Re­form Er­gän­zungs­leis­tun­gen: Wahl­frei­heit der Ver­si­cher­ten nicht be­schrän­ken

PositionenArchive22. Mai 2018

Wer pensioniert oder selbstständig wird, kann angespartes Kapital aus der Pensionskasse beziehen. Der Bundesrat will dies künftig im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge verbieten. Der SVV ist gegen diesen Vorschlag, weil er die Wahlfreiheit der Versicherten massiv einschränken würde. Der Entscheid des Nationalrates auf diese Einschränkung zu verzichten, wird begrüsst.

Ausgaben steigen – Handeln ist nötig

Die Ausgaben für die Ergänzungsleistungen (EL) steigen und steigen – seit 1999 von 2,2 auf 4,9 Mrd. Franken. Für diesen Anstieg gibt es zahlreiche Gründe, etwa die immer grössere Zahl von AHV-Rentnerinnen und -Rentnern, Kostenverlagerungen von der Sozialhilfe zu den EL oder die neue Pflegefinanzierung. Eine Reform der EL tut not.

Ein Verbot des Kapitalbezugs löst das Problem nicht

Heute können Versicherte ihr angespartes Kapital aus dem obligatorischen Teil der Pensionskasse bei der Pensionierung oder bei der Aufnahme einer Selbstständigkeit beziehen. Der Bundesrat möchte das verbieten.

Sein Argument klingt einleuchtend: Viele Pensionierte oder Selbstständige würden das bezogene Kapital aufbrauchen und seien dann auf EL angewiesen. Allerdings erwähnt der Bundesrat in seinem Bericht zum Reformbedarf auch, dass sich der Zusammenhang zwischen Kapitalbezug und den steigenden Ausgaben der EL nicht ausreichend belegen lasse. Und er weist auch darauf hin, dass die meisten Personen, die nach dem Kapitalbezug EL beantragen würden, wegen ihrer geringen Vorsorge wohl auch ohne Kapitalbezug auf Unterstützung angewiesen gewesen wären.

Der Bundesrat rechnet damit, dass ein Verbot von Kapitalbezügen die EL 2022 um 46 Millionen Franken entlasten würde – bei Ausgaben von gegenwärtig 4,9 Milliarden Franken im Jahr und einem Kostenwachstum von jährlich um 100 bis 150 Millionen Franken. 

Ein Verbot untergräbt die stark genutzte Wahlfreiheit

Wesentlich bedeutender als die prognostizierte Kosteneinsparung wären andere Folgen eines Verbots des Kapitalbezugs: Es würde die Wahlfreiheit der Versicherten massiv einschränken. Laut Bundesamt für Sozialversicherungen bezogen 2015 33’000 Personen erstmals eine Pensionskassen-Rente. Laut einer anderen Statistik liessen sich im selben Jahr 34’000 Personen ein Alterskapital ausbezahlen. Die Wahlmöglichkeit «Rente oder Kapital» ist also beliebt und muss erhalten bleiben. 

Selbständigerwerbende können das Kapital gut brauchen

Selbständigerwerbende schaffen in der Schweiz viele Arbeitsplätze. In einem Land, dessen Wirtschaft zu über 90 Prozente auf KMU basiert, sollten Unternehmensgründer möglichst gute Bedingungen vorfinden. Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen belegt, dass eines von vier Unternehmen ohne Mittel aus der beruflichen Vorsorge nicht hätte gegründet werden können. Nur jeder zehnte Unternehmer stellte laut der Studie seine Tätigkeit aus finanziellen Gründen ein und verlor dabei einen Teil des investierten Kapitals.

Ein Verbot ist nicht gerechtfertigt

Mit Blick auf den unklaren Zusammenhang zwischen Kapitalbezügen und EL und der relativ geringen finanziellen Auswirkungen der Kapitalbezüge auf die EL sind die negativen Konsequenzen für die Versicherten nicht zu rechtfertigen. Missbräuchen ist nicht damit zu begegnen, dass die Wahlmöglichkeiten für alle Versicherten abgeschafft werden – ein allfälliger missbräuchlicher Kapitalbezug sollte vielmehr bei der Bemessung eines Anspruchs auf EL berücksichtigt werden.

Um das EL-System zu optimieren und falsche Anreize zu korrigieren, sind strukturelle Massnahmen nötig und die Aufgaben von Bund und Kantonen zu entflechten.

Lesen Sie dazu auch den Artikel «Ergänzungsleistungen nicht überstürzt reformieren – Gesamtvision des Vorsorgesystems statt eine Reform light» des Think Tanks Avenir Suisse.