Pan­de­mie und Kol­la­te­ral­schä­den als Emer­ging Risk

Kontext

Neben dem menschlichen Leid führte die Pandemie zu einem erheblichen Anstieg der finanziellen Risiken und einer höheren Volatilität auf dem Finanzmarkt.

Risikowahrnehmung

Auswirkungen auf den Finanzmarkt
Die Pandemie führte zu einem erheblichen Anstieg der finanziellen Risiken und einer höheren Volatilität auf dem Finanzmarkt. Die individuellen Reaktionen hängen jedoch eindeutig von der Schwere des Ausbruchs im jeweiligen Land ab. Die unkonventionellen politischen Interventionen mit dem Ziel, die Wirtschaft anzukurbeln, können jedoch langfristige Probleme verursachen. Ein Beispiel sind die Massnahmen der Zentralbank in den USA, welche Staatsanleihen und andere Anleihen zurückgekauft hat (quantitative easing). Dies kann langfristig zu einer Abwertung der Inlandwährung und somit zu einer höheren Inflation führen. Die unterschiedlichen politischen Massnahmen der einzelnen Länder und die daraus resultierende Desintegration stellen rückblickend eine grössere Bedrohung für die Welt dar als das Virus selbst.

Zombie-Unternehmen
Die oben erwähnte unkonventionelle fiskal- und geldpolitische Unterstützung im Gefolge der COVID-19-Pandemie hat die Befürchtung in den Vordergrund gerückt, dass diese Massnahmen die Entstehung von Zombie-Firmen fördern könnten. Dies sind Firmen, deren Geschäftsmodell nicht mehr überlebensfähig ist, was aber durch die billigen COVID-19 Kredite zurzeit überdeckt wird, so dass sie erst in der Zukunft in Konkurs gehen werden. Aktuell erwartet man für die Schweiz unter den privaten als auch unter den börsenkotierten Unternehmen nur wenige ZombieFirmen. Diese konzentrieren sich vor allem auf das verarbeitende Gewerbe und den Einzelhandel, welche nur einen kleinen Teil der Gesamtkredite an Nicht-Finanzunternehmen ausmachen. Darüber hinaus zeigt der Anteil der börsennotierten Unternehmen, die als Zombie-Unternehmen zu identifizieren sind, ein zyklisches Muster: Er steigt in Rezessionen und sinkt in Aufschwungsphasen, was wahrscheinlich auf eine Mischung aus aggregierten und branchenspezifischen Schocks zurückzuführen ist.

Vor allem bei börsenkotierten Unternehmen können sich aber D&O-Risiken ergeben, wenn die Geschäftsleitungen und Aufsichtsräte notwendige Massnahmen bei der Anpassung von Geschäftsmodellen wegen der Corona-Kredite verschleppen, was nicht im Sinne der Aktionäre ist.

Wiederaufnahme eingestellter Betriebe
Das Ziel von Industriestandards in Bezug auf die Auslegung von Anlagen und Betriebsabläufen ist es, die Sicherheit zu gewährleisten. Die Aufrechterhaltung der Sicherheit von Anlagen und Prozessen erfordert eine kontinuierliche Wartung durch erfahrenes und qualifiziertes Personal sowie Zeit und Finanzen, um Stillstands-Aktivitäten mit anschliessenden Wiederherstellungs- und Sicherheitsarbeiten zu vermeiden.

Die Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie haben auch die Wartungs- und Inspektionsarbeiten unter Druck gesetzt. Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise sind eine Verknappung der Wartungsbudgets in vielen Branchen und eine Verzögerung der geplanten Arbeiten. In vielen Branchen hat man sich als Sparmassnahme dazu entschlossen, Anlagen stillzulegen, anstatt die Ausfallzeiten für die Wartung zu nutzen. Darüber hinaus wurden qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter entweder entlassen, und/oder aufgrund von Mobilitätseinschränkungen während des Stillstands waren die Mitarbeiter nicht in der Lage, zu den Einsatzorten zu reisen.

Es besteht das Risiko, dass die Wiederaufnahme von stillgelegten Anlagen nach der pandemiebedingten Unterbrechung unter Zeit- und Budgetdruck erfolgt, mit anderen Worten in einem Umfeld, in dem eine schnelle, aber nicht unbedingt gut geplante Inbetriebnahme umgesetzt wird. Nach der Beendigung der Pandemie und der Rückkehr der Normalität sollten sich daher die Versicherer bei ihrer Risikobewertung zusätzlich auf die Risikomerkmale «ausreichende Finanzierung», «Zeit» und «Verfügbarkeit von erfahrenem und qualifiziertem Personal» konzentrieren.

Langzeitfolgen von Covid-19
Oft beklagen sich von Covid-19 betroffene Personen über Langzeitfolgen wie beispielsweise kognitive Dysfunktionen, Atemnot und Müdigkeit, welche teilweise auch Monate nach der Infektion auftreten. Es ist immer noch unklar, wie lange die Folgen anhalten. Weitere wissenschaftliche Studien müssen noch durchgeführt werden. Die Langzeitfolgen können zu höheren Gesundheitskosten und Arbeitsausfallansprüchen aufgrund von schwerer Morbidität und Komorbidität führen, sowie erhöhte Invaliditätsansprüche auslösen.

Zum Beispiel wurden andere medizinische Eingriffe wegen der Pandemie zurückgestellt, und Patienten sind nicht zu regelmässigen Vorsorgeuntersuchungen oder – bei Beschwerden – zum Arzt gegangen. Die verspätete Diagnostik von chronischen Erkrankungen kann zu höheren Heilungskosten und einer erhöhten Mortalität weit über das Ende einer Pandemie hinaus beitragen.

Des Weiteren haben viele erfahrene Pflegekräfte den Beruf verlassen, und es wird erwartet, dass noch mehr Mitarbeitende im Pflegebereich in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen und ähnlichen Institutionen dies tun werden. Diese Entwicklung führt zu Personalengpässen in kritischen Bereichen wie Spitälern und Pflegeheimen, was mittelfristig zu mehr Fehlbehandlungen mit Körperschäden führen könnte. Inwiefern die Pflegeinitiative diese Entwicklung rechtzeitig korrigieren kann, muss beobachtet werden.

 

Haftpflichtrechtliche Relevanz

Vor allem die Wiederaufnahme eingestellter Betriebe unter Kostendruck mit eventuell neuem Personal kann zu Betriebsstörungen und als Folge zu Personen-, Sach- und Umweltschäden führen. Der Kostendruck und Mangel an qualifiziertem Personal kann die Qualitätssicherung negativ beeinflussen und zu vermehrten (Produkt-) Haftpflichtansprüchen führen. Die Entscheidungen der Geschäftsleitung des Unternehmens können hinterfragt werden und bei Fehlentscheiden zu Haftpflichtansprüchen führen.

Im Spital- und Pflegebereich können auch vermehrt Personenschäden auftreten, wenn die «Personallücken» nicht zeitnah mit qualifiziertem und erfahrenem Personal geschlossen werden können.

Die Pandemie wird in Zukunft dazu führen, dass vermehrt im Homeoffice oder sonst wo (remote work) gearbeitet wird und weniger am Arbeitsplatz. Da private IT-Infrastruktur in der Regel nicht professionell verwaltet wird, steigt damit das Risiko für Cyberattacken und IT-Versagen. Dies kann die Schadenserfahrung in der Zukunft signifikant beeinflussen.

 

Haftpflichtversicherungstechnische Relevanz

Die Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherungen schliessen Personen-, Sach- und Umweltschäden als Folge der Wiederaufnahme von stillgelegten Betrieben, sofern die Betriebsstätten noch versichert sind, nicht aus. Spitalhaftpflicht- und Berufshaftpflichtversicherungen im Pflegebereich decken die Personenschäden, welche durch fehlerhafte Organisation, Personallücken und die Überforderung von Mitarbeitern verursacht werden. Cyberversicherungen müssten allenfalls der veränderten Risikolage angepasst werden. Es sollte auch geprüft werden, wieweit Schäden, welche durch lückenhafte private IT-Infrastruktur verursacht werden, mitversichert sind.

 

Zeithorizont für versicherte Ansprüche

Die Entwicklung der immer noch anhaltenden Pandemie muss im Auge behalten werden. Vor allem mit neu auftretenden Varianten (welche zu erneuten Massnahmen führen) und neuen Infektionswellen sind die oben gelisteten Folgen aktuell.

Definition «Emerging Risks»

Neue Technologien und die Entwicklung der modernen Gesellschaft bieten neue Chancen, aber auch neue Gefahren. Solche neuartigen zukunftsbezogenen Risiken, die sich dynamisch entwickeln und eben nur bedingt erkennbar und bewertbar sind werden als «Emerging Risks» bezeichnet.  Der Begriff «Emerging Risks» ist nicht einheitlich definiert. In der Versicherungsbranche werden damit üblicherweise Risiken bezeichnet, welche sich als mögliche zukünftigen Gefahr mit grossem Schadenpotenzial manifestieren.