«Wich­tig ist, dass wir neu­tral sind»

Jahresbericht21. Juni 2019

Ombudsman Martin Lorenzon erklärt, welche Fälle bei ihm landen, und wie er erfolgreich vermitteln kann. 

Beitrag aus dem Jahresmagazin View

Die Ombudsstelle der Privatversicherer und der Suva ist unabhängig und neutral. Finanziert wird sie von den Schweizer Privatversicherern und der Suva. Ins Leben gerufen wurde sie 1972 durch den Schweizerischen Versicherungsverband SVV in Form einer Stiftung. Die Suva als grösster Umfallversicherer trat 2002 bei. 2018 verzeichnete die Ombudsstelle 3192 Fälle (-5,3 Prozent gegenüber Vorjahr). 53,5 Prozent davon betrafen Personenversicherungen. Der höchste Streitwert bei den Interventionsfällen betrug rund 0.6 Mio. Franken. In der Personenversicherung beträgt der durchschnittliche Streitwert 10’000 bis 30'000 Franken. In der Sachversicherung liegt er in der Regel unter 10'000 Franken.

Martin Lorenzon

Herr Lorenzon, ist die Ombudsstelle genügend bekannt?

Es ist klar, wir haben kein Werbebudget. Aber Versicherte müssen den Zugang zu uns haben, wenn sie uns brauchen. Und das ist gewährleistet. Beschwerde- oder Konsumentenschutzorganisationen kennen uns. Und wer eine unentgeltliche Beschwerdestelle sucht, der findet uns im Internet, falls sie der Versicherer nicht direkt an uns verweist.

Welche Fälle landen bei Ihnen?

Meist geht es um die Höhe der Leistungen, zum Teil auch um Falschberatung beim Vertragsabschluss. Hauptschwerpunkt aber sind Personenversicherungen. Insbesondere sind es Fragen um Taggeldleistungen, respektive wie lange jemand arbeitsunfähig ist. Häufig handelt es sich dabei um einen Ärztestreit. Zwei Ärztegutachten liegen vor, die diametral unterschiedlich sind. Besonders bei psychischen Leiden gibt es grosse Unterschiede.

Geht es den Kundinnen und Kunden um Gerechtigkeit oder steht das Geld im Vordergrund?

Wir haben Kundinnen und Kunden, die sich ungerecht behandelt fühlen. Aber natürlich geht es meist um Geld. Und wer nicht bekommt, was ihm nach seinem Empfinden zusteht, der fühlt sich ungerecht behandelt. Das Eine ergibt das Andere. Wir haben aber auch Stammkunden, die beispielsweise alle zwei Jahre wiederkommen.

Was ist das Problem, wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt?

Es kann sein, dass er sich von einem Sachbearbeiter schlecht beraten fühlt. Aber auch das persönliche Rechtsempfinden stimmt nicht immer mit dem Gesetz überein oder mit dem, was im Vertrag steht. Dann müssen wir dem Versicherten darlegen, weshalb er aus rechtlicher Sicht nicht mehr Leistung erwarten kann, als ihm offeriert wurde.

Haben sich die Problemfelder der Fälle in den vergangenen Jahren verändert?

Teilweise ja. Im Krankentaggeld stellen wir fest, dass Versicherer Obliegenheits-Verletzungen strenger beurteilen als früher. 

Und was können Sie in einem solchen Fall erreichen?

Ein Problem kann sein, dass der Versicherte sich erst an den falschen Versicherer, meist den Unfallversicherer statt den Krankentaggeldversicherer gewandt hat. Erhält er von diesem den abschlägigen Bescheid, dass es kein Unfall war, ist er meist zu spät, um den Fall fristgerecht dem Krankentaggeldversicherer zu melden. Dies führt zu Leistungseinbussen. Nun hat sich der Versicherte zwar an den Versicherer gewandt, doch es war der falsche. In solchen Fällen, in denen alles gut dokumentiert ist, können wir etwas erreichen. Aber es ist klar, wenn Vertragsbestimmungen nicht eingehalten werden –  und den Versicherten diesbezüglich ein Verschulden trifft – muss der Versicherte auch die Konsequenzen tragen.

Gibt es auch Fälle von Kulanz?

Ich würde weniger von Kulanz sprechen. Es kann sein, dass beispielsweise die rechtliche Situation zwar klar ist, dass aber im Fallbearbeitungs-Prozess etwas nicht gut lief. Dann ist die Bereitschaft der Versicherer relativ gross, entgegenzukommen.

Wie können Sie überhaupt etwas erreichen?

Wichtig ist, dass wir neutral sind. Wir brauchen das Vertrauen beider Seiten. Es gibt Fälle, in denen wir dem Versicherten sagen müssen, dass er oder sie zu viel will und gleichzeitig dem Versicherer, dass er zu wenig zahlt.

Wie erfolgreich sind Sie?

In rund zwei von drei Fällen können wir eine Verbesserung für den Antragsteller erzielen.

Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Natürlich brauchen wir die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen. Wir haben eine über Jahre erfolgreich etablierte Struktur. Insbesondere wenig Bürokratie und ein direkter Ansprechpartner in den Gesellschaften auf Direktionsebene sind entscheidende Erfolgsfaktoren. Durch eine Verstaatlichung der Ombudsstelle sähe ich dieses Erfolgsrezept gefährdet.

Wie haben sich die Fallzahlen entwickelt?

Wir verzeichneten 2018 einen Rückgang von 5,3 Prozent.

Haben Sie eine Erklärung hierfür?

Verschiedene Versicherer haben in den vergangenen Jahren ihr Beschwerdemanagement ausgebaut. Dadurch können sie gewisse Fälle von unzufriedenen Kundinnen und Kunden bereits selbst lösen. Diese gelangen nicht mehr an uns. Aber insgesamt liegt die Schwankung im üblichen Rahmen.