Ist der Stän­de­rat KMU-feind­lich?

News29. November 2019

Soll das ordentliche Kündigungsverbot auch auf die Kollektivtaggeldversicherung nach VVG ausgedehnt werden? Thomas Helbling, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV erklärt, weshalb er die Haltung des Ständerates teilt und eine solche Ausdehnung ablehnt.

Die Revision des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) hat im Parlament bereits für viele hitzige Diskussionen gesorgt. Einigkeit herrscht mittlerweile über die Einführung eines ordentlichen Kündigungsverbots für die Krankenzusatzversicherer. Noch offen ist indessen, ob dieses ordentliche Kündigungsverbot nur für diejenigen Zusatzversicherungen gelten soll, die die obligatorische Krankenversicherung nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) ergänzen – oder auch für die Kollektivtaggeldversicherung für Unternehmen. Der Nationalrat befürwortet dies, der Ständerat ist dagegen. Was heisst das nun für Unternehmen?

Thomas Helbling

Thomas Helbling, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV

Viele Personen haben heute eine Krankenzusatzversicherung, die die Obligatorische Grundversicherung ergänzt. Zum Beispiel eine Spitalversicherung privat oder halbprivat. Die Krankenzusatzversicherer verzichten schon heute freiwillig auf das ihnen zustehende ordentliche Kündigungsrecht. Dank dieses in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) verbrieften Kündigungsverzichts können weder chronisch kranke Personen aufgrund ihres hohen Leistungsbezugs noch ältere Personen aufgrund ihres Alters aus diesen Krankenzusatzversicherungen ausgeschlossen werden. Dieses bislang «ungeschriebene Gesetz» unter den Krankenzusatzversicherern wird inskünftig auch formell im VVG verankert. Dies ist richtig und gut so.

Doch soll das ordentliche Kündigungsverbot auch auf die Kollektivtaggeldversicherung nach VVG ausgedehnt werden? Ich meine Nein – und teile damit die Haltung des Ständerates.

Absicherung des Unternehmensrisikos

Die kollektive Taggeldversicherung dient den KMU zur Absicherung ihres Unternehmensrisikos bei Krankheit und im UVG-Überobligatorium bei Unfall ihrer Mitarbeitenden. Die hierfür zu zahlende Prämie wird von den Versicherern risiko- und verursachergerecht nach Branchen und Betrieben ausgestaltet. Betriebe mit tiefer Krankheitsquote profitieren von günstigeren Prämien. Betriebe, die über Jahre hinweg eine hohe Schadenquote haben, weisen hingegen höhere Prämien auf. In der Praxis kommt es auch vor, dass die Ausgaben für Schadenfälle höher als erwartet sind. In diesem Fall müssen die Prämien für diesen Betrieb bei der nächsten Vertragserneuerung entsprechend erhöht werden. Der Grund dazu liegt auf der Hand: Ohne Prämienerhöhung würde für das Unternehmen mit (zu) hoher Schadenquote der bisherige – zu tiefe – Preis gelten, was durch die anderen versicherten KMU mit günstigem Schadenverlauf zu berappen wäre. Dies wiederum widerspricht dem Prinzip der Solidarität innerhalb des Versichertenkollektivs.

Unerwünschte Konsequenzen

Dieser Solidaritätsgedanke bringt es mit sich, dass der Versicherer gegenüber dem Unternehmen mit überhöhter Schadenquote den Vertrag kündigen kann, wenn die Prämienerhöhung nicht akzeptiert wird. Soll nun, wie vom Nationalrat verlangt, das Kündigungsverbot auch für die Kollektivtaggeldversicherung eingeführt werden, hat dies unerwünschte Konsequenzen in der Praxis. Im Interesse der Industrie- und Gewerbebetriebe mit ausgewogener Schadenquote werden die Versicherungsunternehmen wohl nur noch Verträge befristet für ein Jahr anbieten – statt wie bislang drei Jahre. Die stillschweigende Erneuerung der Verträge – heute gang und gäbe – ist dann nicht mehr möglich. Sämtliche Unternehmen – auch jene die über viele Jahre eine durchschnittliche Schadenquote ausweisen – wären gezwungen per Anfang jeden neuen Kalenderjahres einen neuen Vertrag abschliessen. Während Grossunternehmen dies besser handhaben können, besteht gerade bei den KMU die Gefahr, dass dabei ein Vertragsabschluss vergessen geht. Das kann Deckungsunterbrüche zur Folge haben. Die Leidtragenden sind die Mitarbeitenden. Ausserdem: Auch bei den Versicherungsunternehmen führt die Einführung des Kündigungsverbots ohne Not zu mehr Bürokratie, und höheren Kosten, was wiederum höhere Prämien provoziert. Ist dies im Sinne der KMU und ihrer Mitarbeitenden? Wohl kaum. Zu Recht lehnt der Ständerat in der aktuellen VVG-Debatte die Einführung des Kündigungsverbots ab - und handelt nicht gegen, sondern für die Interessen der KMU und des Versichertenkollektivs.

Wichtig ist: Der Schutz für Bezüger von Taggeldern bleibt immer, auch bei einer Kündigung des Kollektivvertrags, gewahrt. Taggeldleistungen müssen im Schadenfall unter dem neuen VVG maximal bis zur Erschöpfung der Leistungsdauer, in der Regel 730 Tage, bezahlt werden – auch bei einem gekündigten Vertrag.

 

Thomas Helbling, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV