Nach der Pan­de­mie ist vor dem nächs­ten Top­ri­si­ko

Kommentare16. Juli 2021

Ein Leben ohne Risiko gibt es nicht. Und es ist auch nicht Staatsaufgabe, in die Rolle des Pseudoversicherers zu schlüpfen. Gefragt sind Public-Private-Partnerships und ein systematisches Vorsorgedenken.

Risiken begleiten uns ein Leben lang und bei jeder Entscheidung, die wir treffen. Manchmal sind wir uns ihrer bewusst, manchmal vergessen oder verdrängen wir sie und wähnen uns in falscher Sicherheit. Das Leben mit Risiken – nicht immer ist es bequem. Die Aufgabe der Privatversicherer ist es, genau diese Risiken einzuschätzen. Sie zu antizipieren und zu quantifizieren, um der Gesellschaft einen Teil der Risikolast abzunehmen, wirtschaftliche Sicherheit zu gewähren und Innovation zu ermöglichen. Mit Pandemien beschäftigt sich die Versicherungswirtschaft Kraft ihrer Funktion seit Jahren. Und obwohl die Privatversicherer von der Corona-Pandemie keineswegs unvorbereitet getroffen wurden, fehlte, was bei anderen Risiken die Grundlage unseres Geschäfts bildet: Eine verlässliche Datenlage und die Möglichkeit zur Risikodiversifikation. 

Darum kommt die Versicherungsbranche mit gemischten Gefühlen aus der Pandemie. Zum einen ist es uns gelungen, die Servicequalität auch aus dem Homeoffice aufrechtzuerhalten. Zum anderen hat uns die Corona-Pandemie die Grenzen unserer Geschäftstätigkeit aufgezeigt. Grenzen, die dann zu Tage treten, wenn nicht der Zufall über das Schadenausmass entscheidet, sondern der Bundesrat zwar aus nachvollziehbaren Gründen einen Lockdown verhängt und etliche Branchen durch ein und dieselbe Ursache lahmgelegt werden. Versicherungen sind dafür ausgelegt, dass ein Kollektiv von Vielen für Schäden von Einzelnen aufkommt. Es ist das Prinzip der Solidarität. Dieses Prinzip funktioniert nicht mehr, wenn die Schäden überall und gleichzeitig eintreten. 

Schulden für nächste Generation

Die Corona-Pandemie, sie mag sich langsam dem Ende zuneigen – was sie hinterlässt, wird nachhaltige Folgen haben. Mit seinen Ad-hoc-Massnahmen hat der Bund Schulden von über 70 Milliarden Franken angehäuft. Eine Bürde, die primär die kommende Generation zu tragen hat. Was also tun, damit uns das nächste Toprisiko nicht unvorbereitet trifft? Aus Sicht der Versicherungsbranche liegt die Antwort auf der Hand: Es braucht eine Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft, damit Toprisiken künftig tragbar und versicherbar sind. Dabei muss der Staat einen Grossteil der Finanzierung sicherstellen, derweil die Privatversicherer ihre Infrastruktur und ihre Expertise in der Schadenabwicklung beisteuern. Zwar hat der Bundesrat einem gemeinschaftlich erarbeiteten Lösungsansatz für eine Pandemieversicherung fürs Erste eine Absage erteilt. Die Diskussion ist damit aber noch lange nicht vom Tisch: Verschiedene politische Vorstösse zeigen, dass es nicht erstrebenswert ist, im Status Quo zu verharren und auch bei einer nächsten Pandemie auf Ad-hoc-Lösungen zurückzugreifen. 
 

Einzelne Ereignisse bleiben versicherbar, stark korrelierende Schäden übersteigen die Kapazitäten der Versicherer.

Die Chance, dass uns in den kommenden Jahren gleich die nächste Pandemie bevorsteht, mag gering sein. Und dennoch hat Corona unsere Sinne dafür geschärft, was an Toprisiken sonst noch auf uns zukommen könnte. Zum Beispiel eine Cyberattacke, die nicht nur einzelne Betriebe lahmlegt, sondern ganze Infrastrukturen blockieren kann. Die möglichen Folgeschäden sind kaum auszudenken. Obwohl das Bewusstsein und entsprechend die Prävention für Cyberrisiken wachsen, lässt sich das Risiko nicht auf null minimieren. Eine breite Palette an Versicherungslösungen schafft hier Abhilfe und kann dennoch nur Einzelereignisse abdecken. Derweil wir in der Prävention schon eng mit dem Bund zusammenarbeiten, sind auch hier die Fragen einer Versicherungslösung ungeklärt. Dasselbe gilt für Strommangellagen oder grosse Naturkatastrophen: Einzelne Ereignisse bleiben versicherbar, stark korrelierende Schäden über steigen die Kapazitäten der Versicherer. 

Keine Ad-hoc-Lösungen mehr 

Politik, Wirtschaft, Bevölkerung und Privatassekuranz sind gut beraten, Toprisiken gemeinsam zu debattieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Immer im Wissen, dass es keine Vollkaskoversicherung für Toprisiken gibt. Wir Versicherer sind es uns und der Gesellschaft schuldig, uns weiter mit solchen Szenarien zu befassen und damit die Resilienz unserer Volkswirtschaft zu stärken. Denn was aus der Pandemie bleibt, ist die Erkenntnis, dass eine Lösung «ex ante» auch ordnungspolitisch einer Lösung «ex post» vorzuziehen ist.

Dieser Kommentar ist am 16.07.2021 in der NZZ erschienen.