«Wir wei­sen das stärks­te Wert­schöp­fungs­wachs­tum auf»

Interview19. Juni 2023

Rolf Dörig gibt an der Generalversammlung 2023 das SVV-Präsidium weiter. Während seiner Amtszeit hat sich das Sicherheitsverständnis der Gesellschaft durch die Pandemie radikal verändert. Aktuell geblieben ist der Bedarf nach einer Reform der Altersvorsorge.

Herr Dörig, im ersten Jahresbericht des SVV, den Sie als Präsident verantwortet haben, sprachen Sie vom «demografischen Wandel als grosse Herausforderung» für unser Vorsorgesystem. Wo steht die Altersvorsorge sechs Jahre später?

Die Herausforderungen sind dieselben geblieben. Aber mit Blick auf die Reform haben Politik und Bevölkerung erkannt, dass wir nur weiterkommen, wenn wir einerseits kompromissbereit sind und andererseits unsere komfortable Altersvorsorge nicht länger auf Kosten der jungen Generation betreiben. In diesem Sinne haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 25. September 2022 die Reform der ersten Säule angenommen. Und im Frühjahr dieses Jahres hat das Parlament die Reform der zweiten Säule verabschiedet. 

Auch hier wird voraussichtlich das Volk das letzte Wort haben. 

Rolf Dörig Portrait

Präsident Rolf Dörig zur BVG-Reform: Wir erleben den demografischen Wandel täglich in den verschiedensten Bereichen. Es ist nur folgerichtig, diesen Veränderungen auch in der Altersvorsorge Rechnung zu tragen.

Wie beurteilt der Versicherungsverband die Reform der zweiten Säule? 

Unser Land braucht eine BVG-Reform, die sich an den demografischen Realitäten orientiert. Zentrales Element ist die Senkung des überhöhten Umwandlungssatzes, wie sie die Vorlage vorsieht. Wir dürfen uns nicht von falschen Hoffnungen leiten lassen. Die Inflation und Konjunkturaussichten heben den Reformbedarf nicht auf. Wir erleben den demografischen Wandel täglich in den verschiedensten Bereichen. Es ist nur folgerichtig, diesen Veränderungen auch in der Altersvorsorge Rechnung zu tragen. 

«Unser Land braucht eine BVG-Reform, die sich an den demografischen Realitäten orientiert.»

Was bedeutet das für das international anerkannte Dreisäulensystem?

Das Dreisäulensystem bewährt sich seit über 50 Jahren und ist konzeptionell ausgewogen. Es verteilt die Lasten und ermöglicht es, die Risiken zu diversifizieren. Auf dieser Grundlage sollte auch in Zukunft diskutiert werden, denn das Dreisäulensystem macht unsere Altersvorsorge zu einem Standortvorteil. Diesen gilt es zu erhalten.

Auch die Modernisierung eines für die Versicherer zentralen Gesetzes ist in Ihrer Amtszeit gelungen. Das Parlament hat die Teilrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) gutgeheissen. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? 

Ja. Der SVV begrüsst die Teilrevision des VAG, die das Parlament unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedürfnisse ausgestaltet hat. Gute Rahmenbedingungen zeichnen sich dadurch aus, dass nur dort reguliert wird, wo es notwendig ist und wo die Regulierung einen Mehrwert schafft. So können die Kräfte des Marktes wirken und neue Produkte, sprich Versicherungsschutz für unsere Kundinnen und Kunden, entstehen. Die Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass die hohe Innovationskraft der Schweiz erhalten bleibt. 

«Im Jahr 2021 haben alle Schweizer Rückversicherer zusammen weltweit Schadenzahlungen in der Höhe von 22 Milliarden Franken geleistet. Das ist eine eindrückliche Zahl.»

Der SVV hat im Frühjahr eine Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Rückversicherer veröffentlicht. Wie wichtig ist dieser Versicherungszweig für die Branche und für die Schweiz? 

