«Die Flä­chen­er­eig­nis­se sind das gros­se Pro­blem»

Interview

Im Rahmen des AIAG-Kongresses 2023 diskutieren diese Woche Expertinnen und Experten aus aller Welt über aktuelle Themen der Agrarversicherungswirtschaft. Daniel Schriber sprach im Vorfeld mit Adrian Aebi (Direktor Schweizer Hagel) sowie Pascal Forrer (Präsident AIAG) zu den grossen Themen.

Adrian Aebi, Sie sind seit August 2022 Direktor der Schweizer Hagel: Welche Bilanz ziehen Sie nach einem guten Jahr in der neuen Funktion – und was fasziniert Sie an der Aufgabe? 

Aebi: Ich durfte die Leitung einer sehr soliden und im Markt bestens etablierten Unternehmung übernehmen. Die Arbeit der Schweizer Hagel wird geschätzt und macht sehr viel Sinn – es geht schliesslich um die Sicherung unserer Ernährung. Wir wollen einen Anteil leisten an einem grossen, erstrebenswerten Ziel.

 

Wie lautet dieses Ziel?

Aebi: In aller Kürze formuliert, wollen wir dazu beitragen, dass die Produktionsfähigkeit der Landwirtschaft in einem sich wandelnden klimatischen Umfeld aufrecht erhalten werden kann.

Adrian Aebi

Wir wollen dazu beitragen, dass die Produktionsfähigkeit der Landwirtschaft in einem sich wandelnden klimatischen Umfeld aufrecht erhalten werden kann: Adrian Aebi, Direktor Hagel Schweiz.

Ist die Schweizer Landwirtschaft für die Klimaerwärmung gewappnet?

Aebi: Langsam aber sicher steigt das Bewusstsein über die Veränderungen und damit die Bereitschaft zur Anpassung. Denn klar ist: Du kannst als Einzelner nichts tun, wenn Jahr für Jahr extreme Trockenheit herrscht. Die Klimaveränderung macht Angst und lässt oft auch ein Gefühl der Machtlosigkeit zurück.

 

Angst ist jedoch ein schlechter Ratgeber.

Aebi: So ist es. Genau darum haben wir zusammen mit der Agrargenossenschaft Fenaco und dem Schweizer Bauernverband Anfang Jahr Agroscope beauftragt, eine umfassende Grundlagenarbeit zu dieser Thematik zu erstellen. Die Erkenntnisse sind nicht neu, die Lösungsansätze mehrheitlich bekannt. Nun müssen wir ins koordinierte Handeln kommen. Bekanntlich liegen dort die grossen Herausforderungen.

Pascal Forrer

Die grossen Herausforderungen erfordern länderübergreifende Lösungen: Pascal Forrer, Präsident AIAG.

Pascal Forrer, Sie waren während 16 Jahren CEO der Schweizer Hagel. Wie können Sie in Ihrer neuen Funktion als Präsident der AIAG von Ihrer langjährigen Erfahrung profitieren?

Forrer: Als Präsident der AIAG treffe ich überall auf der Welt auf diese Themen, mit denen ich vertraut bin. Die grossen Herausforderungen erfordern länderübergreifende Lösungen – an dieser Schnittstelle kann ich meine Erfahrung einbringen.



Inwiefern haben sich die erwähnten Herausforderungen im Laufe der Zeit verändert?

Forrer: Die letzten Jahrzehnte haben grosse Veränderungen mit sich gebracht: International wurde die Solvenzregulierung eingeführt – und auch die Digitalisierung sowie die Wetter- und Erdbeobachtungstechnologien haben sich enorm entwickelt. Zudem hat sich die Klimaerwärmung unerwartet schnell verschärft.

«Um Prämienerhöhungen zu verhindern, engagieren wir uns in der Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel.»

Extremereignisse wie Trockenheit, Starkregen, Überschwemmung und Frühlingsfrost häufen sich in der Tat: Wo liegen die grossen Herausforderungen solcher Extremereignisse?

