«Schul­den sind we­der gut noch schlecht»

News28. Juni 2022

Rund 220 Gäste aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Politik haben sich am 24. Juni 2022 zum «Tag der Versicherer» im KKL Luzern getroffen. Sie erlebten ein spannendes Referat des Politökonomen Christoph A. Schaltegger zur finanziellen Nachhaltigkeit, eine inspirierende Podiumsdiskussion sowie aufrüttelnde Worte von Finanzminister Ueli Maurer, wie unser Autor Daniel Schriber zu berichten weiss.

Unter dem Titel «Mein Kanton – unsere Schweiz» lancierte die Post diesen Frühling einen neuen Briefmarkenbogen. Die Marken stehen für die Einzigartigkeit eines jeden Kantons und sollen die Vielfalt der Schweiz zeigen. Die Luzerner Sondermarke besteht aus dem Kantonswappen und dem ortstypischen Begriff «rüüdig». «Wie der Luzerner Regierungsrat Paul Winiker mitteilte, handelt es sich dabei um eine Aufforderung, in Luzern die fünfte Jahreszeit – also die Fasnacht – zu besuchen», sagte Rolf Dörig, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV, anlässlich seiner Rede im KKL. «Wir sind dieser Aufforderung gerne nachgekommen – auch ohne Fasnacht.» Gelohnt hat sich die Reise für die rund 220 Gäste alleweil. Auf sie wartete ein spannendes Programm mit mehreren Höhepunkten.

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Christoph Mäder (Präsident economiesuisse), Rolf Dörig (Verwaltungspräsident Swiss Life und SVV-Präsident).

Finanzielle Nachhaltigkeit geht oft vergessen

Im prächtigen Kultur- und Kongresszentrum drehte sich alles um einen Begriff, der zwar in aller Munde ist, dessen ganzheitliche Bedeutung aber nur selten erfasst wird. Wird heute von Nachhaltigkeit gesprochen, dreht sich die Diskussion meist um Umweltthemen. Die ökologische Nachhaltigkeit sei wichtig, betonte Rolf Dörig. Darüber hinaus seien jedoch zwingend auch die weiteren Dimensionen dieses Begriffs zu beachten. «Finanzielle und gesellschaftliche Nachhaltigkeit sind Voraussetzungen für die ökologische Nachhaltigkeit.» Diese Meinung teilt auch Professor Christoph A. Schaltegger. «Wir müssen den Begriff aus der wohlfühligen Technokratensprache übersetzen und auf die aktuelle Situation übertragen», lautete die pointierte Forderung des vielzitierten Wirtschaftswissenschafters der Universität Luzern.

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Martin Kaiser (Swiss Life), Markus Leibundgut (CEO Swiss Life Schweiz), Prof. Dr. Christoph Schaltegger (Universität Luzern).

Auf Verwendung und Menge der Schulden kommt es an

In seinem Inputreferat unter dem Titel «Steigende Staatsverschuldung: ein Härtetest für die Nachhaltigkeit» beleuchtete Schaltegger explizit die finanzpolitische Dimension der Nachhaltigkeit – und damit ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion oft zu kurz kommt. «Die immensen Ausgaben der Coronapandemie haben die weltweiten Schulden auf ein Rekordniveau ansteigen lassen», sagte Schaltegger. Die entscheidende Frage sei derweil nicht, ob Staaten Schulden machen sollten – sondern vielmehr, wie viel Schulden sie machen sollten und wofür sie das geliehene Geld ausgeben. Dabei gehe es letztlich um die Nachhaltigkeit des Staatshaushalts. Schalteggers Fazit: «Schulden sind weder gut noch schlecht, auf deren Verwendung und die Menge kommt es an.» Dass Staatsschulden Risiken beinhalten, führte er am Beispiel der Sozialversicherungen aus – allen voran die AHV. «Anstatt einseitig kurzfristige Finanzierungsspritzen zu gewähren, müsste eine Reform den demografischen Trend nachvollziehen, dass wir alle länger leben und es immer weniger Erwerbstätige pro Rentner gibt, die die AHV finanzieren.»

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Urs Berger (Verwaltungsratspräsident Die Mobiliar), Valentin Vogt (Präsident Arbeitgeberverband), Katja Gentinetta (Politphilosophin).

Druck der Stakeholder steigt

Die Ausführungen von Christoph A. Schaltegger waren nicht nur spannend, sie weckten auch das Diskussionsbedürfnis. Mit ihm selbst, Katja Gentinetta (Politphilosophin), Jan Jenisch (CEO Holcim) und Juan Beer (CEO Zurich) diskutierte ein hochkarätiges Quartett mit unterschiedlichsten Hintergründen zum Begriff Nachhaltigkeit. So betonte etwa Jan Jenisch, dass das Thema in der Realwirtschaft zwar schon lange bekannt sei, jedoch erst seit einigen Jahren ernsthaft gelebt werde. Kein Unternehmen könne es sich heute noch erlauben, sich nicht mit ESG (Environmental, Social, Governance) zu befassen. «Diesbezüglich steigt auch der Druck unserer Stakeholder», sagte Jenisch. Die Schweizer Baubranche sei diesbezüglich gut unterwegs. «Wir verfügen über den nachhaltigsten Baumarkt der Welt.»

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Thomas Bahc (CEO Youplus Assurance Schweiz AG), Juan Beer (CEO Zurich Schweiz und SVV-Vizepräsident), Thorsten Schneidewind (CEO Orion Rechtschutzversicherung AG), Martin Lorenzon (Ombudsman der Privatversicherung und der Suva).