Die Rückversicherer sind die Versicherer der Versicherer. Sie schützen deren Bilanzen und mildern die Auswirkungen von Grossschäden auf das Ergebnis sowie auf die Solvenz der Erstversicherer. Im Jahr 2021 haben alle Schweizer Rückversicherer zusammen weltweit Schadenzahlungen in der Höhe von 22 Milliarden Franken geleistet. Das ist eine eindrückliche Zahl. Die Bedeutung der Rückversicherer zeigt sich auch im grossen spezifischen Know How, das das Rückversicherungsgeschäft auszeichnet. 

Volkswirtschaftliche Bedeutung der Rückversicherungen in der Schweiz

Die Schweizer Rückversicherer gehören zu den am stärksten wachsenden Zweigen innerhalb der Branche. Sie zeichnen sich zudem durch eine überdurchschnittliche Produktivität aus, die jene der Gesamtwirtschaft um ein Vielfaches übersteigt. Für den Standort Schweiz sind die Rückversicherer wichtige Risikoträger, Kapitalgeber und Steuerzahler, die einen wesentlichen Anteil zu den Dienstleistungsexporten beitragen. Die Schweiz gehört damit zu den drei grössten Rückversicherungsstandorten der Welt.

Der Grossraum Zürich-Zug hat sich zu einem eigentlichen Rückversicherungshub entwickelt. Ist das ein Selbstläufer?  

Keineswegs. Zwar ist der Grossraum Zürich-Zug heute der drittgrösste Rückversicherungsstandort der Welt, aber der globale Wettbewerb um die Ansiedlung von Rückversicherern ist hart – und die Unternehmen sind mobil. Wir müssen deshalb laufend daran arbeiten, dass der Standort Schweiz attraktiv bleibt. Für die Rückversicherer sind dies in erster Linie der Zugang zu weltweit offenen Rückversicherungsmärkten und zu gut ausgebildeten Fachkräften sowie eine international kompatible, aber auch pragmatische und dem Geschäftsmodell angepasste Regulierung und Aufsicht.

Während Ihrer Amtszeit haben einschneidende Ereignisse wie die Pandemie, die zunehmenden Cyberrisiken oder der Krieg in der Ukraine die Gesellschaft verändert. Welche Auswirkungen hat dies auf die Versicherungswirtschaft?  

Diese Ereignisse haben unsere Gesellschaft insgesamt sowie unser Verständnis von Sicherheit und von den Aufgaben des Staates verändert und teilweise in Frage gestellt. Für die Versicherer ist Sicherheit ein zentrales Thema. Mit der Pandemie oder der Cyberthematik sehen wir uns mit Grossrisiken konfrontiert, die die private Versicherungswirtschaft zum Teil nicht alleine bewältigen kann. Bei Cyberthemen haben wir schlicht noch zu wenig Daten. Aber wir arbeiten im SVV mit Hochdruck daran, den Blick der Branche auch für dieses Toprisiko zu schärfen. Wir sind überzeugt, dass es die Widerstandskraft des Standorts Schweiz stärkt, wenn wir vorausschauend potenziellen Schaden absichern und nicht im Nachhinein mit Ad-hoc-Lösungen versuchen, den Schaden zu minimieren. 

«Dass ich mich während sechs Jahren für diese stabile, innovative und überdurchschnittlich produktive Branche einsetzen durfte, erfüllt mich mit Stolz und Genugtuung.»

An der bevorstehenden Generalversammlung übergeben Sie das Präsidium des Verbandes. Ihr persönliches Fazit?  

Es war eine spannende Zeit, geprägt von vorhersehbaren Herausforderungen wie der Reform der Altersvorsorge, aber auch von unerwarteten Ereignissen wie der Pandemie. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Versicherer ist enorm. Über die letzten 20 Jahre weist die Versicherungswirtschaft im Schweizer Branchenvergleich das stärkste Wertschöpfungswachstum auf. Das ist eine respektable Leistung. Dass ich mich während sechs Jahren für diese stabile, innovative und überdurchschnittlich produktive Branche einsetzen durfte, erfüllt mich mit Stolz und Genugtuung. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand, mit rund 700 Expertinnen und Experten in unseren Milizgremien und einer tatkräftigen Geschäftsstelle haben wir in den letzten Jahren nicht die Welt verändert, aber die Schweiz ein Stück widerstandsfähiger gemacht.