichtiges Standbein der Schweizer Volkswirtschaft.

Der Versicherungsbereich macht über 43 % des Finanzsektors aus und ist ein über- durchschnittlich stabiler und solider Pfeiler dieses Sektors und damit auch für unsere Kundinnen und Kunden. Das hat sich insbesondere in der jüngsten Finanzkrise gezeigt, die wir weitgehend unbeschadet überstanden haben. In den letzten 20 Jahren erzielten die Versicherer ein überdurchschnittliches Wachstum in ihrer Wertschöpfung: Während das Bruttoinlandprodukt der Gesamtwirtschaft jährlich um 1,7% zulegte, konnten die Versicherungen ein mehr als doppelt so hohes jährliches Plus von 4,3% erzielen – verglichen mit 1,5% der Banken. Die Versicherungen sind ausserordentlich effizient und produktiv: Die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde beträgt 241 Franken, bei den Banken sind es 118 Franken, in der Gesamtwirtschaft 81 Franken. Die Versicherungen sind auch ein wichtiger Arbeitgeber in diesem Land: Wir beschäftigen fast 50’000 Menschen und bilden 2’000 junge Menschen aus. Das ist ein klares Bekenntnis zum dualen Bildungssystem, das wir auch mit dem zum SVV gehörenden Berufsbildungsverband der Versicherungswirtschaft VBV aktiv stützen.

Was uns für die Zukunft Sorgen bereitet ist der Fachkräftemangel, der sich abzeichnet. Unsere Branche ist weiterhin auf Fachkräfte aus dem EU-Ausland und aus Drittstaaten angewiesen. Da machen mir das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative und ihre Umsetzung schon Bauchweh. Woher sollen wir, aber auch andere Wirtschaftszweige, genügend Fachpersonal hernehmen? Eine Verakademisierung der Gesellschaft ist da kein geeigneter Lösungsansatz. Das ist wider unser duales Bildungssystem und nicht zielführend. Der Erhalt der bilateralen Verträge mit der EU und neue Modelle im Bereich von Genderfragen sind deshalb ausserordentlich wichtig.

Nicht vergessen möchte ich an dieser Stelle unsere Kraft als Steuerzahler: Die Versicherungen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zahlten 2014 fast 4 Milliarden Franken Steuern. Das ist mehr als die gesamten Bundesausgaben für unsere Beziehungen zum Ausland.

Genug der Zahlen. Lassen sie mich, bevor ich zu meinen Kollegen überleite, die Themen kurz ansprechen, die uns auch 2016 am meisten fordern werden.

Kundeninteressen und Augenmass in der Regulierung im Zentrum

Unser Geschäft wird immer komplexer. Wir stehen vor verschiedensten Herausforderungen – ich nenne hier nur die Zunahme der Regulierung, den demographischen Wandel, die Digitalisierung der Wirtschaft und unser Verhältnis zur EU. Das stellt hohe Ansprüche an unsere fachliche Kompetenz, aber auch an unsere Fähigkeit, die vielen Entwicklungen in ihrem Kontext zu verstehen, sie strategisch einzuordnen und im Interesse unserer Kundinnen und Kunden weiterzuverfolgen.

Ich erachte es daher als zentral, dass die Wirtschaft, nicht nur wir Versicherer, eine klare Vorstellung darüber entwickeln, wo neue Ansätze und Wege den Kundennutzen steigern und für beide Seiten – Unternehmen und Kunden – wertsteigernd sind. Innovation ist eine der wirkungsvollsten Antworten auf die Regulierung. Innovation, nicht Vorschriften, die einengen, hat den Fortschritt ermöglicht, den wir alle schätzen. Als Unternehmer brauchen wir Freiräume, um innovations- und wettbewerbsfähig zu bleiben und die Wachstumsdynamik zu erhalten. Das wiederum ist nötig, um unseren hohen Wohlstand zu erhalten. Aber, lassen sie mich das klar sagen: Wir sind nicht gegen Regulierung. Wir sind für Regulierung mit Augenmass, das heisst wir dürfen uns nicht zu Tode regulieren, nur um Einzelfälle in den Griff zu bekommen. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind das Zentrum unseres Wirtschaftens, aus ihnen ziehen wir unsere Daseinsberechtigung. Deshalb ist auch ihr Schutz und entsprechend die Regulierung wichtig. Wo wir Lücken orten, bieten wir Hand zu sinnvoller Regulierung. Zudem warten wir nicht einfach auf den Staat, sondern handeln auch von uns aus im Rahmen der Selbstregulierung. Nicht immer sind zusätzliche Bestimmungen nötig. Direktor Lucius Dürr wird sich dazu äussern. Auch meine beiden Vorstandskollegen werden in ihren Voten Themen ansprechen, wo wir uns im Spannungsfeld Kundenschutz, Regulierung und Kosten bewegen und Ihnen aufzeigen, wie wir uns in den politischen Diskurs einbringen.

Eine weitere, wenn nicht die grösste Herausforderung, nicht nur für uns Versicherer, sondern für alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche, ist der demographische Wandel und insbesondere die Alterung der Gesellschaft. Sie stellt die Altersvorsorge und das Gesundheitswesen fundamental auf die Probe. Dabei sollten wir uns nur leisten, was wir auch nachhaltig finanzieren können. Bei der Altersvorsorge und im Gesundheitswesen sollten wir deshalb mehr Gewicht auf Anreize zur Eigenverantwortung legen, statt die Leute zu bevormunden. Die freie Wahl von Grund- und Zusatzversicherung sowie auch die freie Arztwahl sind Schritte in die richtige Richtung im Gesundheitswesen. Über unsere Position in der Altersvorsorge wird sie mein Vorstandskollege Ivo Furrer informieren. Unsere Haltung in der Abstimmung zur «AHV plus»-Initiative müssen wir nicht weiter ausführen.

Für uns Versicherer, ich habe es gesagt, ist auch das Verhältnis zur EU bedeutend. Nicht nur, um dem Fachkräftemangel, den wir sturzbachartig auf uns zukommen sehen, zu begegnen, sondern auch in der Regulierung der Eigenkapitalvorschriften.

Gerade in dem Tiefzinsumfeld, in dem wir uns seit Jahren bewegen, ist es wichtig, dass wir mit unseren Konkurrenten aus der EU mit gleich langen Spiessen kämpfen können. Überhaupt ist dies eine der strategisch wichtigen Fragen für die Schweiz: Welches Sicherheitsniveau wollen wir im Versicherungsbereich? Bei den Lebensversicherungen sind die Kapitalanforderungen im Swiss Solvency Test im Vergleich mit der europäischen Solvenz II viel zu hoch. Ist die Schweiz zu streng? Oder die EU zu lasch? Es wird für uns interessant werden, dieses Thema mit dem neuen Finanzminister und dem neuen Verwaltungsratspräsidenten der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) zu besprechen. Denn diese Frage können nicht die Versicherer lösen, die Politik muss sich hier Gedanken machen.

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