Auf die Frage des Moderators Rob Hartmans, ob die finanzielle Nachhaltigkeit durch die Versicherungswirtschaft gesteigert werden könne, führte Juan Beer aus: «Die Rahmenbedingungen sind noch nicht optimal, so sind zum Beispiel die Voraussetzungen zur Versicherung von Toprisiken teilweise nicht gegeben. Es besteht Potenzial, die Schweizer Wirtschaft besser vor Rückschlägen zu schützen.» Als jüngstes Negativbeispiel nannte der Zurich-CEO und SVV-Vizepräsident den gescheiterten Versuch, eine Pandemieversicherung zu realisieren. Ein Vorhaben, das von der Versicherungsbranche im vergangenen Jahr vorangetrieben wurde, beim Bund jedoch (noch) kein Gehör fand.

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Bundesrat Ueli Maurer und Philomena Colatrella (CEO CSS), im Hintergrund Babette Sigg Frank (Präsidentin Konsumentenforum).

Bundesrat Ueli Maurer mit deutlichen Worten

Gegen Ende der Veranstaltung folgte ein weiterer Höhepunkt: Finanzminister Ueli Maurer trat auf die KKL-Bühne und richtete sich mit einer eindrücklichen Grussbotschaft an die Gäste. «Nachdem Sie sich nun nachhaltig mit der Nachhaltigkeit auseinandergesetzt haben, freue ich mich, Ihnen ebenfalls etwas Nachhaltiges zum Thema mitzugeben», betonte der Bundesrat zur Begrüssung – und sorgte damit gleich zu Beginn für einen Lacher. Danach wurde der Magistrat jedoch schnell ernster.

Der Bundesrat sprach von der Coronapandemie, vom Schuldenabbau nach der Pandemie und vom Krieg in der Ukraine – und er fragte in die Runde: «Haben diese Ereignisse nachhaltige Auswirkungen auf unseren Alltag, auf unser Leben?» Es war eine rhetorische Frage. Zu Beginn erwähnte Maurer die Armee. «Wir haben unsere Armee in den vergangenen Jahren stetig abgebaut. Wir hatten ja schliesslich einmal die beste Armee der Welt, heute ist diese aber kaum mehr in der Lage, Land und Leute zu beschützen.» In den vergangenen Monaten habe jedoch ein Umdenken stattgefunden. In der Tat: Im Zuge des Kriegs in der Ukraine befahl das Parlament dem Bundesrat Anfang Juni, die jährlichen Armeeausgaben von 5,3 auf über 9 Milliarden Franken zu erhöhen.

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Jean-Daniel Laffely (Generaldirektor Gruppe Vaudoise Versicherungen), Stephan Thaler (Swiss Life).

«Aktuelle Energiestrategie ist nicht nachhaltig»

Auch äusserte sich Ueli Maurer zum Thema Energie. «Es wird immer deutlicher, dass unsere aktuelle Energiestrategie nicht nachhaltig genug ist.» Die Energie werde nicht nur teurer, sondern auch immer knapper. Es sei höchste Zeit, über verschiedene Lösungen zu diskutieren – so zum Beispiel auch über den Erhalt der bestehenden Atomkraftwerke. «Wir brauchen keine Moralisierung, sondern Lösungen.» Maurer schloss seine Grussbotschaft mit den Worten: «Die Zukunft besteht aus Werten der Schweiz, die weltoffen ist, ihre Werte verteidigt und mit ihren Produkten und Dienstleistungen immer einen Mehrwert schafft. Die Versicherungsindustrie hat dies hervorragend gemacht. Ich zähle auch weiterhin auf ihre Unterstützung.» Ins gleiche Horn stiess der SVV-Direktor Urs Arbter, dem die Ehre zukam, den «Tag der Versicherer» abzuschliessen. Sein Appell an die Anwesenden: «Wir wollen für die kommenden Generationen die gleichen Voraussetzungen schaffen, wie wir sie heute vorfinden. Dafür braucht es ökologische, finanzielle und gesellschaftliche Nachhaltigkeit.»

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Belinda Walther Weger (Die Mobiliar), Urs Arbter (SVV-Direktor), Colette Odermatt (Die Mobiliar).

Nächstes Jahr trifft sich die Branche in Basel

Abgerundet wurde der «Tag der Versicherer» von einem reichhaltigen Buffet, das die Gäste auf der überdachten Terrasse des KKL genossen. Mit Blick auf die sich einregnende, aber dennoch «rüüdig» schöne Stadt Luzern bot sich den Gästen die ideale Gelegenheit, um sich nochmals nachhaltig über die Nachhaltigkeit und weitere Facetten der Versicherungswirtschaft und des Lebens zu unterhalten. Und weil auch der «Tag der Versicherer» keine Eintagsfliege, sondern eine nachhaltige Veranstaltung ist und bleiben soll, steht das Datum für das nächste Branchentreffen schon fest: Am 30. Juni 2023 lädt der SVV in Basel zum nächsten «Tag der Versicherer».

92. Generalversammlung: Ruedi Kubat und Christoph Schmallenbach neu im SVV-Vorstand

In den «Tag der Versicherer» eingebunden ist auch die Generalversammlung des SVV. Anlässlich der 92. Ausgabe wählten die Delegierten zwei neue Vorstandsmitglieder: Ruedi Kubat, seit 1. Januar 2022 CEO der Allianz Suisse, ersetzt Severin Moser. Christoph Schmallenbach, seit 24. Februar 2022 CEO der Generali Schweiz, folgt auf Andreas Krümmel. Für eine weitere Amtsperiode bestätigt wurden Philomena Colatrella (CEO der CSS Versicherung) und Professor Thomas Szucs (Verwaltungsratspräsident der Helsana Gruppe).