Aebi: Die Flächenereignisse sind das grosse Problem. Bei Trockenheit werden wir rasch an die Grenzen der Versicherbarkeit kommen. Bei Hagel scheint sich die Häufigkeit nicht stark zu verändern, jedoch die Intensität.

 

2021 gingen bei Schweizer Hagel 14'000 Schadenmeldungen ein. Die damit verbundene Schadensumme von 110 Millionen Franken ist mehr als doppelt so hoch wie die Prämieneinnahmen. Was bedeutet das für Schweizer Hagel?

Aebi: Für solche Extremszenarien haben wir eine Rückversicherungsstrategie und eine starke Kapitaldecke. Häufen sich solche Ereignisse, reichen diese Elemente aber nicht mehr und wir müssen unsere Leistungen anpassen. Um das zu verhindern, engagieren wir uns in der Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel.

 

Mit welchen Mitteln schätzt die Schweizer Hagel die künftige Intensität und Häufigkeit von Unwettern ab?

Aebi: Wir sind engagiert in diversen Forschungsprojekten und pflegen einen regen Austausch mit Know-how-Trägern wie den Rückversicherungen. Zudem haben wir unser Forschungs- und Entwicklungsteam ausgebaut, um mittels eigenen und Drittdaten die Risiken abzuschätzen.

«Produzentinnen und Produzenten werden dort, wo es möglich und sinnvoll ist, Methoden und Pflanzungen anpassen und Präventionsmassnahmen ergreifen.»

Welche Entwicklungen sind diesbezüglich weltweit im Gang?

Forrer: Die Produzentinnen und Produzenten werden dort, wo es möglich und sinnvoll ist, Methoden und Pflanzungen anpassen und Präventionsmassnahmen ergreifen. Die Versicherung als Risikomanagement-Tool wird – unter Berücksichtigung des landwirtschaftlichen Anpassungsprozesses und etwaiger Präventionsmassnahmen – weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Zahlreiche Länder haben angesichts dieser Ausgangslage staatliche Unterstützungsmassnahmen im Rahmen von Public-Private-Partnerships eingeführt.

 

Welche Rolle spielt der technologische Fortschritt bei der Zukunftsplanung?

Forrer: Technologien wie die Georeferenzierung von Parzellen, hochauflösende Wetterdaten von Satelliten, Wetterradare und Bodenmessstationen werden bereits heute bei Versicherungen eingesetzt. Und natürlich wird weiterhin stark in die Entwicklung neuer Technologien investiert. Ich denke zum Beispiel an die Überwachung von Ernten, die Kontrolle geeigneter Boden-, Aussaat- und Erntezeitpunkte oder auch an die Bereitstellung georeferenzierter Informationen als Entscheidungshilfe für Schadensregulierer vor Ort.

 

Es gibt auch Stimmen, welche die Klimaerwärmung hinterfragen oder gar dementieren. Inwiefern erschweren solche Tendenzen Ihre Arbeit?

Forrer: Die meisten Bäuerinnen und Bauern stellen die Auswirkungen der Klimaerwärmung direkt in ihrer Arbeit fest und sind besorgt. Dass eine Klimaerwärmung stattfindet, wird heute grossmehrheitlich als Tatsache anerkannt. Die Diskussion über deren Ursachen ist wichtig, ändert aber unmittelbar nichts an den schon heute erforderlichen Anpassungsmassnahmen.

AIAG-Kongress 2023 in Genf

Die AIAG bietet eine internationale Austauschplattform für Agrarversicherer aus der ganzen Welt. Zurzeit zählt die Vereinigung rund 110 Mitglieder aus 30 Ländern und 5 Kontinenten. Seit der Gründung wird das Sekretariat der AIAG von der Schweizer Hagel in Zürich geführt.

Alle zwei Jahre organisiert die Organisation einen internationalen Kongress, an dem neue wissenschaftliche Erkenntnisse und innovative Versicherungsmodelle vorgestellt werden. Der AIAG-Kongress 2023 findet vom 12.-15. November in Genf statt.